Lyrischer Adventskalender 16 — Papenfuß-Gorek

gesicht im pflaumenschein

der stahlum­man­telung ent-täuscht
ver­bar­rikadiert sich die sonne
hin­term asbest­plat­ten barakkendach
het­zt sie zum “Volkssturm” auf
veren­det in let­zten aufgeboten
; johlende heer­scharen der LUne
die sich zZ als pflaume gebärdet
überantworten’s marine sich selbst
mir grünt saulieb ein todestrieb
woher die erde such denn dreht
(bleibt mein ARKANUM)
isz mir ohne­hin inzwsichensicht
indessen mithin­nahme zu sauer
ist bewußt­seub bzr angesichts
des todes & davon druchdrungen
leben uns ster­ben & sterben
geburtssprung durch den todt
wenn’s drauf ankommt — “’s kommt!”

(Bert Papen­fuß-Gorek, 1984)

Lyrischer Adventskalender 15 — Pastior

Über meinen Schlaf

Früher, wenn ich ein­schlief, kam der Schlaf. Heute,
wenn der Schlaf kommt, schlaf ich schon tief. Der
Schlaf kam damals später, jet­zt schlafe ich früher

ein. Wenn ich tief schlafe, kommt es vor, daß der
Schlaf, wenn er dann kommt, mich noch ein­mal weckt,
bevor ich weit­er tief schlafe. Früher war das so:

ich schlief, und der Schlaf kam. Bloß wenn ich auf-
wachte, war er wieder fort – ein unruhiger Gast.
Jet­zt kommt und geht er etwas ruhiger, während ich

schlafe, und manch­mal ist er plöt­zlich da, wenn ich
wach bin. Dann wache ich auf und sehe, daß er da
ist. Es geht mir der Schlaf durch den Kopf, auch Weit­er­lesen

Lyrischer Adventskalender 14 — Brinkmann

Gedicht

Zer­störte Land­schaft mit
Kon­ser­ven­dosen, die Hauseingänge
leer, was ist darin? Hier kam ich

mit dem Zug nach­mit­tags an,
zwei Töpfe an der Reisetasche
fest­ge­bun­den, Jet­zt bin ich aus

den Träu­men raus, die über eine
Kreuzung wehn. Und Staub,
zer­stück­elte Pavane, aus totem

Neon, Zeitun­gen und Schienen
dieser Tag, was krieg ich jetzt,
einen Tag älter, tiefer und tot?

Wer hat gesagt, daß sowas Leben
ist? Ich gehe in ein
anderes Blau.

Rolf Dieter Brinkmann (1975). In: West­wärts 1 & 2 (Rowohlt)

Lyrischer Adventskalender 13 — Artmann

landschaft 1

eine lin­ie nach der lerche der höhe eine lin­ie nach
der lerche des nestes gelärme im sil­ber­haus der luft

die bahn kommt das dampfroß die eis­erne sache ah
rechts biegt der rausch ab die sonne grast überm tunnel -

farn­grün wirkt fahl geht schat­ten ufer­nd bergwärts
nein und ja klingt  s aus brun­nen­röhren rohren bambussen

aus wiesen­quadrat­en großen seen ohn schwäne es folgt
seinen let­tern aufrecht­en hin­gelegten fal­l­en­des laub

wirkt weit weg drum es steigt doch kein drache steigt
som­mer steigt wind setiegt regen doch steigt keine rose

wie s auch in tabellen heißt: rechne die null ab aber
wie s weit­er heißt: ziehe erträge nach links geregne

an hor­i­zon­ten von nach­barn die sehen den ochsen äsen
alpac­ca­far­ben die sto­er päonienkühe fernab deren kälber

der mond mag junge tiere in mulden in blät­tern­dem salz
der lev­ko­jen­näck­er drin der chi­nese die furche erlernt

die wie ein pfiff die schmetter­lingsknäuel trifft oder
die luft der forste sibiriens reine unbeack­erte erde

(H.C. Art­mann, 1969)

Lyrischer Adventskalender 12 — Krolow

Drei Orangen, zwei Zitronen

Drei Orangen, zwei Zitronen: -
Bald nicht mehr ver­borgne Gleichung,
Formeln, die die Luft bewohnen,
Alge­bra der reifen Früchte!

Licht umschwirrt im wespengelben
Mit­tag laut­los alle Wesen.
Trockne Blu­men ruhn im selben
Augen­blick auf trock­nem Wind.

Drei Orangen, zwei Zitronen.
Und die Stille kommt mit Flügeln.
Grün schwebt sie durch Ulmenkronen,
Selges Schiff, matrosen­heit­er. Weit­er­lesen