Fotografischer Adventskalender 15 (Salomon, 1931)
“Ah! Le voilà! Le roi des indiscrets!”
Im Jahr 1928 begann die „Berliner Illustrirte Zeitung“, ungewöhnlich lebendige Schnappschüsse von den Mächtigen der Welt zu veröffentlichen. Die Politiker, die bis dahin immer mit ernsten und reservierten Mienen am Konferenztisch dargestellt wurden, erschienen plötzlich als menschliche Wesen, die Witze machten, gähnten, dösten und beim Essen plauderten. Der Fotograf, der für diese kleine Revolution verantwortlich war, hieß Erich Salomon. Der promovierte Jurist war mehr oder weniger aus Zufall Fotograf geworden, doch schon bald sollte sich durch ihn die Art der Bildberichterstattung von Grund auf ändern. Seine Bilder wurden in der ganzen Welt publiziert und er erfand für seinen Beruf die Bezeichnung „Bildjournalist“.
Erich Salomons wohl berühmteste Aufnahme entstand 1931 bei einem Empfang im Pariser Quai d’Orsay. Fotografen waren nicht zugelassen, aber der französische Außenminister Aristide Briand wettete, dass einer trotzdem da sein würde. Als er Salomon sah, triumphierte er: „Ah, le voilà! Le roi des indiscrets!“ Der Beginn einer bis heute existierenden Ambivalenz der Upper-Class zur Öffentlichkeit; besser bekannt unter dem Titel: sehen und gesehen werden. Denn der gleiche französische Außenminister, der den Fotografen als König der Indiskretionen schmähte, wird mit auch mit den Worten „Was ist schon eine internationale Konferenz, wenn Salomon nicht dabei ist …“ zitiert.
Um es zu einer solch zweifelhaften Reputation zu bringen, musste Erich Salomon einiges an technischer Rafinesse aufwenden, damit ihm seine berühmten Schnappschüsse gelangen. Wenige Monate nach seinen ersten fotografischen Erfahrungen erwarb er eine Ermanox-Kamera. Das war ein neu entwickeltes, relativ kleines, nach damaligen Maßstäben äußerst lichtstarkes Gerät (Objektiv f 1:2, Schlitzverschluss 1/20–1/1000 sec). Es erlaubte Momentaufnahmen auch bei schwachem Licht, Fotos in Innenräumen ohne Stativ und Blitzlicht. Verwendet wurden Glasplatten von 4,5 × 6 cm in Einzelkassetten, von denen man problemlos eine größere Anzahl bei sich tragen konnte. 1930 kam eine Leica hinzu – noch leichter und unauffälliger als die Ermanox. Zudem entwickelte Salomon einiges Zubehör, um seine Kameras notfalls zu verbergen: ein manipuliertes Hörgerät, einen großen, schwarzen Verband für einen scheinbar gebrochenen Arm, ausgehöhlte Bücher und einige Diplomatenköfferchen mit zweckdienlichen Öffnungen.
Nach seinen ersten Erfolgen als Fotoreporter löste Salomon die feste Verbindung zu Ullstein, um als unabhängiger Fotoreporter zu arbeiten. Nach kurzer Zeit war er ein Star unter seinen Berufskollegen, seine Bilder erschienen in vielen deutschen und internationalen Blättern; er war einer der ersten, die ihre veröffentlichten Fotos namentlich zeichneten. In fünf Jahren lieferte er etwa 350 Reportagen, meist Aufnahmen von internationalen Konferenzen und aus den gesellschaftlichen Zentren der Weimarer Republik, Westeuropas und der USA.
Aufgrund seiner jüdischen Herkunft war er 1933 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Er floh nach Holland, dem Heimatland seiner Frau, und setzte seine Arbeit von dort aus mit eingeschränktem Wirkungskreis fort. 1940 überfielen und besetzten die Nazis das Land. In Den Haag wurde er denunziert, verhaftet und mit seiner Frau und dem jüngeren Sohn zuerst in das KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz verschleppt. Dort wurden Erich Salomon und seine Familie 1944 ermordet (nach Unterlagen des Roten Kreuzes wahrscheinlich am 7. Juli 1944).