Die Alternative von Krieg ist nicht immer Frieden

Krieg oder nicht Krieg? Die Frage war bish­er für mich und wahrschein­lich jeden anderen halb­wegs gescheit­en Men­schen ziem­lich ein­fach zu beant­worten: natür­lich dage­gen! Das hat­te nichts mit ein­er wie-auch-immer geart­eten Dage­gen-Öffentlichkeit zu tun, son­dern mit Ver­nun­ft. Doch tun wir dem Dage­gen-Autor Lobo den Gefall­en und nehmen seinen selb­stre­f­er­en­tiellen S.P.O.N.-Artikel als Anre­gung und sind “kon­struk­tiv-kri­tis­che” Bil­dungselite und machen Gegenöf­fentlichkeit am Beispiel Libyen.

Wir, die wir uns gerne als aufgek­lärt, pro­gres­siv und auch mal paz­i­fistisch denken, manch­mal vom Ende des Kap­i­tal­is­mus oder der näch­sten Rev­o­lu­tion träu­men und wahrschein­lich nichts dage­gen gehabt hät­ten, während der Guer­ra Civ­il mal ein paar von Fran­cos Faschos abzuk­nallen, haben auf ein­mal ein dreifach­es Problem:

  1. in Libyen ist Krieg, 
  2. wir” machen nicht mit und 
  3. unser” ver­has­ster FDP-Min­is­ter ist auch dagegen.

Vor allem Let­zteres macht stutzig: Warum nun er? Heißt das, wir soll­ten bess­er dafür sein? Ein Erklärungsversuch.

Klar ist, dass die Entschei­dung West­er­welles nichts mit ein­er plöt­zlichen Ein­sicht des kon­ser­v­a­tiv­en Lagers zu tun haben kann, dass Krieg nach alle­dem doch eine Angele­gen­heit ist, aus der man sich am besten rauszuhal­ten habe. Schließlich wird ja an der Front in Afghanistan gle­ichzeit­ig aufgerüstet. Auch glaube ich nicht, dass die bei­den  Land­tagswahlen über Krieg und Frieden in Libyen entsch­ieden haben. Nicht etwa, weil das The­mas zu wichtig wäre, um als Wahlkampfthe­ma aus­geschlachtet zu wer­den (nicht wahr, Herr Schöder?), son­dern als Argu­ment untauglich, weil das schwarz-gelbe Wahlvolk ja im Nor­mal­fall mehrheitlich immer für Krieg ist, sobald Merkel ein­mal behauptet, dass das alter­na­tiv­los sei.

Es geht um viel mehr. Es geht um die Macht. Es geht um Weltherrschaft. Es geht um den lieben Nachbarn.

Als sich die Deutschen noch sich­er sein kon­nten, dass die Amis keine Lust auf einen drit­ten Krieg in einem mus­lim­is­chen Land hat­ten, US-Vertei­dungsmin­is­ter Gates deutete so etwas ziem­lich deut­lich an, ver­schob die BRD mal schnell ein paar Marinestre­itkräfte an die Nordafrikanis­che Küste und demon­stri­erte den Tune­siern, Liby­ern, Ägyptern und allen den anderen, die da noch kom­men soll­ten, auf welch­er Seite der Exportwelt­meis­ter ste­ht. Sollte es zur Entschei­dung kom­men, würde man sich mit den Amis schnell aus der Affäre ziehen können.

Wem das nicht ver­bor­gen bleiben kon­nte, ist Sarkozy. Frankre­ichs zu klein ger­aten­er, größen­wahnsin­niger Präsi­dent glaubt sowieso ger­ade, seine nordafrikanis­chen Felle gen Alle­magne davon­schwim­men zu sehen — woran Merkel auch nicht ganz unschuldig ist: Die von Paris vorgeschla­gene EU-Inter­ven­tion im Tschad wurde damals von Berlin erfol­gre­ich sabotiert, eben­so die von Frankre­ich ini­ti­ierte Mit­telmehr-Union —  die Fran­zosen kan­nten in Reak­tion darauf im Allein­gang die Rebellen als legit­ime Regierung an und wur­den for­t­an in Ost-Libyen bejubelt.

Als Oba­ma dann den Schwenk vol­l­zog, und die USA im Sicher­heit­srat für die Res­o­lu­tion 1973 stimmten, stand Deutsch­land alleine da. Die Transat­lantik­er West­er­welle und Merkel hat­ten sich anscheinend verkalkuliert.

Oder etwa doch nicht? Es scheint fast so, als sei den Berlin­er Koali­tionären die Rival­ität mit Frankre­ich sog­ar die so oft beschworene transat­lantis­che Fre­und­schaft wert zu opfern gewe­sen. Ein Krieg­sein­satz, der let­ztlich die Stel­lung der franzö­sis­chen Rivalen stärkt, kam nicht in Frage. Der erste deutsche außen­poli­tis­che Allein­gang seit 1949 fand nicht aus Ver­nun­ft­grün­den, son­dern aus per­sön­lich­er Rival­ität zwis­chen einem egozen­trischen Präsi­den­ten und ein­er prin­cip­i­en­losen Kan­z­lerin statt? Es sieht fast so aus. Und die son­st von der FDP so hochge­hal­te­nen deutschen Inter­essen? Sollte die Rev­o­lu­tion in Libyen scheit­ern, wäre jeden­falls Deutsch­lands Ein­fluss in Libyen gesichert. Und bei den afrikanis­chen Despoten hat man sich­er auch ein paar Punk­te gemacht. Deutsche Inter­essen sind deutsche Inter­essen, da ist man nicht wählerisch.

Bei aller Sym­pa­thie für die Causa der Rebellen und obwohl die deutsche Regierung dage­gen ist: einem von der NATO und CIA unter­stützten Auf­s­tand ist ein­fach nicht zu trauen. Es würde mich nicht wun­dern, wenn dem­nächst mit Mous­sa Kous­sa oder Abdel Fat­tah Younes al-Abi­di, zwei ehe­ma­li­gen Gaddafi-Min­is­tern, die schein­bar rechtzeit­ig die Seite wech­sel­ten, wichtige Posten in ein­er evtl. neu zu bilden­den libyschen Regierung beset­zt würden.

Der Skep­tik­er ist im Zweifel erst ein­mal dage­gen. Und das ist gut so, bei der Frage ob Krieg ganz beson­ders. Diese Ein­stel­lung ist weit ent­fer­nt von ein­er bloßen Dage­gen-Hal­tung. Wer einen echt­en Wan­del will, wird sich frei­willig melden und selb­st nach Beng­hasi fahren müssen, wie damals nach Barcelona. Krieg zu wollen, aber selb­st nicht mitzu­machen ist feige — das gilt für Staat­en genau­so wie für Personen.

7 Meinungen zu “Die Alternative von Krieg ist nicht immer Frieden

  1. Es hat sich doch in den let­zten 18 Monat­en deut­lich her­aus­gestellt, dass West­er­welle nicht das For­mat hat, ein Land wie die Bun­desre­pub­lik als Außen­min­is­ter zu repräsen­tieren. Allerd­ings auch innen­poli­tisch hat er sich durch seine Hartz4-Aus­sagen dis­qual­i­fiziert. Als Bürg­er dieses Lan­des neigt man bere­its zum Fremd­schä­men für unseren Außen­min­is­ter. Die Fragestel­lung ist nur, wann erlöst uns West­er­welle und tritt zurück?

  2. Deine Schluss­pointe scheint mir aus­ge­sprochen schräg zu sein. Wer für den Krieg ist, muss hin­fahren und mitkämpfen? Würde der sym­metrische Umkehrschluss nicht laut­en: Wer gegen den Krieg aber für Demokratie ist, soll nach Ben­gasi fahren, und sich von Gad­hafis Scher­gen nie­der­met­zeln lassen? Alles andere wäre feige?

  3. Nicht ganz. Wer für Krieg ist, aber selb­st nicht für die durch Krieg durchzuset­zende Sache ster­ben möchte und dafür andere in den möglichen Tod schickt, ist nicht nur feige, son­dern auch etwas naiv. Krieg bedeutet immer auch Kol­lat­er­alschaden, zivile Opfer und Tote; und damit nicht weniger Leid, son­dern mehr. Gegen Krieg und für Demokratie zu sein, wider­spricht sich meines Eracht­ens nicht, im Gegenteil.
    Und ob sich Demokratie durch Krieg durch­set­zen lässt, ist noch ein­mal eine ganz andere Frage. Es ist eher zweifel­haft, ob sich durch die Fol­gen des Krieges über­haupt eine demokratis­che Regierung bilden kann. Das ist näm­lich bish­er in keinem der Län­der passiert, in denen “der West­en” inter­ve­niert hat, um Frei­heit und Demokratie zu brin­gen, zumal die Gesellschaft­struk­tur Libyens eher Afghanistans gle­icht, als jet­zt bspw. der Ex-Jugoslaw­iens. Im Rev­o­lu­tion­srat sind diesel­ben Scher­gen vertreten, die noch vor ein paar Monat­en Teil des Regimes waren. Und nicht die libysche Regierung hat ein Ver­mit­tlungsange­bot der UN aus­geschla­gen, es waren die Rebellen. Schat­ten­premier des TNC bzw. der “Über­gangsregierung” ist im Übri­gen Mah­moud Dschib­ril, unter Gaddafi zuständig für die Pri­vatisierung der staatlichen Ölfelder, mit besten Kon­tak­ten in die USA und nach Frankreich.
    Eine human­itäre Inter­ven­tion ohne Par­tiku­lar­in­ter­essen ist ziem­lich unwahrschein­lich. Wenn es der NATO wirk­lich um Demokratie gin­ge, wäre sie ja wohl auch schon längst in Syrien oder Bahrain. Staat­en, die es nicht ein­mal schaf­fen 0,7 Prozent ihre Brut­toin­land­pro­duk­ts für Entwick­lungszusam­me­nar­beit auszugeben, wer­den sich ihr mil­liar­den­schw­eres Mil­itären­gage­ment auf jeden Fall zurück­zahlen lassen. Deswe­gen ist der Demokratiebe­we­gung mit einem Krieg nicht geholfen.

  4. Was heißt denn eigentlich «wer für den Krieg ist»? Das ist doch Augen­wis­cherei. «Krieg» gab es auch schon vor den NATO-Bomben. Nur eben einen, in dem der Sieger auf­grund kom­plett ungle­ich­er Voraus­set­zun­gen leicht auszurech­nen war. Stell dir mal fol­gende Sit­u­a­tion vor: in D oder sonst­wo bricht eine Rev­o­lu­tion aus; die Leute haben endlich genug von Kap­i­tal­is­mus und par­la­men­tarisch­er Pseu­do­demokratie (also von dem Zus­tand, der aus ägyp­tis­ch­er, lybis­ch­er, syrisch­er Warte als erst­mal erstrebenswert erscheint). Nun passt dem BND und der Bun­deswehr das gar nicht; es kommt zum Bürg­erkrieg. Die Kräftev­er­hält­nisse sind bekan­nt. Wärst du dann nicht für jede mil­itärische Hil­fe für die rev­o­lu­tionäre Seite dankbar?
    Zu der Sache mit der unklaren Moti­va­tion­slage der NATO resp. Frankre­ich, USA etc.: Nie­mand glaubt doch, sie täten das «nur» aus human­is­tis­chen Gesicht­spunk­ten. Das wäre in der Tat naiv, sagt aber auch nie­mand. Aber selb­st bei unklar­er oder gemis­chter Motivlage (selb­stver­ständlich ver­fol­gen kap­i­tal­is­tis­che Staat­en kap­i­tal­is­tis­che Inter­essen, deswe­gen heißen sie ja so), ist umgekehrt die Motivlage des Gaddafi-Sys­tems völ­lig klar: mit brachialer Gewalt die eigene Herrschaft sich­ern. Diese Tat­sache in den Über­legun­gen zu ignori­eren ist zynisch.

  5. Du hast natür­lich recht, wenn du fest­stellst, dass schon vor den NATO-Bomben Krieg in Libyen herrschte. Krieg begin­nt mit der Vertei­di­gung des Ange­grif­f­e­nen, lehrt uns Clause­witz, ob der Ange­grif­f­e­nen jet­zt der Staat war oder die Zivil­bevölkerung ist dabei uner­he­blich. Für nicht uner­he­blich halte ich hinge­gen die Über­legung, ob ich mich an einem solchen beste­hen­den Krieg jet­zt direkt (selb­st hinge­hen) oder indi­rekt (Bun­deswehr hin­schick­en) beteilige, und damit (so oder so) die bewaffnete Auseinan­der­set­zung befördere. Auch wenn, wie hier, eine UN-Res­o­lu­tion das Ein­greifen der Staatenge­mein­schaft sog­ar völk­er­rechtlich legit­imiert, spricht mich das nicht — sofern es mir nicht egal ist — von mein­er moralis­chen Ver­ant­wor­tung frei, mich entschei­den zu müssen, ob ich das mil­itärische Ein­greifen in einen beste­hen­den Bürg­erkrieg für gerecht­fer­tigt und vor allem zielführend halte. Ist das UN-sank­tion­ierte Ermor­den schwarzafrikanis­ch­er Söld­ner in Libyen jet­zt die realpoli­tis­che ulti­ma ratio oder nicht? Nichts anderes meine ich mit mein­er etwas verkürzten For­mulierung “Wer für Krieg ist”.
    Keineswegs ignoriere ich, dass das Gaddafi-Sys­tem unmen­schlich ist und zur Machter­hal­tung nicht davor zurückschreckt sein eigenes Volk zu mas­sakri­eren. Ich denke auch, dass er unbe­d­ingt gestoppt wer­den muss. Evtl. wird durch die Flugver­bot­szone ja auch tat­säch­lich größeres Leid ver­hin­dert. Krieg allerd­ings für fortschritts­fördernd zu hal­ten, gren­zt schon an Militarismus.
    Und zu dein­er Hypothese: Ja, sich­er wäre ich dankbar für die mil­itärische Hil­fe in rev­o­lu­tionär­er Sache. Der entschei­dende Unter­schied ist aber, dass ich Teil dieser Sache wäre und nicht andere an mein­er Stelle in den Krieg schick­en würde. Außer­dem: Bei ein­er NATO-Unter­stützung für eine antikap­i­tal­is­tis­che Rev­o­lu­tion sollte wirk­lich jed­er skep­tisch werden!

  6. Mit dem Gedanken­spiel wollte ich ja nun keineswegs behaupten, da unten gin­ge es um Antikap­i­tal­is­mus. Dass von der NATO dafür keine Unter­stützung zu haben wäre — eh klar. Was am Ende in Lybi­en hof­fentlich her­auskommt ist ein etwas humaneres Sys­tem mit weniger Willkürherrschaft und min­destens Min­imaldemokratie. Das wäre schon ein Fortschritt. Und ja: dann hätte die Flugver­bot­szone dazu beige­tra­gen. Ob du das dann «Mil­i­taris­mus» nennst oder nicht.
    Im Übri­gen halte ich viele dein­er Ein­wände ja für dur­chaus berechtigt. Wir sind bei­de skep­tisch, tendieren nur am Ende in die andere Richtung.

  7. […] UN-Res­o­lu­tion 1970, die — im Gegen­satz zur Reso­lu­tion 1973 — von allen Mit­glie­der des Sicher­heits­rats ange­nom­men wurde, […]

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