Guttenberg und das geistige Eigentum

Ein Dieb und ein Betrüger ist unser Vertei­di­gungsmin­is­ter. Aber ist er ein “Vorkämpfer für freie Kul­tur”, wie keim­form sug­ges­tiv fragt? Ist er natür­lich nicht, weil er kein Bewusst­sein für “freie Kul­tur” hat, was auch immer man unter diesen Begriff fassen möchte. Aber vielle­icht ist der aktuelle Fall ja ein her­vor­ra­gen­des Beispiel für die diskrepan­ten Wis­senschafts- und Eigen­tums­be­griffe, weil die Bruch­lin­ien sich an unvorherge­se­henen Stellen abze­ich­nen, wenn selb­st die FAZ einen zusam­mengeklaubten Abge­sang auf den Frei­her­rn und die bürg­er­liche Presse singt.

Die Wis­senschaft” hat in den kon­ser­v­a­tiv­en Vorstel­lun­gen wohl immer noch eine ide­al­isierte Auf­gabe. Hier herrschen noch uni­verselle Prin­cip­i­en, Grund­kon­stan­ten, unab­hängig von Kap­i­tal und Poli­tik, deren Wider­legung Frev­el ist. Die Pro­fes­soren melden sich auch, und sprechen von Schande und der­gle­ichen mehr. Doch uner­wartet schließt sich auch keim­form diesem glo­ri­fizierten Wis­senschafts­bild an, wie sich später zeigen wird. Der ein­lei­t­ende Exkurs

So ist auch bei der Freien-Soft­ware- und Freien-Kul­tur-Bewe­gung, wo das „geistige Eigen­tum“ oft expliz­it zurück­gewiesen wird, die Attri­bu­tion, also die Anerken­nung der Beiträge ander­er, selb­stver­ständlich und wird prak­tisch uni­versell prak­tiziert. Bei den Cre­ative-Com­mons-Lizen­zen wird sie sog­ar von der Lizenz gefordert, bei Freier Soft­ware gehört sie ein­fach zum guten Ton.

erläutert den hier dur­chaus heftig tang­ierten Eigen­tums­be­griff vage anhand eines Beispiels, welch­es ger­ade in den Bere­ichen Software‑, Audio- und Video­ma­te­r­i­al ganz klar von Anbi­etern pro­pri­etär­er Lösun­gen dominiert wird. Dazu kommt noch die Musikin­dus­trie, doch dieses Fass will ich hier gar nicht öff­nen. Denn anscheinend gibt es gewisse wolkige Bere­iche, in denen die Frage nach dem Eigen­tum nicht gestellt wird. Z.B. Wissenschaft:

Und für die Wis­senschaft gilt das­selbe. Nicht umson­st gibt es das Schlag­wort vom Wis­senskom­mu­nis­mus, das sich auf die Selb­stver­ständlichkeit bezieht, mit der man in der Wis­senschaft auf den Erken­nt­nis­sen ander­er nicht nur auf­bauen darf, son­dern auf­bauen soll. 

Die Idee eines Wis­senskom­mu­nis­mus, und sei es nur als wortkarg in den Raum gestelltes Schlag­wort, wurde von Robert Mer­ton erdacht. Auch bei ihm gibt es kein Eigen­tum, son­dern “echte und unechte Wis­senschaft”. Die laut Mer­ton unechte, weil nation­al­sozial­is­tisch finanzierte Raketen­wis­senschaft war allerd­ings ein paar Jahre später Grund­lage der erfol­gre­ichen Apol­lo-Pro­gramme. Doch nicht nur diese empirische Wider­legung spricht gegen die Idee eines Wis­senskom­mu­nis­mus, denn die akademis­che Real­ität kann mit diesem Mod­ell eben­falls nicht suf­fizient erk­lärt wer­den. Vielmehr ist es doch so, dass Klassen­struk­turen im akademis­chen Betrieb abge­bildet wer­den. Das Wis­senschaft­spro­le­tari­at aus HiWis, Dok­toran­den, Post-Docs, Pri­vat­dozen­ten schafft doch erst den Erken­nt­nis-Mehrw­ert, den Pro­fes­soren rund um den Globus repräsen­tieren und üblicher­weise auch verkaufen müssen. Der ökonomis­che Druck wurde selb­stver­ständlich auch an die Uni­ver­sitäten weit­ergegeben. Stu­di­enge­bühren wer­den erhoben, das Urhe­ber­recht zum Nachteil der Uni­ver­sitäten nov­el­liert und Soft­warepatente erheben Anspruch auf grundle­gende math­e­ma­tis­che Meth­o­d­en. Erbgut unter­liegt inter­na­tion­al gestützten Lizen­sierungsansprüchen. Wie man hier die Fra­gen des soge­nan­nten geisti­gen Eigen­tums nicht berück­sichti­gen kann, ist nicht nachvollziehbar.

Zumal ger­ade in diesem Punkt die Causa Gut­ten­berg doch erst richtig inter­es­sant wird, weil die Fron­ten ver­schwim­men. Das Netz (eine unzuläs­sige Ver­all­ge­meinerung, ich weiß) trägt akribisch einzelne Urhe­ber­rechtsver­stöße zusam­men und die bürg­er­liche Presse ver­linkt auf impro­visierte, anonyme Wikis. Eine Umkehrung der Ver­hält­nisse, basierend auf Eigen­tumsvorstel­lun­gen des 18. & 19. Jahrhunderts.

Der oben ange­sproch­ene Peer-Review-Prozess ist aus mein­er Sicht kein ide­al­isiertes, organ­isiertes Kol­leg, son­dern ein mark­tähn­lich­es Geschehen. Forschungsergeb­nisse wer­den wie Pro­duk­te vorher auf ihre Mark­t­tauglichkeit getestet. Je mehr eine Studie sich an den The­o­rie-Mark­t­führern ori­en­tiert, sprich sie zitiert, desto eher wird sie selb­st mark­t­fähig. Da ist das Streben nach Rep­u­ta­tion keine Geistesstörung mehr, wie Chris­t­ian Siefkes behauptet, son­dern ökonomis­che Notwendigkeit. Eine weitaus plau­si­blere Erk­lärung, als die Unter­stel­lung eines Massenwahns.

Einen weit­eren, empirischen Beleg der Über­legen­heit der ratio­nal-marx­is­tis­chen Über­legung find­et man in der Tat­sache, dass ein großer Teil der Forschungsergeb­nisse niemals pub­liziert wird. Eine Tat­sache, die unter dem Namen pub­li­ca­tion bias oder decline effect aktenkundig ist. Damit sind all jene Resul­tate gemeint, die nicht sin­nvoll im Rah­men des herrschen­den Par­a­dig­mas erk­lärt wer­den kön­nen, oder diesem sog­ar direkt wider­sprechen. In den empirischen Wis­senschaften dürfte das unge­fähr einem Drit­tel der Ergeb­nisse entsprechen. Akademis­che Auss­chuss­ware, deren Mark­t­fähigkeit unzure­ichend ist. Pro­to­typen ein­er niemals erfol­gten Massenproduktion.

Gut­ten­berg zu vertei­di­gen […], halte ich für ganz falsch.

Wer möchte dem wider­sprechen? Wer will KT vertei­di­gen? Nie­mand. Abse­hbar. Aber die darüber hin­aus­ge­hende Erken­nt­nis geht dieses mal an keim­form vor­bei, wird sog­ar mit Sug­ges­tivfra­gen und Unge­nauigkeit­en abgewehrt. Diese kog­ni­tive Regres­sion kann ich nicht nachvol­lziehen und verbleibe mit Staunen über der­ar­tige Äußerungen.

5 Meinungen zu “Guttenberg und das geistige Eigentum

  1. Wo und wieso sollte ich denn das Stre­ben nach Repu­ta­tion als “Geis­tes­stö­rung” beze­ich­net haben? Da ist wohl was durcheinandergeräten…

    • Der Wahn ist eine inhaltliche Denksstörung, eine real­itätsab­we­ichende Wahrnehmung. Wer also als xte Nebelk­erze den “Titel-/ Rep­u­ta­tion­swahn” ins Spiel bringt, und sich dessen nach­her noch nicht ein­mal bewußt sein will, dem ist nicht mehr zu helfen. Mit anderen Worten: Where’s the need for delu­sion, when there’s “Wis­senskom­mu­nis­mus”?

  2. Ich ver­suche mich mal als Ver­mit­tler. Chris­t­ian Siefkes meinte mit «wis­senschaftlichen Titel-/Rep­u­ta­tion­swahn», so wie ich ihn ver­ste­he, eben keine indi­vidu­elle Denk-oder Wahrnehmungsstörung, son­dern einen momen­tan all­ge­mein zu beobach­t­en­den, wenn man so will «sys­temis­chen» Zus­tand. Und das Gle­iche meinst du, David, ja auch. Hier herrscht meines Eracht­ens über­haupt kein Dis­sens, son­dern nur Stre­it um Worte.

    Kon­tro­vers­er ist die Frage mit dem Wis­senskom­mu­nis­mus, hier scheint mir eher Diskus­sions­be­darf zu beste­hen. Erst mal bringt das Wort (das noch kein Begriff ist) etwas auf den Punkt, was ja in der Tat bemerkenswert ist: dass Ideen und wis­senschaftliche Erken­nt­nisse (auch solche, die rel­a­tiv teuer hergestellt wer­den mussten) im Unter­schied zu materiellen Gütern frei zirkulieren, von nie­mand eigentlich besessen wer­den (Paten­trecht jet­zt mal aus­geklam­mert). Von da aus hat das Schlag­wort wohl nicht unrecht. Ander­er­seits stimmt natür­lich, was David gegen dich, Chris­t­ian Siefkes, vor­bringt, eben auch: dass näm­lich der tat­säch­liche Wis­senschafts­be­trieb keineswegs kom­mu­nis­tisch, son­dern im Gegen­teil — und wie sollte es anders sein, ist er doch in eine kap­i­tal­is­tis­che gesellschaftliche Umwelt inte­gri­ert — dur­chaus kap­i­tal­is­tisch organ­isiert ist, mit allem was an Ver­w­er­fun­gen sozialer und psy­chis­ch­er Art dazu gehört… Und das sollte man eben auch nicht verschweigen.

  3. @Guido:

    Ich ver­suche mich mal als Ver­mit­tler. Chris­t­ian Siefkes meinte mit «wis­senschaftlichen Titel-/Rep­u­ta­tion­swahn», so wie ich ihn ver­ste­he, eben keine indi­vidu­elle Denk-oder Wahrnehmungsstörung, son­dern einen momen­tan all­gemein zu beobachten­den, wenn man so will «sys­temis­chen» Zus­tand. Und das Gle­iche meinst du, David, ja auch. 

    Genau.

    Ander­er­seits stimmt natür­lich, was David gegen dich, Chris­t­ian Siefkes, vor­bringt, eben auch: dass näm­lich der tat­säch­liche Wis­senschafts­be­trieb keineswegs kom­mu­nis­tisch, son­dern im Gegen­teil — und wie sollte es anders sein, ist er doch in eine kap­i­tal­is­tis­che gesellschaftliche Umwelt inte­gri­ert — dur­chaus kap­i­tal­is­tisch organ­isiert ist, mit allem was an Ver­w­er­fun­gen sozialer und psy­chis­ch­er Art dazu gehört. 

    Natür­lich. Ich habe ja auch bewusst nur vom „Schlag­wort vom Wis­senskom­mu­nis­mus“ gesprochen, mit dem bes­timmte wis­senschaftliche Prak­tiken gemeint sind. Auf die Frage „Ist die Wis­senschaft heute rein kom­mu­nis­tisch oder rein kap­i­tal­is­tisch organ­isiert?“ kön­nte man IMHO nur „wed­er noch“ antworten. Eine reine kap­i­tal­is­tisch organ­isierte Wirtschaft würde über­haupt nicht funk­tion­ieren und eine strikt kom­mu­nis­tis­che Wis­senschaft inmit­ten ein­er anson­sten kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft ist ja schon eine äußerst unplau­si­ble Vorstel­lung, die sich auch mit der gern und zurecht beklagten zunehmenden Durchkap­i­tal­isierung z.B. der Uni­ver­sitäten nicht deckt. Tat­säch­lich ist dieser Wider­spruch – die Wis­senschaft muss kom­mu­nis­tisch sein, um über­haupt funk­tion­ieren zu kön­nen, und sie muss kap­i­tal­is­tisch sein, um in unser­er Gesellschaft existieren zu kön­nen – ein­er der durch alle Wissenschaftler/innen und alle Insti­tu­tio­nen hindurchgeht.

    • Die unter­schiedliche Wah­n­wahrnehmung ist wohl auf meinem Mist gewach­sen. Ärzte haben anscheinend eine konkrete Vorstel­lung von Wahn, und nicht die gesellschaftliche Abstrak­tion davon im Kopf. Den­noch sollte man vor­sichtig sein, wenn man psy­cho­tis­che Phänomene èn masse verteilt. Vor allem, wenn man keine Ahnung hat, woher diese sys­temis­che Störung eigentlich stam­men soll. Ein Stre­it um Worte, mag sein. Doch ist die For­mulierung eines “wis­sen­schaft­li­chen Titel-/Rep­u­ta­tion­swahns” nach der Wahl des Schlag­wortes des “Wis­senskom­mu­nis­mus” eine weit­ere Ver­schleierung. Warum sollte man ein psy­cho­tis­ches Sys­tem­set wählen, um aktuelle Vorgänge in allen Bere­ichen der Wis­senschaften abzu­bilden? Für einen Massen­wahn gibt es kein­er­lei Anze­ichen, und für das Auf­tauchen “sys­temis­ch­er Zustände” keinen Bedarf. Das ist in meinen Augen, und selb­st wenn man schlu­drig sein will, keine Erk­lärung der aktuellen Geschehnisse! Wenn es diesen, der Wis­senschaft anscheinend eige­nen, sys­temis­chen Zus­tand gäbe, wie Gui­do ver­mutet, dann sollte man ihn konkreter beschreiben kön­nen und wollen, und nicht rekur­siv auf Muster der Indi­vid­u­alpsy­cholo­gie zurück­greifen (müssen). Sor­ry, aber da ist die Beschrei­bung ein­fach derbe unge­nau! Rein assozia­tiv klingt beispielsweise:

      Nicht umson­st gibt es das Schlag­wort vom Wissenskommunismus.

      Okay, man muss irgend­was bezahlen, um das Schlag­wort zu bekom­men, aber es ist und bleibt ein Schlag­wort, das in der Diskus­sion um geistiges Eigen­tum keinen Schritt weit­er­hil­ft. Es wird sog­ar noch schlim­mer, denn 

      die Wis­sen­schaft muss kom­mu­nis­tisch sein, um über­haupt funk­tio­nie­ren zu können

      Und ich dachte, es gin­ge um den Eigen­tums­be­griff, aber, hehe, wie man sich irren kann, es geht wohl immer noch um den Wis­senschaft­be­griff! Nur kann man diesen lei­der nicht empirisch bele­gen, denn man denkt sich ihn her­bei. Eine Pro­jek­tions­fläche, in der sich Peer-Shar­ing nicht nur als Daten­pro­tokoll aus­drück­en lässt, son­dern als Aus­tausch unter Gle­ichen. Ich ver­ste­he diese Denke, falsch bleibt sie dennoch.

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