Ist der Klimawandel menschengemacht?

Die Frage zu stellen, ob der Kli­mawan­del men­schengemacht ist, set­zt zunächst ein­mal voraus, seine Exis­tenz prin­cip­iell anzuerken­nen. Schon das ist nicht selb­stver­ständlich, wie neben anderen Ernesto Araújo, der desig­nierte Außen­min­is­ter in Jair Bol­sonaros neo­faschis­tis­ch­er Regierung in Brasilien beweist. Auf seinem Blog ließ er neulich ver­laut­en, der Kli­mawan­del sei nicht real, son­dern „ein Kom­plott von Kul­tur­marx­is­ten, um das Wirtschaftswach­s­tum des West­ens zu drosseln“ (zit. nach einem Artikel im Guardian).

Nun deuten aber alle Unter­suchun­gen auf die Real­ität des glob­alen Tem­per­at­u­ranstiegs hin und auf den ersten Blick kön­nen auch keine Zweifel daran beste­hen, dass der Men­sch dessen Ursache ist. An eine „natür­liche“ oder „zufäl­lige“ Verän­derung kann man kaum glauben, zu offen­sichtlich sind doch alle bekan­nten kausalen und sta­tis­tis­chen Zusam­men­hänge von Emis­sio­nen und Kli­maverän­derung. Die über­wälti­gende Mehrheit der Wis­senschaft­lerin­nen (männliche mit­ge­meint) ist sich darin einig. Die Wahrschein­lichkeit, dass der in den let­zten 60 Jahren gemessene Tem­per­at­u­ranstieg ohne men­schliche Emis­sio­nen ähn­lich hoch aus­ge­fall­en wäre, liegt laut ein­er 2014 veröf­fentlicht­en Studie bei etwa 0,001 %. Dass den­noch in eini­gen Län­dern (wie etwa der Schweiz: 44%) nur eine Min­der­heit von der men­schlichen Verur­sachung überzeugt ist und es auch promi­nente Zwei­fler gibt, sagt viel über Ver­drän­gungsmech­a­nis­men, Igno­ranz und Ide­olo­gie und nichts über die realen kausalen Zusammenhänge.

Und den­noch überzeugt mich die These von der Men­schengemachtheit des Kli­mawan­dels nur halb, zumin­d­est ist sie unglück­lich oder unvoll­ständig for­muliert. Wir müssen präzis­er sein. Mein Punkt ist, dass dabei näm­lich die Kausalur­sache falsch attribuiert wird: Es ist ja nicht „der Men­sch“ als ahis­torisches Abstrak­tum, der die Erder­wär­mung verur­sacht. Tat­säch­lich sind wahrschein­lich sog­ar die meis­ten Men­schen, die heute auf der Erde leben, vol­lkom­men unschuldig: Die Emis­sio­nen, die sie zusam­me­nad­diert verur­sachen, wür­den über­haupt keine Verän­derung bewirken.

Der höch­ste Pro-Kopf-Ausstoß von Treib­haus­gasen wird in Aus­tralien, den USA und Sau­di-Ara­bi­en gemessen; die niedrig­sten Werte sind für die afrikanis­chen und südamerikanis­chen Län­der zu verze­ich­nen. Aber auch den Aussies, Amis und Saud­is den schwarzen Peter zuzuschieben, würde zu kurz greifen. Auch sie han­deln ja nicht im geschicht­sleeren Raum, son­dern als Ele­mente größer­er Sys­teme in einem bes­timmten Entwick­lungssta­di­um. Eigentlich leg­en auch die Erwär­mungskur­ven nicht nahe, dass es „der Men­sch“ ist, der die Erwär­mung verur­sacht hat, son­dern, viel spez­i­fis­ch­er, „der Men­sch im 19., 20., 21. Jahrhun­dert, in bes­timmten Erdre­gio­nen, unter den Bedin­gun­gen der kap­i­tal­is­tis­chen Wel­tord­nung“. Mit anderen Worten: Viel sin­nvoller als die Frage „Ist der Kli­mawan­del men­schengemacht?“ wäre „Ist der Kli­mawan­del kap­i­tal­is­mus­gemacht?“. Und viel ein­deutiger müsste die Antwort hier: „Ja!“ aus­fall­en, viel genauer ließen sich die sys­temis­chen Ursachen adressieren und beseitigen.

Auch die Tat­sache, dass, obwohl allen die Dringlichkeit der vom Kli­mawan­del verur­sacht­en Prob­leme offenkundig ist, die inter­na­tionalen Reak­tio­nen auf die Erder­wär­mung vol­lkom­men unzure­ichend sind, lässt sich kaum ein­fach mit men­schlich­er Trägheit erk­lären. Wenn das Klo­häuschen bren­nt, kackt man ja auch nicht see­len­ruhig weit­er. Vielmehr liegt die beängsti­gende und vielle­icht suizidale Trägheit an spez­i­fis­chen Prob­le­men kollek­tiv­en Han­delns unter kap­i­tal­is­tis­chen Bedin­gun­gen (namentlich pri­vat­en Prof­it­in­ter­essen und Konkurrenzwirtschaft).

Ein­wen­den kön­nte man hier vielle­icht, dass die Sow­je­tu­nion und die Ost­block-Staat­en in Sachen Umweltschutz und Treib­haus­gasre­duk­tion auch nicht viel bess­er (in manchen Punk­ten sog­ar schlechter) waren als der kap­i­tal­is­tis­che West­en. Aber erstens war die Kli­maverän­derung zu Zeit­en des „real existieren­den Sozial­is­mus“ noch nicht so bekan­nt und nicht so dringlich wie heute. Zweit­ens han­delte es sich bei dessen Wirtschaftsweise eh auch um eine zu 3/4 kap­i­tal­is­tis­che: Warentausch, Lohnar­beit, Wach­s­tum­sim­per­a­tiv, Konkur­renz zu weit­er entwick­el­nden kap­i­tal­is­tis­chen Staat­en etc. im glob­alen Zusam­men­hang eines kap­i­tal­is­tis­chen Welt­sys­tems. Um den Kap­i­tal­is­mus als entschei­dende Größe kommt man nicht herum.

Ein ander­er Ein­wand kön­nte besagen, dass der Kap­i­tal­is­mus ja nicht notwendig ein Kli­makiller sein müsse (sowenig wie der Men­sch). Allerd­ings wäre der Beweis eines kli­ma­neu­tralen Kap­i­tal­is­mus erst noch anzutreten. Von heute aus betra­chtet ist das ein Wun­schkonz­ert im Wolkenkuck­uck­sheim. Während es immer­hin ca. 100.000 Jahre kli­ma­neu­trale Men­schheits­geschichte gab, hat es bish­er nur einen Kap­i­tal­is­mus gegeben und der ist offen­bar tödlich…

Das let­zte Wort mag Ben­jamin Y. Jong haben, der vor einiger Zeit in der New York Times ganz ähn­liche Gedanken geäußert hat: „The claim here is not that unin­tel­li­gent peo­ple do not do unin­tel­li­gent things, but rather that the over­whelm­ing unin­tel­li­gence involved in keep­ing the engines of pro­duc­tion roar­ing when they are mak­ing the plan­et increas­ing­ly unin­hab­it­able can­not be pinned on spe­cif­ic peo­ple. It is the sys­tem as a whole that is at issue, and every time we pick out bum­bling morons to lament or fresh-faced genius­es to praise is a missed oppor­tu­ni­ty to see plain­ly the neces­si­ty of struc­tur­al change.“

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P.S. (30.12.): Ger­ade lese ich auf der WOZ-Seite, dass Schüler_innen in der Schweiz Mitte Dezem­ber unter dem Mot­to “Keine Zeit für Schule und Arbeit, wir müssen jet­zt han­deln” für eine bessere Klimapoli­tik gestreikt haben. Ihre Forderung: “Sys­tem change, not cli­mate change!”

plinks kw 30/17 Kommentar zum Kartell

Wenn Autoanzün­der Ter­ror­is­ten sind, weil sie Men­schen töten kön­nten, warum sind Auto­bauer, die Men­schen töten, dann keine Terroristen?

http://taz.de/Kommentar-Zukunft-der-Autoindustrie/!5429102/

Unausgegorene Gedanken zu Twelve-Nineteen Unfall oder Unfall?

Am Son­ntagabend (18. Dezem­ber) habe ich mit einem guten Fre­und eine lange Diskus­sion über die Frage indi­vidu­eller Schuld geführt. Dabei habe ich (mehr oder weniger ad hoc) meine These in der For­mulierung zuge­spitzt, dass ich delin­quente Akte – von Taschendieb­stahl bis Mord – sämtlich als gesellschaftliche Unfälle betra­cht­en würde. Am Mon­tagabend (19. Dezem­ber) stand dann die Frage „Unfall oder Anschlag?“ im Raum. Ziem­lich schnell war offen­sichtlich, dass es sich um let­zteres, einen Anschlag, also keinen Unfall handelte.

Mein Argu­ment basiert auf einem kon­se­quenten Deter­min­is­mus. Wil­lens­frei­heit halte ich für eine Chimäre. Jed­er Wil­len­sakt (und damit in der Folge jede intendierte Tat) ist das Ergeb­nis eines Kom­plex­es aus kausalen Fak­toren (biol­o­gis­ch­er, psy­chol­o­gis­ch­er und sozi­ol­o­gis­ch­er, vielle­icht sog­ar mete­o­rol­o­gis­ch­er Natur). Einzelne Straftat­en sind entsprechend Resul­tat ein­er kom­plex­en Geschichte. Die Zurech­nung auf einen Täter ist eine Reduk­tion dieser Geschichte auf ein imag­inäres Agens, eine aus­ge­sprochen unfaire Zurech­nung, wie ich finde, da damit die Schuld unaus­ge­wogen auf ein­er Per­son gebün­delt wird, während sie doch einem ganzen Haufen von (mehr oder weniger stark) Beteiligten zugeschrieben wer­den müsste. Daher halte ich indi­vidu­elle Bestra­fung für ungerecht. Richtiger wäre es, die sozialen Bedin­gun­gen so zu gestal­ten, dass entsprechende Tat­en unwahrschein­lich­er und daher sel­tener werden.

Mit anderen Worten kön­nten wir Unfälle (ver­standen als neg­a­tiv bew­ertete, nicht intendierte Hand­lungs­folge) und Ver­brechen (intendierte Tat­en) gle­ich­be­han­deln – selb­st dann, wenn wir den kat­e­go­ri­alen Unter­schied anerken­nen –, näm­lich in bei­den Fällen ver­suchen dafür zu sor­gen, dass die Bedin­gun­gen der­art sind, dass sie weniger häu­fig (oder weniger heftig) vorkommen.

Inter­es­san­ter­weise passiert genau das bere­its. Zwar fah­n­det die Polizei nach dem/den indi­vidu­ellen Täter/n. Gle­ichzeit­ig läuft aber die öffentliche Diskus­sion so, dass vor allem nach wirkungsvollen Präven­tion­s­maß­nah­men gesucht wird: Wie kön­nen wir ver­hin­dern, dass sich junge Men­schen dem Islamis­mus anschließen? Wie kön­nen wir ver­hin­dern, dass sich Islamis­ten radikalisieren? Wie kön­nen wir ver­hin­dern, dass radikale Islamis­ten an Waf­fen gelan­gen und Anschläge pla­nen? Wie kön­nen wir öffentliche Orte so ausstat­ten, dass sie weniger Angriffs­fläche für Anschläge bieten?

Wo die Debat­te so geführt wird, wird sie in meinem Sinne geführt, wird sie so geführt, wie sie meines Eracht­ens geführt wer­den sollte. Das schließt allerd­ings ein, wie ich zugeben muss, dass die indi­vidu­ellen Täter dingfest gemacht wer­den soll­ten, schon allein weil sie in ihrem radikalisierten Zus­tand eine Gefahr weit­er­er Anschläge darstellen. Hier ist die gesellschaftliche (und ander­weit­ige) Kom­plex­ität doch ziem­lich deut­lich in eini­gen Per­so­n­en gebün­delt, die Reduk­tion der Kom­plex­ität also in gewis­sem Maße sinnvoll.

Trouble with Academia

Unter­hält man sich mit Kol­legIn­nen, die an ein­er Uni­ver­sität arbeit­en, hört man in let­zter Zeit vor allem Kla­gen — über zu geringe Löhne, zu lange Arbeit­szeit­en, zu viele Tätigkeit­en, die einen von der Forschung abhal­ten, und vor allem über viel zu unsichere Zukun­ft­saus­sicht­en. Ich kenne vor allem Leute in den Geis­teswis­senschaften und die haben zum Teil die gle­ichen, zum Teil andere Prob­leme als solche, die an natur- oder sozial­wis­senschaftlichen Fakultäten arbeit­en. Dass fast über­all radikaler Reformbe­darf herrscht, ist aber nicht mehr zu überse­hen. Einen sehr lesenswerten Text zu dem The­ma hat ein ehe­ma­liger PhD-Stu­dent von der École Poly­tech­nique Fédérale de Lau­sanne (EPFL) geschrieben. Er ist hier zu finden.