“Freude über Fukushima”
Zwei unabhängig voneinander geschriebene Beiträge auf zwei der wenigen Blogs, die ich regelmäßig lese, gehen kritisch mit jenen ins Gericht, die bei Atomkraftgegnerinnen «Freude» über den GAU von Fukushima unterstellen. Georg Seeßlen wirft dem Kabarettisten Dieter Nuhr vor, mit der Nichtpointe, es widere ihn an, dass sich bei manchen Atomkraftgegnern die «Freude über das Rechthaben» dem «Mitleid mit den Opfern» überwiege, billig auf Applausfang gegangen zu sein — und dem wohlwollend über Nuhr berichtenden FAZ-Rezensenten seinen Applaus. Und Felix Riedel schreibt einen sehr langen (an keiner Stelle zu langen) und sehr lesenswerten Text mit einer in die gleiche Richtung zielenden Kritik:
Die [Gegner der Kernkraftgegner] beweisen nämlich derzeit, dass sie aus dem beinharten Holz des autoritären Charakters gestrickt sind. Wo man mit gebildeteren Kernkraftgegnern manche Stunde über technische Bedingungen und physikalische Abläufe von und in Kernkraftwerken diskutieren kann, weil die Gegnerschaft anders als das Mitläufertum einen zumindest rudimentären intellektuellen Prozess und Interesse notwendig voraussetzt, regiert hier die Halluzination und das Ressentiment. „Freude“ an der vierfachen Havarie wird unterstellt, wo real Empathie, Angst und Betroffenheit verlautbart wurde. Der Antagonist von Freude ist weniger Trauer als Schuld und diese wird pathisch projiziert als Freude der Kernkraftgegner. Eine solche Projektion muss zwangsläufig bösartig werden, und diese Bösartigkeit äußert sich in einem faschistoiden Regress.
So richtig und notwendig die Kritik am Insinuieren, am verleumderischen Geraune ist — ich glaube es gibt etwas, was daran nicht stimmt.
Den «Gegnern der Atomkraftgegner» wird unterstellt (!), deren Unterstellungen seien völlig haltlos («halluzinatorisch»), daher eigentlich nur durch böse Absicht oder tiefenpsychologisch zu erklären. Was aber, wenn sie so unrecht nicht hätten, wenn es so etwas wie «Freude über Fukushima» gar nicht so vereinzelt bei Atomkraftgegnerinnen tatsächlich gäbe? Freude ist so eine Sache, eine Angelegenheit mit vielen Abstufungen. Rede ich mal nur von mir (unterstelle aber, dass ich nicht komplett singulär ticke): Als (inaktiver, shame on me!, aber überzeugter) Atomkraftgegner habe ich zwar nicht vor Freude auf den Tischen getanzt und sicher keine Sektkorken knallen lassen. Dass sich aber, als sich der GAU immer mehr abzeichnete und gleichzeitig überall die Diskussion über «die Zukunft dieser Energieform» losging, in meine Empathie auch gewisse Hoffnungen, eine gewisse Genugtuung, eine gewisse «Freude» mischten, würde ich nicht vehement abstreiten.
Denn unmittelbar klar wurde ja: Nur mit diesem GAU rückt der Ausstieg in vielen Ländern, die über eine wenigstens halbwegs kritische Öffentlichkeit verfügen, in greifbare Nähe. Nur bei realem Unfall lassen sich z.B. in D die Politikerinnen der Union (manche jedenfalls, und die Kanzlerin scheint momentan dazuzugehören) von der Notwendigkeit des Ausstiegs überzeugen. Mit allem Räsonnieren, allem wenn und aber, allem Argumentieren, derartige Unfälle ließen sich nie und nimmer ausschließen, war ihnen ja jahrzehntelang nicht beizukommen (es gab auch ehrenhafte Ausnahmen, Klaus Töpfer z.B., der sich schon vor Fukushima als lernfähig erwiesen hat). Auch die SPD ist erst durch Tschernobyl zur Anti-AKW-Partei geworden.
Es wäre erstens zu unterscheiden zwischen der Freude über den Beweis der realen Möglichkeit des Unfalls (ja) und der Freude über das Leid der Verstrahlten (natürlich nicht); zweitens ganz deutlich zu sagen, dass auch erstere sich nur aus der überaus widerlichen Politik der Atomkraftbefürworterinnen und Stromkonzernlobyistinnen ergibt (als conditione sine qua non). Wir Gegnerinnen haben den Beweis nie gebraucht, die Möglichkeit hat uns stets gereicht. An meiner Freude über Fukushima (und der vieler anderer Kernkraftgegnerinnen, insinuniere ich) trage nicht ich, sondern tragen einzig und allein die «Gegner der Atomkraftgegner» die Schuld, die durch ihre anhaltende Idiotie (oder ihren puren Zynismus, was weiß ich) eine ungefährlichere Energiepolitik verhindert haben und unbedingt weiter zu verhindern gewillt zu sein scheinen.
Die Ambivalenz der Freude rauszulassen ist tatsächlich eine Schwäche meines Artikels, bei der ich lange überlegte, sie nachzuarbeiten. Ich kam nicht dazu. Heute würde ich sagen, dass sich eine gewisse Freude übers Rechthaben und Trauer gar nicht notwendig ausschließt, bzw. nicht die inzestuöse Verwerflichkeit beinhaltet, die ihr unterstellt wird. Zumal es keinerlei Trauerwachen von AKW-Freunden gab und gibt. Ich würde schärfen und darauf beharren, dass das Moment der Freude für die Grünenhasser das entscheidende, zurechthalluzinierte Moment war, an dem Rechthaben und Nichtrechthaben hochkristallisiert wurde, nicht aber für die Anti_AKW-Leute. Ich habe dennoch eher Wut und Trauer auf meinen Gesprächen eingefangen, die Freude war allenfalls eine partielle, aufflackernde, hoffnungsvolle, dass es nun da es so schlimm kommt, möglicherweise endlich genug sein könnte und man seine Energie auf wichtigeres und weniger wichtiges verschwenden könnte als imme rnoch gegen AKWs anzurennen.
Fukushima war in erster Linie eine Naturkatastrophe. Mit der Betonung auf “Natur” .
Es war kein Reaktorunfall. Dies wird von allen “Naturfreunden” gern vergessen.
Lieber Atomfred, eine Naturkatastrophe allein hätte wohl kaum ein ganzes Gebiet radioaktiv verseucht. Natürlich war es ein Reaktorunfall, und was für einer! Oder ist ein Autounfall nur wenn das Auto von allein implodiert? Schönen Gruß, der Naturfreund
Lieber Naturfreund,
der “Reaktorunfall” war eine direkte Folge eines Tsunamis und damit einer Naturkatastrophe. Dein Vergleich mit einem Autounfall ist einfach nur unsinnig und unlogisch noch dazu.
Mein Tip. Sich einfach mal an den Fakten orientieren und von diesen dann Schlußfolgerungen ziehen.
Das das AKW niemals in Japan direkt am Meer errichtet hätte werden dürfen, steht außer Frage, da Tsunamis in Japan eine ständige Bedrohung sind. Auf diese Gefahr hat man die Japaner auch oft hingewiesen.
Worum es mir geht, ist gegen die Berufsinterpretierer anzuschreiben, die meinen sie hätten die Lufthoheit über die Deutung. Tatsächlich versuchen sie nur Propaganda mit der Angst der Menschen zu machen. Angebliches Waldsterben, angeblicher Klima wandel, etc. .
Ich bin übrigens nur für bezahlbaren Strom und keinesfalls unbedingt für AKWs.
Nullrisiko gibt es im Leben nicht.
Gruß
Atom
Der Vergleich war so gemeint: Wenn ein Hase vor’s Auto läuft und das fährt daraufhin vor einen Baum, Fahrer tot, dann ist das doch ein Autounfall, obwohl die Natur die Ursache war, oder?
Aber eigentlich ist das auch ziemlich egal, weil das Hauptproblem bei AKW-Unfällen ja die immens desaströse Wirkung ist. Dabei ist die Ursache, ob “menschliches Versagen”, “Naturkatastrophe”, “technischer Defekt” oder “terroristischer Anschlag”, unerheblich. Das Problem mit der Kernenergie ist die Unkontrollierbarkeit im Fall des GAUs — völlig unabhängig davon, was diesen ausgelöst hat.
Und Nullrisiko eines GAUs gibt es im Leben eben sehr wohl: einfach alles abschalten!
Lieber Naturfreund,
Analogien nennt man ja nicht umsonst auch Analogiefallen. Sie vergleichen hier Äpfel mit Birnen.
Einfach alles abschalten ist auf dieser Welt mit 7 Milliarden Menschen realitätsfern.
Darüberhinaus hat Schweden den Austieg vom Ausstieg gemacht, England baut neue AKWs, Japan scheint es sich auch wieder anders zu überlegen.
Meine These lautete, daß Fukushima in erster Linie eine Naturkatastrophe war. Das konnten sie nicht widerlegen. Sie haben aber recht mit dem Nullrisiko. Das bedeutet dann aber für viele Menschen auf “Leben” zu verzichten.
Auf das Autofahren wird aber nicht verzichtet. Trotz der Hasen. Und der Wildschwine. Und nicht zu vergessen der Rehe. Es geht wohl doch nicht ohne Risiko.
Wie dem auch sei. Man kommt aus diesem Leben nicht lebendig heraus.
Gruß und einen guten Rutsch ins Neue Jahr
atom
Gruß