Sven Regener, Sänger von Element of Crime und Autor u.a. des (m.E. ziemlich unerträglichen) Romans Herr Lehmann, hat sich vor ein paar Tagen im BR über illegale Downloader echauffiert. Das Video (oder der Audio-Clip) machen im Netz die Runde und insbesondere Musikerinnen scheinen hier ein Sprachrohr gefunden zu haben. (Bei uns z.B. wurde im Kommentar zu einem anderen Text das Video gepostet.) John Weitzmann hat bei Netzpolitik bereits eine gute Replik geschrieben. Im Folgenden auch von mir ein paar Anmerkungen.
Wir machen mit Plattenfirmen Verträge nicht weil wir doof sind, oder aus Schierschangdudel, oder weil wir was zu verschenken haben, sondern weil wir sonst unsere Musik nicht machen können.
Das ist einfach falsch, eine unwahre Aussage. Es gibt hunderttausend Musikerinnen, die Musik machen, ohne eine Plattenfirma zu haben, und sowohl bekannte Bands (wie Radiohead) als auch unbekannte Bands bieten ihre Stücke zum freien Download an. Welche unsichtbare Macht hindert Element of Crime daran?
Mein Problem ist: Man wird uncool, wenn man sagt «Urheberrecht» […]. Und das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes als dass man uns ins Gesicht pinkelt…
Uncool ist man, wenn man Urheberrecht sagt und sich nicht über die Konsequenzen klar ist, die das mit sich bringt. Nämlich Überwachung, Repression, Exempel statuieren usf. Regener kann sich nur so aufregenern, weil er vollkommen einseitig allein sein partikulares Interesse im Blick hat. Weiterlesen
In der Diskussion um ACTA und das Urheberrecht haben die Progressiven einen argumentativen Sieg gegen die Konservativen errungen. Er hinterlässt aber einen bitteren Beigeschmack. Ja, er fühlt sich fast an wie eine Niederlage. Der Fortschritt soll die Künstlerinnen überflüssig machen? Ist das die Pointe? Sollten wir dann nicht doch besser beim konservativen Modell bleiben?
Eine dritte Gruppe hat der Diskussion bislang schweigend, an manchen Stellen kopfschüttelnd zugehört: die Marxistinnen. Nun spucken sie aus und pfeifen durch die Zähne, «ppfff». (Marxistinnen wirken oft ein bisschen arrogant, weil sie meinen, immer alles besser zu verstehen. Das haben sie von ihrem großen Guru gelernt, der ein Meister im Besserwissen war – in beiden Bedeutungen des Wortes.) Sie sagen, was Marxistinnen am liebsten sagen: «Die Diskussion steht doch auf dem Kopf, wir müssen sie auf die Füße stellen». Das geht so:
Es sei doch offensichtlich, dass es um die Künstlerinnen überhaupt nicht gehe. Als hätten sich Staat und Kapital je ernsthaft um den Zustand der Kunst geschert. Kapital wolle akkumulieren und kapitalistische Staaten müssten (sonst hörten sie auf, solche zu sein, was sie nicht könnten, solange es den Kapitalismus gibt bzw. umgekehrt) dafür sorgen, dass entsprechende Bedingungen herrschen. So auch hier: bei HADOPI/SOPA/ACTA und was ihnen noch so alles einfallen möge, gehe es letztlich immer um dasselbe. Es solle mit diesen Gesetzen gewährleistet werden, dass das Kapital im kulturindustriellen Sektor weiter akkumulieren könne. Das sei im Übrigen kein Geheimnis, da die Musik- und Filmbranche selbst fast genau das sagten. Nur in anderen Worten: Arbeitsplätze seien gefährdet. Weiterlesen
Nach ACTA bald nicht mehr?
Etwas idealtypisch verzerrt kann man sagen, dass in der Diskussion zwei scheinbar gänzlich inkommensurable Weltbilder aufeinander prallen. Das äußert sich zunächst an den die Zustände beschreibenden Termini. So wiederholt die eine Seite — nennen wir sie «die Konservativen» — das Mantra, das Runterladen von copyright-geschütztem Material im Internet sei «Diebstahl». Noch vor einigen Tagen titelte das Berliner Boulevardblatt BZ: «Wisst Ihr ACTA-Demonstranten, dass ihr für Diebstahl auf die Straße geht?» Und auch in den Diskussionen im Kommentarbereich der größeren bürgerlichen Zeitungen taucht das immer mal wieder auf. Die Idee, mit der solche Rede sich plausibilisiert, ist folgende: Wenn Menschen für das, was andere produziert haben, nicht bezahlen und es sich einfach nehmen, bei den Produzentinnen also kein Geld ankommt — dann handele es sich um Diebstahl.
Die Gegenseite — «die Progressiven» — sieht die Sache völlig anders. Nicht gestohlen werde hier, sondern geteilt oder getauscht. Daher der Ausdruck «filesharing». Mit Diebstahl habe das überhaupt nichts zu tun. Und zwar weil niemandem etwas weg genommen werde. Diebstahl definiere sich aber doch gerade dadurch: jemandem etwas gegen ihren Willen entwenden. Beim typischen Fall geht ein Mensch in einen Laden, nimmt sich eine CD, und bezahlt nicht. Anschließend hat der Laden eine CD weniger und die Diebin eine mehr. Gerade das geschähe beim filesharing nicht, da nur untereinander geteilt und getauscht werde.
Die Konservativen antworten, dass dabei aber doch etwas entwendet werde, nämlich das Recht der Produzentin auf die Verwertung ihres Produkts. Weiterlesen
Mein Eindruck meiner ausschnittsweisen Lektüre von Kommentaren zur Ablehnung von ACTA: Mehrheitlich herrscht folgende Meinung: Es sei gut, dass das Abkommen in dieser Form nicht unterzeichnet wurde. Aber das geistige Eigentum müsse doch geschützt werden. Schließlich müssten die “Kreativen” von den Erzeugnissen ihrer Arbeit leben können, wie andere Menschen von der ihren.
Diese Annahmen scheinen mir vollkommen unhaltbar zu sein. Nirgendwo steht geschrieben, dass Menschen, die Musik machen, Bücher schreiben, Filme drehen, Bilder malen, davon leben können müssen. Die Wahrheit ist: Die meisten tun das gerade nicht. Und wenn die verschwindend geringe Minderheit, die es bisher konnte, nun auch anderer Lohnarbeit nachgehen müsste — so what? Das scheinbar stärkste Argument der Filesharing-Gegnerinnen, Copyright-Fetischisten und Contentindustrie-Lakaien ist keine müde Mark wert.