Der Präsident protestiert für dieses Wikileaks
Es war zwar nicht alles hundertprozentig transparent in seiner Amtszeit und Korruption ist in Brasilien wahrscheinlich genauso verbreitet und (im kleinen Rahmen) genauso gesellschaftlich akzeptiert wie Fußballspielen oder Sambatanzen oder Drogenhändlerabknallen, trotzdem weiß Brasiliens Präsident Lula manchmal einfach instinktiv, was richtig und was falsch ist, was gut und was schlecht ist, und sagt das dann auch.
So heute im Falle von Wikileaks:
Ich finde es ungewöhnlich, dass ein Junge, der die amerikanische Diplomatie lächerlich gemacht hat… Wie heißt das? Dieses Wikileaks da… Der Junge wurde festgenommen und ich sehe nicht einen Protest gegen die [Einschränkung der] Meinungsfreiheit.
Sagt der Präsident während einer Pressekonferenz (zu einem ganz anderen Thema, PAC 2, tut hier nichts zur Sache) und nutzt — unter dem Applaus der anwesenden Reporter — die Gelegenheit, um weiter auszuteilen.
Ist schon komisch. Ich habe nichts gegen die Meinungsfreiheit eines Jungen, der die minderwertige Arbeit einiger Botschafter bloß legt. […] Wenn es nichts zu schreiben gibt, schreibt man keinen Blödsinn!
Gemeint sind die “Informationen” der amerikanischen Diplomaten, die sich in einigen Fällen darauf beschränkten, aufzuschreiben, wie sich ein Staatsoberhaupt kleide oder ob er bei Partys teilnehmen würde.
Und dann taucht dieses Wikileaks auf, entblößt die bis dahin unberührbare Diplomatie, die sicherste der Welt, und dann fängt die Suche [nach Julian Assange] an. Ich weiß nicht, ob sie Plakate aufgehängt haben, wie damals im Wilden Westen, à la “Gesucht — Tod oder Lebendig!”. Dann nehmen sie den Jungen fest und ich sehe nicht eine Stimme des Protests. Der Stuckinha (Ricardo Stuckert, Medienbeauftragter des Präsidenten) soll mal auf das Blog des Präsidenten den ersten Protest veröffentlichen, und zwar, [für] die Meinungsfreiheit im Internet, damit wir dagegen protestieren können, dass ein Junge nur das veröffentlicht hat, was er gelesen hat.
Ganz so stimmt das zwar (offiziell) nicht was Lula da sagt, aber es hat tendenziell schon seine Richtigkeit, vor allem, wenn man es verallgemeinert, was er dann tut.
Und wenn er liest, weil jemand schreibt, ist der Schuldige nicht der, der verbreitet, sondern der, der schreibt. Also, anstatt den Verbreiter zu beschuldigen, sollte derjenige beschuldigt werden, der den Blödsinn geschrieben hat, ansonsten gäbe es diesen Skandal nicht.
Abschließend, damit auch jedes Blatt bzw. Blog etwas zu zitieren hat, der Präsident ist schließlich Medienprofi:
Wikileaks gilt meine Solidarität für die Veröffentlichung der Dokumente und ich protestiere gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit!
Das erwähnte Präsidenten-Blog gibt es dort (auf Portugiesisch), Video mit dem Originalton hier:
Es ist schon komisch ruhig geworden um Wikileaks und Julian Assange. Könnte natürlich auch sein, dass da im Hintergrund einge Deals abgelaufen sind. Finanzielle Mittel, Straffreiheit bei der Vergewaltigungsgeschichte, einen gewissen Status, wie ihn nur Staaten verleihen können, wer weiss? Auf jeden Fall fällt auf, dass nach dem anfänglichen weltweiten Hype, der seinesgleichen suchte, nunmehr gegen Null tendiert. Grüße aus Berlin