Freunde backen
Vor nicht allzuvielen Jahren kam in der Lebensmittelbranche ein neuer Trend auf. SB, also Selbstbedienung. Gut so ganz neu war die natürlich nicht, aber im Bäckereihandwerk durchaus mit Ausdruck “noch nie dagewesen” zu bezeichnen. Im Grunde war die Einführung der SB eine Konsequenz aus der vorangegangenen Phase der Industrialisierung/Rationalisierung des Brotbackens, die vor allem in der Nachkriegszeit betrieben wurde. In dieser Zeit wurden erstmals Supermärkte mit abgepackten, “frischen” Broten aus den modernen Brotfabriken beliefert. Diese Großbäckereien, den alteingessenen Handwerksbetrieben in Produktivität und Kostenmodell überlegen, waren natürlich in der Lage, den Markt radikal zu ändern. Zudem hatten sie mit der lukrativen Supermarktbelieferung auch das nötige Kapital, kleinere Bäckereien zu übernehmen, und so ihr Filialnetz auszubauen, wodurch die Fabriken eine höhere Rendite abwarfen.
So kam nach und nach ein Konzentrationsprozess in Gang, der bis heute anhält, so dass selbst kleine, immer noch familien-geführte Bäckerein mittlerweile eine zentrale Backstätte besitzen, und von dort mehrere Filialen beliefern. Der einzige Bäcker, der in meinem Veedel noch jeden morgen selbst in der Backstube steht, und anschließend seine Brote selbst verkauft, ist der türkische Bäcker mit seinem kleinen Sortiment, und dem unglaublich guten Pide, dass, frisch aus dem Ofen, weggeht wie warme Semmeln. Alle anderen Läden sind mit mehr oder weniger kompetenten und freundlichem Personal ausgestattet, dass ab und zu eine neue Lieferung annimmt, oder dann und wann mal eine Ladung Tiefkühlbrötchen in den Ofen schiebt. Die Hauptaufgabe dieses Personals, die Bedienung der Kundschaft, wird in der SB-Bäckerei ersatzlos gestrichen, da gibt es nur noch Teilzeit-Zeitarbeits-Personal, dass abkassiert, und Öfen bedient.
Ein infinitesimaler Unterschied, will man meinen, doch im Handwerks- und Traditionsland BRD hatten diese SB-Bäckereien einen Nachteil. Sie hatten weder Handwerk, noch Tradition zu bieten, die bei alteingesessenen Bäckerein vor allem im Familiennamen, und der häufig damit angeblich verbundenen, jahrhunderte alten Bäckereitradition. Sie versuchten daraus einen Vorteil zu machen, und gaben sich neue, poppige Namen, wie etwa Backwerk, jene Firma, der nachgesagt wird, sie habe die SB-Bäckerei erfunden. Und dann gab es noch Billy Back. Doch hat sich nach ein paar Jahren herausgestellt, dass Billy Back als Firmenname eher mindergeeignet ist. Vielleicht gab es zu viele Assoziationen mit Billig Back, (Otto) Schilly Back, oder Billy Doof, bzw. Billy Boy. Nun ja, scheinbar lief es mit dem alten Namen nicht mehr so recht, da wurde die gesamte Kette an die Bäckerei Middelberg verkauft, die seit 2002 im SB-Geschäft mitmischt. Die hat zwar nichts an der bescheidenen Ausstattung der “Filialen”, der schlechten Bezahlung der Angestellten, oder dem Sortiment verändert (mein Favorit: Geflügelrolle spezial, mit 29% Separatoren-Geflügelabfallfleisch, wohlgemerkt: Die 29% beziehen sich auf das ganze Produkt, nicht nur auf die innen liegende Geflügelwurst), sondern den Namen geändert.
Denn Middelberg besitzt Tradition. Seit über hundert Jahren backen Middelbergsche Männer und Frauen schon Brot und Brötchen. Und alles, was älter als hundert Jahre ist, findet der moderne Konsument ohne hinzuschauen gut. Und wenn dem modernen Konsumenten in einer Weltwirtschaftskrise 1000 Jahre versprochen werden…na gut, lassen wir das. Um das SB-Geschäft zu steuern hat die Bäckerei Middelberg das Konzept “Baking Friends” entwickelt, und sich zum erfolgreichen Franchise-Geber gemausert. Ob es nun auch mit Billy Back, dem Schlecker unter den SB-Bäckereien, unter neuem Namen klappt, bleibt abzuwarten. Doch wer sein bundesweites Franchisesystem “Baking Friends” nennt, der sollte aber mal ganz schnell einen native speaker seiner Wahl aufsuchen, oder eine Kooperation mit Facebook eingehen. Dann kann man sich demnächst mit einem Mausklick einfach neue Freunde backen. Der passende Name: Stutenkerl 2.0
Im Grunde ist das mit der SB doch super, so ähnlich stelle ich mir das im Kommunismus vor: Rein in den Laden, nehmen, was man braucht, wieder raus. Der — leider etwas weniger infinitesimale, als der von dir beschriebene — Unterschied, besteht nur noch im Bezahlen. Aber es ist wie so oft: Der principielle Fortschritt sieht im Kapitalismus wie Rückschritt aus. Die Einsparung von Arbeitskraft hat die Fratze von dann doch wieder überarbeiteten — Ofen und Kasse simultan bewirtschaftenden — Niedrigentlöhnten und Untergemütlichkeitsambiente im Ladenlokal.
Trotzdem: Es gibt diese Erfindungen, die einen (nur heute noch bitteren) utopischen Beigeschmack haben. Ähnlich auch die Gemüsetüte vom regionalen Biohof. Hier in Zürich kann man sich bei einer bestimmten Adresse bestellen, was man braucht (Gemüse-Mix, Eier, Kartoffeln, Joghurt, Milche, Karotten etc.) und das dann an einem Tag in der Woche in einem offenen Keller im Veedel abholen gehen. Wieder besteht der Unterschied zur befreiten Gesellschaft nur im Bezahlen. Will sagen: im momentanen System entwickeln sich nicht nur Produktivkräfte, die seine Abschaffung erleichtern, sondern auch bereits eine proto-postrevolutionäre Infrastruktur. (Für Supermärkte, Abos und Flatrates aller Art gilt im Übrigen dasselbe.)