Der Grundstein für eine lateinamerikanische Dekade
Zwischen 27. und 29. April findet in Rio de Janeiro das Weltwirtschaftsforum (WEF) statt — in einer Sonderausgabe mit Fokus auf Lateinamerika. Untertitel: “Laying the Foundation for a Latin American Decade”. Die Ortswahl ist kein Zufall: Öl in Venezuela, Erdgas in Bolivien, chilenisches Kupfer, Kohle aus Kolumbien, Lithium im Dreiländereck Chile, Bolivien, Argentinien für Millionen von Akkus künftiger E‑Autos, Agrarprodukte wie Soja und Fleisch aus Brasilien. 200 Jahre nach der Unabhängigkeit wird die Neue Welt noch immer als Rohstofflieferant für den Norden gesehen. Doch davon wird in Rio keine Rede sein.
Wir erinnern uns: WEF, das ist das, was alljährlich in Davos stattfindet, von dem eigentlich keiner weiß, was dort passiert und auf das in Reaktion 2001 das Weltsozialforum (WSF) gegründet wurde. Ebenso wie es mittlerweile regionale WSF gibt, hat sich das auch die andere Seite zu eigen gemacht und regionale Dependenzen gegründet, wie eben diese in Rio de Janeiro.
Urspünglich diente das von Klaus Schwab als gemeinnützige Stiftung gegründete Forum als Diskussionsplattform zwischen Wirtschaftswissenschaftlern, Politikern, Intellektuellen und Journalisten. Man sollte und wollte unter sich sein. Diese von Samuel P. Huntington “Davos-Männer” getauften Alpha-Tiere entstammten aus den gleichen weltweiten Macht-Eliten, mit den immer selben neoliberalen Ansichten. In einem vielbeachteten Artikel im National Interest (dort “Premium”, hier frei nachzulesen) schrieb er:
The Global Business Policy Council asserts: “The rewards of an increasingly integrated global economy have brought forth a new global elite. Labeled ‘Davos Men’, ‘gold-collar workers’ or … ‘cosmocrats’, this emerging class is empowered by new notions of global connectedness. It includes academics, international civil servants and executives in global companies, as well as successful high-technology entrepreneurs.” Estimated to number about 20 million in 2000, of whom 40 percent were American, this elite is expected to double in size by 2010.
Das war 2004, und weiter:
Comprising fewer than 4 percent of the American people, these transnationalists have little need for national loyalty, view national boundaries as obstacles that thankfully are vanishing, and see national governments as residues from the past whose only useful function is to facilitate the elite’s global operations. In the coming years, one corporation executive confidently predicted, “the only people who will care about national boundaries are politicians.”
Denkt man sich diese Menschen als Arbeiter, müsste es folglich heißen “Der moderne Arbeiter braucht keine Nation” und nichts wäre dagegen einzuwenden. Weil es sich um Kapitalisten handelt, lautet der Schluss aber “Das Kapital steht über der Nation”. Nach einer langen Durststrecke wird das Primat der Politik selbst von den Konservativen nun wieder eingefordert.
Und tatsächlich, das WEF hat sich gewandelt, ist offener geworden und weniger “wirtschaftlich”. Weicher könnte man fast meinen — eine Plattform für “medienpolitische” Themen. “The Education Challange”, “The Responsible Corporation” oder (hochaktuell) “Responding to Extreme Events” und “The New Energy Architeture” sind alles Themen, die so oder so ähnlich (ohne das “The”) auch auf einem Panel des WSF diskutiert werden könnten.
The Times schimpft schon seit Jahren über eine “Mischung aus Pomp und Plattitüden” und hat damit wahrscheinlich unwissentlich sehr Recht: Den aufstrebenden Schwellenländern wird mit Veranstaltungsort und Untertitel das Gefühl gegeben, sie würden ernst genommen. Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) warnt hingegen vor einem “Rückfall in die Primärgüterproduktion”, der momentane Wachstum beruhe vor allem auf den “Exporteinnahmen verkaufter Rohstoffe in die Schwellenländer Asiens”. Es sieht so aus, als würde es bei dem Grundstein bleiben.