Berlinale 2014 — Panorama Xi you von Tsai Ming-liang

Xi you (Journey to the West, Tsai Ming-liang, F/TW 2013) Panorama
Für mich der bisherige Höhepunkt im Panorama (aber, zugegeben, viel habe ich aus dieser Sektion nicht gesehen) stammt von Tsai Ming-liang und ist ein Kunst-Film mit ganz großem K. Soll heißen: Es geht hier um ein ästhetisches Konzept und um einen Modus ästhetischer Erfahrung, der mit Spielfilm-Gratifikationen (narrative Spannung, emotionale Einfühlung etc.) nichts zu tun hat. In der ersten sehr langen Einstellung sehen wir in einer wundervollen Großaufnahme das schräg im Bild liegende Gesicht von Denis Lavant, ein Auge im Halbschatten, zu kontemplieren wie ein Gebirgslandschaft. Spätere, oft noch viel längere Einstellungen zeigen dann einen sehr, sehr, sehr langsam durch Marseille gehenden buddhistischen Mönch. Schon die extreme Körperbeherrschung, mit der er seine Bewegung ausführt, ist faszinierend zu betrachten. Hinzu kommt die Interaktion mit der Umgebung, mit den Passanten, die ihn teilweise irritiert betrachten oder, wie ein paar französische Jugendliche, mutmaßen, es handele sich um den Dreh eines Werbespots. Vor allem ist jede Einstellung wunderschön kadriert und ausgehend von natürlichen Lichtbedingungen komponiert, wie bei einem sehr eindrücklichen Sonnenkegel, der einen Teil einer U‑Bahn-Treppe beleuchtet oder einem ausschnittsweise beschienenen, belebten Platz, den der Mönch, nun von Denis Lavant gefolgt, überquert. Lavant imitiert die langsame Bewegung und vollzieht sie ganz synchron, verzichtet dabei aber auf die religiös konnotierte Handhaltung und den gesenkten Kopf — eine säkulare Aneignung buddhistischer Entschleunigung?