„Jedes Schaf hat seinen großen Tag und ein gutes vielleicht auch zwei.“
(frei nach Johnny Copeland, gefunden in Thomas Pynchons Vineland)
In §531 von Ludwig Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen findet sich eine bemerkenswerte, für mich entscheidende Unterscheidung. „Wir reden vom Verstehen eines Satzes in dem Sinne, in welchem er durch einen andern ersetzt werden kann, der das Gleiche sagt; aber auch in dem Sinne, in welchem er durch keinen anderen ersetzt werden kann. ( So wenig wie ein musikalisches Thema durch ein anderes.) Im einen Fall ist der Gedanke eines Satzes, was verschiedenen Sätzen gemeinsam ist; im andern, etwas, was nur diese Worte, in diesen Stellungen, ausdrücken. (Verstehen eines Gedichts).“
In Bilder, „Bild-Sätze“ übersetzt, könnte dies bedeuten, dass es Einsichten bzw. Erkenntnisse gibt, die nur filmisch erfahrbar gemacht werden können, als Konstruktionen in actu, in einer bestimmten Verkettung, Anordnung von Bildern und Tönen. Der Sinn, der auf diese Weise entsteht, kann unmöglich ohne Verlust in andere Erfahrungsformen gegossen werden. Es geht um ästhetisches Erkennen, um das Erleben von Ideen im Moment ihrer Geburt und, davon unterschieden, um rein begriffliches Erkennen.
Bilder, die etwas zum Ausdruck bringen, das durch andere Bilder nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, Bilder, die sich somit dem Kriterium der Übersetztbarkeit in andere Bilder (= Erfahrungen) entziehen, und dem Kriterium der Resümierbarkeit sowieso (vgl. Barthes), solche Bilder fand ich im Rahmen dieser Berlinale 09 kaum. Zu viele Bilder, die sich schon auf der Leinwand zu Ende begriffen, manchmal auch entlarvt haben, die von Anfang an wussten, worauf sie aus sind und was sie bewirken wollen; lenkende, manipulative Bilder, die vorgaben, gegen Manipulation vorzugehen, stattdessen Einstimmigkeit und Zustimmung gleichermaßen voraussetzten wie erzeugten (Richard Brouillettes L’Encerclement; Yoav Shamirs Defamation); politisch didaktische Bilder von erschreckender Simplizität und mangelnder Ambivalenz, manchmal auch zu nette Indie-Bildchen (Andrew Bujalskis Beeswax; Bradley R. Grays The Exploding Girl), Filme, die sich zwar für die kleinen Gesten interessieren, für das, was sonst übersehen wird, dann letztendlich aber doch – im Unterschied etwa zu Kelly Reichardts Old Joy (2006) – zu verliebt sind in Homogenität und Konsens, zuwenig Interesse haben an dissensueller Konstruktion von Milieus.
Und dann gab es doch noch einen großen Tag Weiterlesen