Die Lyrik nicht vergessen
In deutscher Sprache wird ja ne Menge zusammengedichtet. Manches auch neu und schön und lesenswert, so etwa die Berlinerin Uljana Wolf, die ein Gedicht geschrieben hat, das aufwachraum I heißt. Und ein anderes, das aufwachraum II heißt.
Unbedingt nicht zu vergessen sind natürlich: der gute alte Ernst Jandl und der frühe Enzensberger, als er noch nicht so bräsig war wie jetzt. Also z.B. “ins lesebuch für die oberstufe” von 1957. Das ging so:
lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne:
sie sind genauer. roll die seekarten auf,
eh es zu spät ist. sei wachsam, sing nicht.
der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor
schlagen und malen den neinsagern auf die brust
zinken. lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das viertel wechseln, den pass, das gesicht.
versteh dich auf den kleinen verrat,
die tägliche schmutzige rettung. nützlich
sind die enzykliken zum feueranzünden,
die manifeste: butter einzuwickeln und salz
für die wehrlosen. wut und geduld sind nötig,
in die lungen der macht zu blasen
den feinen tödlichen staub, gemahlen
von denen, die viel gelernt haben,
die genau sind, von dir.
Ach ja, Enzensberger, Zivilsationskämpfer der er jetzt ist. Da bleibe ich lieber bei Rolf Dieter Brinkmann.
Die Orangensaftmaschine
dreht sich & Es ist gut, daß der Barmann
zuerst auf die nackten Stellen eines
Mädchens schaut, das ein Glas kalten
Tees trinkt. “Ist hier sehr heiß,
nicht?” sagt er, eine Frage, die
den Raum etwas dekoriert,
was sonst? Sie hat einen kräftigen
Körper, und als sie den Arm
ausstreckt, das Glas auf
die Glasplatte zurückstellt,
einen schwitzenden, haarigen
Fleck unterm Arm, was den Raum
einen Moment lang verändert, die
Gedanken nicht. Und jeder sieht, daß
ihr’s Spaß macht, sich zu bewegen
auf diese Art, was den Barmann
auf Trab bringt nach einer langen
Pause, in der nur der Ventilator
zu hören gewesen ist wie
immer, oder meistens, um
diese Tageszeit.