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Mit der Tiefen Hirnstimulation gegen Dummheit und Vergessen
Die Tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation) ist ein seit Jahren eingesetztes Verfahren zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit. Es soll vor allem medikamentös austherapierten Patienten eine Linderung motorischer Symptome der Krankheit bringen. Der Erfolg der Methode bei Parkinson-Patienten ist mittlerweile unbestritten und mit den Erfolgen erweitern sich die Einsatzmöglichkeiten.
Der Kopf des Patienten wird in einen Rahmen eingespannt und der Knochenbohrer setzt sich in Bewegung. Das alles passiert, während der Patient bei vollem Bewusstsein ist. Eine örtliche Betäubung, mehr gibt es nicht, und kann es auch nicht geben. Denn nachdem der Bohrer durch den Schädelknochen eingedrungen ist, und die Elektroden durch das Bohrloch im Gehirn platziert wurden, muss er kooperativ sein. Er muss beispielsweise Bewegungen ausführen, die ihm normalerweise aufgrund seines Tremors (Zitterns) unmöglich wären. Nur so kann die richtige Platzierung der Elektroden geprüft werden, die mittlerweile tief im Nucleus subthalamicus sitzen.
Soweit der Ablauf bei einer inzwischen routinemäßig durchgeführten Hirnschrittmacher-Implantation beim Morbus Parkinson. Der Erfolg gibt den Neurochirurgen recht. Doch während in Deutschland vor allem neurologische und psychische Erkrankungen wie Zwang, schwere Depressionen und Cluster-Kopfschmerz ins Blickfeld der operativen Medizin geraten sind, ist man in den USA mehr an anderen Anwendungen orientiert. Verständlich, wenn man das dortige Gesundheitssystem kennt.
Dort werden Menschen operiert, die “krankhaft” übergewichtig (morbidly obese) sind, denn bei Ratten und Hunden funktioniert das ziemlich gut. Die Herausforderung dabei ist, dass das Gehirnareal, welchem die Steuerung des Appetits zugeschrieben wird, noch für manch anderes verantwortlich ist – unter anderem für die Aufrechterhaltung der Homöostase (Temperatur, Blutdruck, Osmolarität), die Regulierung der Nahrungs- und Wasseraufnahme, circadiane Rhythmik, Schlaf und die Steuerung des Sexual- und Fortpflanzungsverhaltens. Diese Region ist der Hypothalamus – und genau dorthin schieben die US-amerikanischen Neurochirurgen ganz ungeniert ihre Elektroden.
“Bob” und das Kino im Kopf
Einer von ihnen ist Dr. Andres M. Lozano. Seinem Patienten “Bob”, einem 50-jährigen Mann mit einem Body-Mass-Index von 55,1 kg/m, mit Diabetes und etlichen anderen, gewichtsbedingten Problemen, war im Grunde nicht mehr zu helfen. Medikamente, Diät, Psychotherapie, Gruppentherapie — nichts fruchtete. Eine Magenverkleinerung lehnte er ab, weil er befürchtete, danach noch genau so viel zu essen. Also kam er unter den Knochenbohrer.
Intraoperativ traten keine Komplikationen auf, die 8 Elektroden waren positioniert und warteten auf den ersten Test, der noch im Saal erfolgte. Getestet wurde zuerst Elektrode 4 (links ventral, 3.0 V, 60 ms-Puls, 130 Hz).
Und da war “Bob” im Park, mit Freunden, und er war viel jünger, so um die 20, und seine damalige Freundin war auch dort. Er konnte sich selbst beobachten. Kopfkino in Farbe.
Natürlich konnten die Ärzte es nicht lassen, diese günstige Gelegenheit zu nutzen, um ein wenig an den Knöpfen zu spielen. Sie gingen bis auf 5 Volt hoch, was bei einigen Elektroden zu einer lebhafteren Halluzination (Lichtblitze) führte, bei anderen hingegen zu Nebenwirkungen, die aber harmlos waren. Bob wurde warm, er schwitzte und bekam ein rotes Gesicht. Am Abend kollabierte er, allerdings ohne eingeschaltete Elektroden.
Nur sein Hungefühl hatte sich nicht verändert.
Nachdem die Ärzte eine erinnerungsfreie Einstellung ausgewählt hatten, ging es nach drei Wochen in die neuropsychologische Abteilung, in der Sprache und Sprachlern- und Erinnerungsvermögen, Intelligenz, Angst und Gedächtnis überprüft wurden. Das hatten die vorausschauenden Doktoren natürlich auch schon vor dem Eingriff getan.
Überraschenderweise schnitt “Bob” nach dem Eingriff besser ab als vorher — vor allem bei eingeschalteter Stimulation. Besonders gut war er bei den Erinnerungstests (California Verbal Learning Tests) zum Wortgedächtnis — interessanterweise aber nicht bei solchen, die auf Wortähnlichkeit prüfen. Sein IQ stieg an, allerdings in einem Rahmen, der nicht ursächlich auf die Operation zurückgeführt werden kann (was eine Menge über IQ-Tests sagt), und die Erinnerungsepisoden konnten kontrolliert induziert und gestoppt werden.
Bald auch in ihrer Klinik: Tiefe Hirnmanipulation
Diese Entdeckung, die anmutet wie eine Mischung aus Stimmungsorgel und Einswerdungsbox, eröffnet radikal neue Möglichkeiten. So könnte beispielsweise eine sicher reproduzierbare Verstärkung von Erinnerungsleistung beziehungsweise eine Steigerung der sprachlichen Intelligenz gezielt für Neuro-Enhancement und ‑Modulation eingesetzt werden. Als grundlegende kognitive Leistungsverbesserung, die bei Bedarf zusätzlich pharmako-synergetisch und zeitlich begrenzt gesteigert werden könnte.
Mit einem besseren biologisch-digitalen Interface, dass nicht nur „schreibenden“ Zugriff ermöglicht, wie es die Elektroden momentan bieten, sondern zusätzlich die Fähigkeit besitzt, Aktivitätsmuster im Gehirn erkennen zu können, wäre es möglich nicht mehr nur mittelbare Erzeugnisse der eigenen Phantasie und Schöpfungskraft untereinander austauschen, sondern auch Träume, Erinnerungen oder Erfahrungen, mithin jene Emergenzphänomene des Großhirns, die ja, so wir das Gehirn momentan auch nur ansatzweise richtig verstanden haben, ständig in zentralen Hirnbereichen aktiv sind, oder von dort ausgelöst werden können.
Andere denkbare Einsatzgebiete, zu denen man seit fast 40 Jahren Wissen ansammelt, lassen auf eine durchaus unmanipulierte Weise Erinnerungen daran wach werden, wie Menschen in Science-Fiction-Dystopien über solche Implantate kontrolliert werden, indem sie Gefühle direkt beeinflussen:
Rasch stand sie auf, sprang ans Schaltpult ihrer eigenen Stimmungsorgel, blitzte ihn herausfordernd an und wartete.
Ihre Drohung ernüchterte ihn. Seufzend sagte er:”Ich werde nur die für heute eingeplante Einstellung wählen”. Er sah nach, was für den 3. Januar 1992 auf seinem Plan stand: eine sachlich-nüchterne Haltung war vorgeschrieben. Bekümmert fragte er:”Wenn ich die Planeinstellung wähle, wirst du es auch tun?” Er wartete ab, schlau genug, sich nicht festzulegen, bevor seine Frau einwilligte, seinem Beispiel zu folgen.
“Auf meinem Plan stehen für heute sechs Stunden selbstanklagende Depression”, sagte Iran.
“Was?” Warum hast du so etwas eingeplant?” Das widersprach vollkommen dem Zweck der Stimmungsorgel. Düster fügte er hinzu:“Ich habe gar nicht gewußt, dass man so etwas einstellen kann.”
Literatur:
Philip K. Dick. Träumen Roboter von elektrischen Schafen?
Clement Hamani, M.P.M. Memory enhancement induced by hypothalamic/fornix deep brain stimulation. Annals of Neurology 63, 119–123(2008).
Franzini, A. u. a. Stimulation of the Posterior Hypothalamus for Medically Intractable Impulsive and Violent Behavior. Stereotact Funct Neurosurg 83, 63–66(2005).
Toll, dieser Bohrer. Ich stelle mich zur Verfügung für Experimente bezüglich
chronischer Müdigkeit, übermäßigem Schokoladenkonsum und einer krankhaften Liebe zu Tieren mit Fell.
Und bei vollem Bewusstsein…genial. Dann passiert endlich mal was, was den Blutdruck ein bisschen anhebt.
Es gibt dazu ein sehr eindrucksvolles Video, auf dem der Banjo-Virtuose Eddie Adcock während eines solchen Eingriffs scheinbar fröhlich auf seinem Banjo spielt.
http://www.youtube.com/watch?v=PjX6ErmKY14
Ich könnte ja am Samstag mal das Wohnzimmer aufräumen, und dann legst du dich hier auf den Tisch. Ich hab bestimmt noch irgendwo einen alten Schaschlik-Spieß…
cooler typ, der eddie. der ist jedenfalls stressresistent. und mein gott, ich find zahnarzt auch nicht schlimm. und sooo anders ist der eingriff auch nicht.
lies mal noch in deiner fachliteratur paar self-made tips dafür, dann testen wir das, gern auch mit schaschlik,schlimmer kanns nicht werden.
Und ’ne gegrillte Paprika wird ja vom Gehirn quasi eh in 10 Minuten nahezu vollständig absorbiert. Das Bohrloch sollte allerdings schon rasiert sein, ansonsten kann ich für nichts garantieren. Danach wirst du erstmal für ein paar Tage ruhiggestellt. Leichte Gartenarbeit und so…Und dann bist ja auch intelligenter, und vielleicht kannst du danach mich operieren. Wär’ doch was!