Zwei unabhängig voneinander geschriebene Beiträge auf zwei der wenigen Blogs, die ich regelmäßig lese, gehen kritisch mit jenen ins Gericht, die bei Atomkraftgegnerinnen «Freude» über den GAU von Fukushima unterstellen. Georg Seeßlen [1] wirft dem Kabarettisten Dieter Nuhr vor, mit der Nichtpointe, es widere ihn an, dass sich bei manchen Atomkraftgegnern die «Freude über das Rechthaben» dem «Mitleid mit den Opfern» überwiege, billig auf Applausfang gegangen zu sein — und dem wohlwollend über Nuhr berichtenden FAZ-Rezensenten [2] seinen Applaus. Und Felix Riedel [3] schreibt einen sehr langen (an keiner Stelle zu langen) und sehr lesenswerten Text mit einer in die gleiche Richtung zielenden Kritik:
Die [Gegner der Kernkraftgegner] beweisen nämlich derzeit, dass sie aus dem beinharten Holz des autoritären Charakters gestrickt sind. Wo man mit gebildeteren Kernkraftgegnern manche Stunde über technische Bedingungen und physikalische Abläufe von und in Kernkraftwerken diskutieren kann, weil die Gegnerschaft anders als das Mitläufertum einen zumindest rudimentären intellektuellen Prozess und Interesse notwendig voraussetzt, regiert hier die Halluzination und das Ressentiment. „Freude“ an der vierfachen Havarie wird unterstellt, wo real Empathie, Angst und Betroffenheit verlautbart wurde. Der Antagonist von Freude ist weniger Trauer als Schuld und diese wird pathisch projiziert als Freude der Kernkraftgegner. Eine solche Projektion muss zwangsläufig bösartig werden, und diese Bösartigkeit äußert sich in einem faschistoiden Regress.
So richtig und notwendig die Kritik am Insinuieren, am verleumderischen Geraune ist — ich glaube es gibt etwas, was daran nicht stimmt.
Den «Gegnern der Atomkraftgegner» wird unterstellt (!), deren Unterstellungen seien völlig haltlos («halluzinatorisch»), daher eigentlich nur durch böse Absicht oder tiefenpsychologisch zu erklären. Was aber, wenn sie so unrecht nicht hätten, wenn es so etwas wie «Freude über Fukushima» gar nicht so vereinzelt bei Atomkraftgegnerinnen tatsächlich gäbe? Freude ist so eine Sache, eine Angelegenheit mit vielen Abstufungen. Rede ich mal nur von mir (unterstelle aber, dass ich nicht komplett singulär ticke): Als (inaktiver, shame on me!, aber überzeugter) Atomkraftgegner habe ich zwar nicht vor Freude auf den Tischen getanzt und sicher keine Sektkorken knallen lassen. Dass sich aber, als sich der GAU immer mehr abzeichnete und gleichzeitig überall die Diskussion über «die Zukunft dieser Energieform» losging, in meine Empathie auch gewisse Hoffnungen, eine gewisse Genugtuung, eine gewisse «Freude» mischten, würde ich nicht vehement abstreiten.
Denn unmittelbar klar wurde ja: Nur mit diesem GAU rückt der Ausstieg in vielen Ländern, die über eine wenigstens halbwegs kritische Öffentlichkeit verfügen, in greifbare Nähe. Nur bei realem Unfall lassen sich z.B. in D die Politikerinnen der Union (manche jedenfalls, und die Kanzlerin scheint momentan dazuzugehören) von der Notwendigkeit des Ausstiegs überzeugen. Mit allem Räsonnieren, allem wenn und aber, allem Argumentieren, derartige Unfälle ließen sich nie und nimmer ausschließen, war ihnen ja jahrzehntelang nicht beizukommen (es gab auch ehrenhafte Ausnahmen, Klaus Töpfer z.B., der sich schon vor Fukushima als lernfähig erwiesen hat). Auch die SPD ist erst durch Tschernobyl zur Anti-AKW-Partei geworden.
Es wäre erstens zu unterscheiden zwischen der Freude über den Beweis der realen Möglichkeit des Unfalls (ja) und der Freude über das Leid der Verstrahlten (natürlich nicht); zweitens ganz deutlich zu sagen, dass auch erstere sich nur aus der überaus widerlichen Politik der Atomkraftbefürworterinnen und Stromkonzernlobyistinnen ergibt (als conditione sine qua non). Wir Gegnerinnen haben den Beweis nie gebraucht, die Möglichkeit hat uns stets gereicht. An meiner Freude über Fukushima (und der vieler anderer Kernkraftgegnerinnen, insinuniere ich) trage nicht ich, sondern tragen einzig und allein die «Gegner der Atomkraftgegner» die Schuld, die durch ihre anhaltende Idiotie (oder ihren puren Zynismus, was weiß ich) eine ungefährlichere Energiepolitik verhindert haben und unbedingt weiter zu verhindern gewillt zu sein scheinen.