Einseitige Berichterstattung

Medienrechtliches Nachspiel in Athen

Die griechis­che Staat­san­waltschaft und die Athen­er Jour­nal­is­tengew­erkschaft ESIEA haben unab­hängig voneinan­der Ermit­tlun­gen gegen die großen pri­vat­en Medi­enun­ternehmen des Lan­des aufgenom­men. Ihnen wird Parteilichkeit in der Berichter­stat­tung vor dem Ref­er­en­dum am ver­gan­genen Son­ntag vorgeworfen.

Haup­tkri­tikpunkt: Im Vor­feld des Ref­er­en­dums sollen die “Nein”-Stimmen in der Berichter­stat­tung deut­lich weniger Gewicht erhal­ten haben als die “Ja”-Stimmen. Das ver­bi­etet eigentlich das griechis­che Wahlge­setz. Wie das Nachricht­en­por­tal “The­P­ressPro­ject” schreibt, haben die sechs lan­desweit­en TV-Nachricht­ensender ins­ge­samt 8 Minuten und 33 Sekun­den von den “Nein”-Protesten berichtet, “Ja”-Demonstrationen seien mit 48 Minuten und 32 Sekun­den hinge­gen über­repräsen­tiert gewesen.

Nutzung von falschen Bildern, um Angst zu erzeugen

Das spenden­fi­nanzierte Inter­net­pro­jekt, das sich unter anderem aus vie­len Jour­nal­is­ten rekru­tiert, die im Zuge der Krise arbeit­s­los gewor­den sind, nen­nt auch konkrete Beispiele für Manip­u­la­tio­nen. In ein­er Reportage im MEGA Chan­nel, Griechen­lands größtem Fernsehsender, sei demzu­folge behauptet wor­den, dass die von der Regierung einge­führten Kap­italkon­trollen vor den Banken zu kilo­me­ter­lan­gen Warteschlangen geführt haben — bebildert mit wartende Men­schen in Südafri­ka, die wohl Jahre zuvor aufgenom­men wurden.

«ΟΧI» στην ΕΞΌΝΤΩΣΗ

«ΟΧI» στην ΕΞΌΝΤΩΣΗ — “Nein” zur Ver­nich­tung. Athen, 29. Juni 2015. (CC-BY-SA jan­well­man)

Am Wahlt­ag titel­ten so gut wie alle großen Son­ntagszeitun­gen mit einem großen “Ja” auf der Titel­seite und macht­en Stim­mung gegen die Vorschläge der Regierung. Die kon­ser­v­a­tive “Kathimeri­ni” etwa schrieb: “Ja zu Europa, Demokratie und Sta­bil­ität.” In der recht­slib­eralen “Pro­to The­ma” hieß es: “Nein bedeutet die unmit­tel­bare Kürzung der Sparein­la­gen, geschlossene Banken und Gel­dau­to­mat­en.” (Dazu hat Mar­ga Tso­mou übri­gens auch einen lesenswerten Artikel für die Zeit geschrieben.)

Dieser Tenor herrschte auch in den Pro­gram­men aller pri­vat­en Fernsehsender von SKAI über MEGA bis zu ANT1. Für das “Nein”-Lager set­zten sich von den etablierten Medi­en allein die Syriza-Parteizeitung “Avgi” und die Presseko­op­er­a­tive “Zeitung der Redak­teure” ein, außer­dem der öffentlich-rechtliche Sender ERT, der aber tra­di­tionell immer sehr regierungsnah berichtet — unab­hängig von der jew­eili­gen poli­tis­chen Couleur.

Berichterstattung vor Wahlen muss ausgewogen sein

Dass Medi­en Stim­mung für ihr Lager machen, ist in Hel­las an sich nichts Außergewöhn­lich­es. So gehören beina­he aus­nahm­s­los alle Zeitungsver­lage und Fernsehsender großen Fir­men­grup­pen oder mächti­gen Einzelper­so­n­en, die gle­ichzeit­ig Baukonz­erne, Reed­ereien sowie Fußbal­lvere­ine besitzen und ihre Massen­me­di­en nutzen, um in ihrem Sinne Öffentlichkeit zu betreiben. In Griechen­land wer­den sie nur “die Oli­garchen” genannt.

Da im Vor­feld von Wahlen eine unaus­ge­wo­gene Berichter­stat­tung allerd­ings ver­boten ist, hat die Staat­san­waltschaft Ermit­tlun­gen aufgenom­men. Zeit­gle­ich rief die Ethik-Kom­mis­sion der Jour­nal­is­tengew­erkschaft ESIEA die neun wichtig­sten Nachricht­en­sprech­er und Nachrich­t­enchefs zum Rap­port, “um sich den Anschuldigun­gen zu stellen”. In der Pressemit­teilung dazu heißt es:

Statt den uns aufer­legten, stren­gen ethis­chen Regeln zu fol­gen, sind lei­der einige Kol­le­gen, vor allem beim Fernse­hen, dazu überge­gan­gen, ihre jour­nal­is­tis­che Funk­tion mit unver­hohlen­er Pro­pa­gan­da zu ersetzen.

Sind die Ermittlungen politisch motiviert?

Die betrof­fe­nen Jour­nal­is­ten kri­tisieren die Ermit­tlun­gen stark. Dim­itris Kotaridis, ein Jour­nal­ist des zweit­größten Fernsehsenders ANT1 und Schatzmeis­ter der ESIEA, sagte der Zeitung “The Age”, die Ethik-Kom­mis­sion der Gew­erkschaft sei von Syriza-Anhängern unter­wan­dert wor­den. Weil unter den Jour­nal­is­ten keine Mitar­beit­er des öffentlich-rechtlichen ERT seien, gehe er davon aus, dass die Ermit­tlun­gen “poli­tisch organ­isiert” seien.

Auch SKAI-Nachrich­t­enchef Stama­tis Malelis reagiert gereizt auf die Anschuldigun­gen und wen­det sich auf sein­er Face­book-Seite direkt an die Partei von Regierungschef Alex­is Tsipras:

An die vie­len sys­temtreuen Parteigänger: Ihr werdet mich nicht zum Schweigen brin­gen, egal was ihr tut. Keine Macht hat es jemals getan und ihr werdet es auch nicht. Es gibt einen großen Unter­schied zwis­chen uns. Ich habe mein ganzen Leben gear­beit­et, während ihr eure Parteisitze gewärmt habt. Ihr ver­schwen­det eure Zeit mit Dro­hun­gen. Ich knicke nicht ein. Wer Argu­mente hat, hier bin ich!

Der Rundfunkrat ermittel ebenfalls

Zeitungsausschnitt

Deutsche Medien­landschaft: Bild-Beispiel

Die Jour­nal­is­tengew­erkschaft ist mit ihrer Kri­tik allerd­ings nicht alleine. Der Nationale Rund­funkrat (ESR) beklagt eben­falls die unaus­ge­wo­gene Medi­en­berichter­stat­tung (PDF). Die Behörde ist gemäß der Ver­fas­sung Griechen­lands für die Kon­trolle, Ein­rich­tung und Bew­er­tung von Hör­funk und Fernse­hen ver­ant­wortlich. Zur weit­eren Unter­suchung sind die Sender nun aufge­fordert, ihr kom­plettes Pro­gramm der let­zten sieben Tage vor dem Ref­er­en­dum beim ESR einzuschick­en. Der Ver­dacht beste­ht fern­er, dass noch am Wahlt­ag gezielt Stim­mung für ein Lager gemacht wurde — auch das ist laut den geset­zlichen Grund­la­gen in Griechen­land nicht erlaubt. Die Staat­san­waltschaft hat Ermit­tlun­gen aufgenommen.

Zoi Kon­stan­topoulou, Mit­glied der Syriza-Partei und zurzeit Par­la­mentspräsi­dentin, kündigte ihrer­seits an: “Es ist die Pflicht des griechis­chen Par­la­ments, die griechis­che Repub­lik zu vertei­di­gen und dazu Maß­nah­men zu ergreifen, die sich­er­stellen, dass Ver­let­zun­gen des Wahlge­set­zes nicht unges­traft bleiben.” Die “Bild-Zeitung” macht in ihrer Aus­gabe vom 9. Juli daraus “Syriza will offen­bar gegen kri­tis­che Jour­nal­is­ten vorge­hen”, aber das ist eine andere Geschichte.

Geldstrafe zu erwarten, Wahlschlappe schon kassiert

Cross­post­ing

Dieser Beitrag wurde auch im ZAPP-Blog auf NDR.de veröf­fentlicht (allerd­ings ohne die Links…).

Soll­ten die Ermit­tlun­gen der Staatan­waltschaft sich bestäti­gen — und danach sieht es aus -, wer­den voraus­sichtlich lediglich Geld­strafen ver­hängt. Das wäre in Griechen­land nicht das erste Mal, geän­dert hat das aber bish­er wenig. Vor dem Hin­ter­grund, dass die griechis­chen TV- und Radio-Sender schon seit Jahrzehn­ten ohne offizielle Lizenz ihr Pro­gramm ausstrahlen, sind auch dies­mal keine weit­eren Kon­se­quen­zen zu erwarten.

Allerd­ings hat sich, das hat das Ref­er­en­dum ein­deutig gezeigt, die griechis­che Bevölkerung nicht von der Mei­n­ungs­mache bee­in­flussen lassen. In keinem Wahlkreis des Lan­des gewann am Son­ntag das “Ja”-Lager. Der jahre­lange Miss­brauch der jour­nal­is­tis­chen Organe als Sprachrohr der Oli­garchen hat deren Glaub­würdigkeit stark beschädigt und let­ztlich deren Ein­fluss entschei­dend geschwächt.

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