Berlinale ’11 Auftakt
Zugegeben: fühlt sich schon ein wenig blöd an, wenn in Ägypten gerade Großes passiert («friedliche Revolution»!), und man selbst von nichts anderem zu berichten hat als von dritt- oder viertklassigen Filmchen, aus denen man nach 20 Minuten frustriert fluchtartig rausläuft. Meine Berlinale begann ein bisschen verspätet heute um 12.30 mit der Abholung meiner (dritt- oder viertklassigen, weil nicht zu allen Vorführungen Zutritt verschaffenden) Akkreditierung. Auf das Programm hatte ich zu dem Zeitpunkt noch keinen Blick geworfen, ein Fehler, der sich rächen sollte: sonst hätte ich gleich bemerkt, dass der richtige Zug D2 gewesen wäre: im Delphi lief um 14.00 Honjitsu Kyushin (Doctor’s Day Off, Shibuya Minoru, J 1952) ein japanischer Film aus den 50ern, vom renommierten Shochiku-Studio (für das auch Ozu, Naruse und Gosho arbeiteten), da konnte eigentlich nichts schief gehen. Aber wie gesagt, dass ist mir erst Stunden später aufgefallen, als schon C6 gezogen war: The Devil’s Double, vermutlich eine direct-to-video-Produktion, die in Kinosälen wirklich nichts zu suchen hat. Story: Saddam Husseins Sohn zwingt einen alten Schulkameraden, der ihm erstaunlich ähnlich sieht, in der Öffentlichkeit sein Double zu spielen; er selbst raucht bei jeder Gelegenheit riesige kubanische Zigarren (damit er von dem anderen unterscheidbar ist) und umgibt sich und vögelt mit halbnackten Frauen. Dazwischen gibt es sinnfrei Vergewaltigungs- und Folterszenen und dann… bin ich rausgegangen. Wer wirklich wissen will, wie’s weiterging und was jemand anders von dem Schwachsinn hielt: bitte schön.
Den nächsten Film, Les mains libres (Brigitte Sy, F 2010), diesmal nicht im Panorama- sondern im Forum-Programm, habe ich auch nicht länger ausgehalten.Er beginnt mit einer Frau, die einer anderen Tarot-Karten legt; nächste Sequenz: in einem Knast erklärt eine Filmemacherin den Gefangenen, auf die Filmbilder projiziert werden, sie wolle keine Fiktion machen, sondern «interessiere sich für deren echtes Leben» oder so ähnlich; in der dritten Sequenz sitzt die Filmemacherin in der Küche und wird von ihrem irgendwie verzweifelten Ex angerufen… da hatte ich dann auch davon genug.
Warum schreibe ich das? Weil es leider symptomatisch für die beiden großen Nebensektionen der Berlinale ist: zwei Filme, völlig zufällig ausgewählt, bei denen man — mit einem Minimum an Verstand im Kopf, einem Minimum an ästhetischer Sensibilität — nach spätestens 20 Minuten weiß, dass es sich um überflüssigen miesen Filmmüll handelt. Und der Skandal besteht darin, dass die Leiter der Sektionen, sie heißen Wieland Speck und Christoph Terhechte, das eben nicht merken. Und die beiden Filme — das kann ich nach der Erfahrung der letzten Jahre mit Sicherheit sagen — sind keine Ausnahmen, eher die Regel: Im Panorama sind mindestens zwei Drittel der Filme Vollschrott, im Forum sicher mehr als die Hälfte. Und es ist dabei noch nicht mal so, dass die Kuratoren einfach schlechten Geschmack hätten, oder bestimmte politische oder ästhetische Präferenzen, die man nicht teilt, nein: sie haben überhaupt keinen Geschmack. Sie wissen einfach nicht was sie tun; sie kuratieren völlig ohne Sinn und Verstand und nach dem Motto «Von Film versteh ich zwar nüscht, aber mmh, das sieht schon irgendwie krass aus, das könnte ja jemand interessant finden». Und im Wettbewerb sieht es bekanntlich auch nicht besser aus (nur braver). Eigentlich braucht auch die Berlinale eine ägyptische Revolution: Das ganze Regime muss weg.
Bis dahin bleibt einem nur die Flucht in die Retrospektiven (gut, Bergman ist jetzt auch noch nicht so der Knaller, aber da wird schon der ein oder andere gute Filme dabei sein, den ich noch nicht kenne). Heute habe ich zum ersten Mal Murnaus Meisterwerk Tabu (USA 1931) gesehen und danach die Präsentation der wiederaufbereiteten Outtakes der Dreharbeiten, die noch in diesem Jahr auf einer DVD und einer Website dem Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Das war immerhin versöhnlich.
Hihihu. Alle Jahre wieder: Es ist Berlinale und Guido betreibt Panorama-Bashing bzw. macht den Festival-Roundhouse-Kick und schaut sich dann die Retrospektive an. Habe sehr gelacht. Hoffe du guckst trotzdem ein paar gute (neue) Filme und schreibst auch darüber!
Apropos Nebensektion: In der Perspektive läuft der Film vom Jasin. Unbedingt sehenswert!
Ja, jedes Jahr das gleiche. Nur dass ich dieses Jahr nur einen Tag gebraucht habe, um das zu merken. Im nächsten meide ich wahrscheinlich alle neuen Filme eh gleich ganz.
Gut, dass du mich an Jasins Film erinnerst. Wird sofort notiert: Kamaka — Die Helden der Insel, SA, 19.2. 13.00 COLOSSEUM 1.
[…] Land von Lucy Walker in den Kinos an. Der Publikumspreis-Gewinner von Sundance und Berlinale-(Panorama) handelt von dem Künstler Vik Muniz, der auf der größten Mülldeponie […]