Cargo, Heftkritik
Ich mag am ersten Cargo-Heft, dass es so offen widersprüchlich ist. Anstatt — wie bei einem solchen Projekt zu befürchten gewesen wäre — geschmackspolizeilich sich und die LeserInnen auf einen ästhetischen Kanon festzulegen, bleibt hier alles offen und unklar.
Die Widersprüche beginnen mit der Entscheidung, einen langen Text über Tom Tykwers ausgesprochen langweiligen “Action-thriller” zu schreiben, der mit Ausnahme der Guggenheim-Zerlegungssequenz und der Bad-Bank-Thematik geradewegs aus den Achtzigern zu stammen scheint. Als hätte sich in diesem Genre auf ästhetischer und narrativer Ebene in den letzten Jahren nicht auch einiges Interessante ereignet. Weil also The International im Grunde nicht der Rede wert ist und Bert Rebhandl, der Autor des Textes, das natürlich auch gemerkt hat, hat er sich entschieden, den Film in eine Autorenperspektive zu rücken. Das kann immer machen. Man muss dann nur alle Filme (nochmal) gucken (das ist natürlich bei Tykwer hart genug, ich erinnere nur an die Filmdesaster Der Krieger und die Kaiserin oder Heaven). Und dann darüber spekulieren, worin der gemeinsame metaphysische Gehalt dieser Filme des jeweiligen Autors besteht. Eine sehr praktische Erfindung der Cahiers du Cinéma der Fünfziger Jahre, die dem Abbau von Komplexität in der Bewertung von Filmen diente. Auf einen Schlag war man sowohl der Aufgabe entledigt, zu entscheiden, ob der Film ästhetisch gelungen war und was genau an ihm gelungen war. Auf beide Fragen war der Autor die Antwort: der Film ist gelungen, wenn er von Welles, Hawks, Ford, Minelli, Hitchcock etc. ist und weil er von ihnen ist. Dann muss man nur herauslesen, woran man erkennt, was man schon weiß (an der Mise-en-Scène? der Thematik, der Figurenkonstellation, einer ‘Weltsicht’?).
Seltsam ist, dass Rebhandl genau diese Autoren-Perspektive, der er sich selbst bedient, genüsslich und ganz treffend dekonstruiert:
Die klassische Autorentheorie ging davon aus, dass ein Regisseur im Lauf des Werks und durch die Genres und Formen hindurch eine persönlich Note durchhielt. Ein Mann wie Howard Hawks konnte Western, Komödien, Fliegerfilme und Kolonialabenteuer drehen, es kam dabei doch immer ein Film von Howard Hawks heraus. Worin genau die Hawks-Qualität bestand, war nicht immer leicht zu ermitteln, häufig musste der Hinweis auf eine Männergruppe genügen. Je länger eine Karriere dauerte, desto komplizierter — und komischer — wurde häufig der Bestemm [?] der Kritik auf eine einmal gewonnenen Autorenessenz.
Ja genau, das kann in der Tat mitunter einigermaßen albern werden. Aber ist es nicht noch alberner, festzustellen, dass sich eine solche Gemeinsamkeit über die Tykwer-Filme hinweg gerade nicht feststellen lässt — und genau das dann als Autorenposition zu verkaufen? Dass das “Auteuristische” darin besteht, immer was anderes (und das immer eher schlecht als recht) zu machen? Warum dann überhaupt? Nur um ein paar Seiten vollzuschreiben?
Ähnliche Fragen stellt man sich bei der Lektüre von Diederichsens Text zu Claire Denis 35 rhums. Dass dieser Film der erste der Französin ist, der seit acht Jahren in deutschen Kinos gezeigt wird, scheint Grund genug gewesen zu sein, ihn aufs Titelbild zu nehmen. Und den großen Diedrich zu fragen, ob er nicht was dazu schreiben möchte. Er mochte. Die Frage war nur: was? Offensichtlich hat ihn der Film vollkommen ratlos gelassen. (Und er ist ja auch in der Tat nicht gerade einer ihrer interessantesten…) Man spürt an manchen Stellen, dass er eigentlich ganz gerne einen Verriss geschrieben hätte, aber dann doch nicht, ist ja schließlich Claire Denis neuer Film und Cargos Titeltext. Was dann, hhm, einfach nacherzählen. Auf vier Seiten den Plot durcheiern und den Rest der Seiten mit Riesenfotos füllen.
Aber wieso? Es mag ja für Diederichsens Ehrlichkeit sprechen, in dieser Form darzulegen, dass ihn der Film zu keiner einzigen interessanten Idee inspiriert hat. Aber warum sagt die Redaktion dann nicht: Danke, Diedrich, aber das schreiben wir dann doch lieber selbst…? Eigene Ratlosigkeit? Autorenpolitik der anderen Art? Abwarten, ob es jemand merkt? Oder aber — wohlwollend betrachtet — die in solchem Fall wirklich lobenswerte Entscheidung, die Widersprüche offen auszutragen?
Ich entscheide mich gerne für diese letzte Lesart. Zwar gäbe es noch einiges herumzukritteln. Am prätentiösen Stil mancher Autoren etwa, oder daran, dass die kurze Glosse zu Eastwoods Gran Torino völlig unterschlägt, was für ein chauvinistisches, reaktionäres Werk trotz seiner pseudo-humanistischen Rhetorik — der Film eigentlich ist.
Aber es gibt auch einige wirklich sehr schöne Texte in dem Heft (mein Favorit: die Kritik von Michael Sicinski zu Milk). Und ich bleibe wohlwollend, weil mir der Aufbau, die Blöcke zu den verschiedenen medialen Spielarten des Bewegungsbilds und das Layout im Großen und Ganzen gelungen erscheinen. Weil es sich um das erste Heft handelt, und zwangsläufig noch Spielraum zu Verbesserung bleibt. Weil es auf mich eben angenehmer wirkt, Ecken, Kanten, Inkonsistenzen und Widersprüche stehen zu lassen, als hermetisch der eigenen Geschmacklichkeit zu frönen. Weil ich dem Projekt eine kritische Leserschaft wünsche und auch ansonsten alles Gute.
Seltsam, habe das jetzt erst entdeckt. Danke für diesen Text, den ich sehr mag, weil er klar macht, woher er kommt, was er will, was ihm passt und was nicht.
Die Beobachtung, dass nicht alles im Heft auf den selben Nenner kommt (und kommen soll), ist völlig richtig. In manchen Punkten wollten wir es genau so, in anderen ergeben sich auch Sachen dadurch, dass die AutorInnen, die man fragt, dann doch etwas anderes tun, als man so ungefähr erwartet hatte. (Mal Interessanteres, mal weniger Interessantes.)
Eines aber ist uns ganz wichtig — schon weil wir drei Redakteure keineswegs die selben Linien in unseren ästhetischen, politischen Koordinatensystemen ziehen: Wir wollen keine geschmackspolizeiliche Festlegung. Wir hatten gehofft, der Tykwer-Film werde vielleicht wirklich eine spannende Sache. Wir hatten gehofft und fanden auch — Sie nehmen es anders wahr -, es lasse sich dann, da er es eher nicht wurde, doch etwas Exemplarisches aus der Auteur-Karriere des Tom Tykwer lernen. (So einfach ist das mit der Autorentheorie auch nicht, wenn Sie mich fragen. Sie ermöglicht schon auch sinnvolle Zuschnitte des Diskurses.)
Zu Diederichsen widerspreche ich schlicht und direkt. Es ist eine sehr schöne Nacherzählung, mit klugen Beobachtungen zwischendurch. Ich mag den Text und den Gestus des Textes sehr, auch weil er nah dran ist und bleibt am Film, der mir auch sehr gefällt. Schon die Entscheidung, so nah dran zu bleiben, ist eine dem Film gemäße, eine, die ihn schützt. Den Eindruck, dass er den Film nicht mochte, teile ich nicht.
Aber, natürlich, man lernt. Wir sitzen gerade am zweiten Heft, das mir auf deutlich weniger diffuse Weise die Widersprüche, die wir wollen, auszutragen scheint. Natürlich soll die Tatsache, dass man mit diskursiven Rückzugspositionen wie Autorentheorie, Cinephilie, Kunstfilm- oder Blockbuster-Konzentration oder medialer Provinzialisierung (nur Kino, nur neue Medien etc.) nicht mehr weiter kommt. Das wollen wir zeigen, ohne zu behaupten, wir wüssten, wie sich das alles zusammendenken lässt. Dieses Nicht-Wissen ist uns wichtig, aber nicht weniger wichtig ist es uns, zu insistieren, dass alles andere als der offene Widerspruch sich die Sache zu einfach macht.
Danke nochmal.
Danke nochmal.
Natürlich soll die Tatsache, dass man mit diskursiven Rückzugspositionen wie Autorentheorie, Cinephilie, Kunstfilm- oder Blockbuster-Konzentration oder medialer Provinzialisierung (nur Kino, nur neue Medien etc.) nicht mehr weiter kommt — fehlt ein: … sichtbar werden
Lieber Ekkehard Knörer,
es freut mich sehr, dass Sie meine Kritik zu schätzen wussten und offensichtlich — trotz meines stellenweise doch recht polemischen Tons, der mir nun fast peinlich ist — auch in einigen Punkten mit mir übereinstimmen.
Was die Diederichsens-Kritik zu 35 rhums betrifft, so wollte ich mir nicht anmaßen, zu behaupten, der Film habe dem Autor eigentlich nicht gefallen. Er mag ihn durchaus gemocht haben, das wissen Sie sicher besser als ich. Mein Eindruck war lediglich, dass der Text noch am interessantesten an jenen Stellen ist, die eine leise (zu leise?) Kritik am Film äußern — etwa an der befremdlichen Ingrid Caven-Sequenz, deren Rechtfertigung durch den Autor dann doch ziemlich gewollt wirkt. Der Text hätte m.E. gewonnen, wenn er seine prinzipiell wohlwollende Haltung aufgegeben hätte (die wie gesagt zu nichts anderem als einer Nacherzählung des Plots geführt hat).
Interessanter ist sicherlich die Frage der Autorentheorie. Ich denke es kann dem Cargo-Projekt nicht schaden, sich metakritisch mit dieser Frage auseinanderzusetzen, um sich darüber zu verständigen, was man will und was nicht. Meine These ist und bleibt, dass die Autorenpolitik zumindest bei den Cahiers der Komplexitätsreduktion in der ästhetischen Bewertung diente. So konnte bspw. Truffaut laut eigener Aussage wissen, dass der nächste Welles (es handelte sich um Mr. Arkadin) ein guter Film sein würde — eben weil er von Welles war. Diese Tautologie war bewusst gesetzt. Sie umging die Probleme der ästhetischen Bewertung also die Qualitätsfrage und ermöglichte so den direkten Einstieg in die von mir beschriebene ‘Hermeneutik der Handschrift’ (resp. der Weltsicht etc.).
Eine Gefahr dieser Praxis besteht dann, wenn die Sicht auf das Werk vom Wissen um die Autorschaft verstellt wird. Ich bin nicht so naiv zu meinen, eine vollkommen unvoreingenommene Haltung sei möglich. Aber eine Ethik der (positiven wie negativen) Vorurteilsfreiheit — und damit die Lösung vom
Fokus auf den Autor — schiene mir wünschenswert.
Aber ich möchte nicht widersprechen, dass auch ein “sinnvoller Zuschnitt des Diskurses” durch die Autorentheorie möglich ist. Vielleicht können Sie näher ausführen, wie dieser ihrer Meinung nach aussähe.
Fürs nächste Heft viel Erfolg! Bin gespannt.