Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert
Das neueste Wikileaks-Cable hat endlich mal einen nicht boulevardesken Deutschlandbezug: Die USA und Deutschland sind anscheinend zur Zeit dabei, gemeinsam einen geheimen Spionage-Satelliten zu entwickeln, genannt HiROS. Mit ihm soll es möglich sein, per Infrarot auf bis zu 50cm/Pixel heranzuzoomen und demnächst auch in Realtime 3D-Modelle zu modellieren. Getarnt wurde das ganze als ein ziviles Projekt, in Wahrheit haben aber der BND und das DLR die totale Kontrolle über die Einrichtung. Wie es aussieht, wollte Frankreich das Projekt schon seit langem stoppen, war dabei allerdings erfolglos. Und wie es Andreas Eckart, Leiter der Abteilung “Optische Informationssysteme am Institut für Robotik und Mechatronik” des DLR, es darstellt, ist auch “absolut keine Kooperation” mit Frankreich oder irgend einem anderen EU-Land geplant. Das Projekt wurde also ausdrücklich gegen den Willen der europäischen Bündnispartner durchgesetzt, kostet so mal 205 Mio. Euro und soll zwischen 2012 und 2013 einsatzfähig sein, über die kalkulierten 70 Prozent Überkapazitäten dürfen die Amis dann verfügen. Soweit die Meldung. Dementiert wird bereits. Eigentlich skandalös genug, worauf ich aber hinaus will, ist folgendes:
Zuerst gelesen habe ich die Meldung hier, zuerst publiziert wurde sie von der norwegischen Aftenposten, und zwar um 07:45 Uhr MEZ — lobenswerterweise inklusive Original-Cable übrigens. Erst sehr viel später erscheint eine entsprechende Meldung auch auf Spiegel Online. Da der erste Forenbeitrag dort erst um 18:41 erscheint, kann die Meldung frühestens zehn Stunden nach Aftenposten lanciert worden sein kann. Nun kann es auch dem größten deutschen “Nachrichtenmagazin” passieren, dass sie eine Meldung verschlafen und sie dann nachziehen müssen, die journalistische Ehre bzw. Sorgfalt sollte es aber verlangen, zumindest auf die Quelle hinzuweisen. Das tun sie nun aber keiner Stelle. Vielmehr beziehen sie sich auf die ihnen ja vorliegenden und dahinrottenden Wikileaks-Cables (ohne sie zu verlinken), eben jene auf die sich auch Aftenposten bezieht (und verlinkt) und tun so, als ob ihnen die große “Enthüllung” gelungen sei. Es gilt wohl immer noch “Angriff ist die beste Verteidigung”.
Interessantes Detail daran ist, dass Aftenposten nicht zu dem erlauchten Kreis der von Aussänge zum Gelddrucken publizieren erkorenen Medien gehört und die Cables wahrscheinlich über wikileaksinterne Whistleblower erhalten hat. Dem Spiegel lagen die 250.000 Dokumente schon seit Monaten vor, statt aber mal eine Stichwortsuche nach, sagen wir “BND” zu machen, publizieren sie nichtssagende Titel wie zuletzt “Im nächsten Jahr wird alles besser” (52/ 2010) oder schüren Fremdenfeindlichkeit à la “Chinas Welt. Was will die neue Supermacht?” (01/ 2011)!
Wer suchet, der findet. Und wer wegschaut, wird blamiert. Auch wenn das für manche jetzt vielleicht etwas zu sehr verschwörungstheoretisch klingen mag: Einer der jetzigen Chefredakteure des Spiegel, Georg Mascolo, ist beim Spiegel seit Jahren zuständig für Geheimdienstangelegenheiten und hat in dieser Funktion anscheinend genügend Freunde gemacht, denen er jetzt wohl nicht ans Bein pissen will (oder darf?). In einem Leak aus dem Jahre 2006 wird BND-Direktor Foertsch (unter Punkt 179) mit den Worten zitiert (and there is your proof!):
Er habe sowohl zu Hufelschulte vom Focus als auch zu Mascolo vom Spiegel Kontakt gehalten, um die Chance zu haben, dem Bundesnachrichtendienst schädliche Veröffentlichungen verhindern zu können. Teilweise sei ihm dies auch gelungen.
Ich frage mich, sind die Cables beim Spiegel wirklich in guten Händen? Oder waren sie schon bei Wikileaks in den falschen, wie deren ehemalige Mitstreiter von Cryptome glauben? Denn wenn die Viertel Millionen Cables in dieser Geschwindigkeit öffentlich werden, dauert es noch 35 Jahre, bis alles offengelegt ist. Und das sollte das Ziel sein oder etwa nicht?
Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert…
Die Rolle des Spiegels bei der Veröffentlichung über den BND-Spionagesatellitenskandal ist mehr als fragwürdig und verleitet zu Verschwörungstheorien.…
nein, in guten händen sind sie beim spiegel vielleicht nicht.
das ’sturmgeschütz der demokratie’ kann sich aber durch die zusammenarbeit kaum konsequent gegen wikileaks in position bringen, ohne seinen ruf aus alter zeit blatant zu beschädigen. bedenkt man die position, die der spiegel in dem medium hat, aus dem auch wikileaks kommt, war die kooperation vermutlich kein schlechter schachzug.
es lohnt vielleicht, sich das interview von philip banse mit holger stark noch einmal anzuhören. für manche fragestellung aus ihrem artikel ist dort schon eine sprachregelung zu finden.
.~.
Danke für den Tipp mit dem Interview! Sehr gut gefällt mir der Passus “um die Übersichtlichkeit zu verbessern” auf die Frage, weshalb die Original-Depeschen nicht verlinkt werden.