Lyrischer Adventskalender 4 — Arp

Opus Null

Ich bin der große Derdiedas
das rig­orose Regiment
der Ozon­sten­gel pri­ma Qua
der anonyme Einprozent

Das P.P. Tit. und auch die Po
Posaune ohne Mund und Loch
das große Herkulesgeschirr
der linke Fuß vom recht­en Koch

Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der ins­ge­samte Augustin
im licht­en Zelluloserock

(Hans Arp, 1924)

Lyrischer Adventskalender 3 — Schwitters

Rosen blühen wie Gänseblümchen

Rosen blühen wie Gänse­blüm­chen auf den Wiesen, den der große PRA seinen
honig­we­ichen Fin­ger aus­drängt und den Hor­i­zont mit sein­er schäumenden
Lende küßt. Die Guir­lan­den Leber­fleck­en tanzen vor den Wim­pern der Meer-
schweinchen, die auf ihren Lip­pen Fang­ball spie­len mit seinem altererbten
Namen: “P R A”. Was Du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu
besitzen. Und auf ihren gold­e­nen Rüs­seln tanzen die kalei­doskopar­tig kleinen
Teilchen wie unendlich große Bälle von der Schwere eines X. Und wie sie so
hinsinken, bre­it­et sich spon­tan eine Mor­gen­röte aus auf ihren gold­en bronzier-
ten Popo­hülsen, und der verderbliche Eier­stock von mehr als 23 000 eiergelben
Pud­ding­spritzen läuft in den azur­blauen Äther aus.

(Kurt Schwit­ters, um 1922, in: Das lit­er­arische Werk. Lyrik (DTV 2005).

Lyrischer Adventskalender 2 — Tucholsky

Sexuelle Aufklärung

Tritt ein, mein Sohn, in dieses Varieté!
Die heili­gen Hallen füllt ein lieblich Odium
von Rauchtabak, Par­fums und Eßbüfett.
Die blonde Emmy tänzelt auf das Podium,
der erste und der einzige Geiger schmiert “Kol­lodi­um”
auf seine Fiedel für das hohe C …
So blieb es, und so ists seit dreißig Jahren -
drum ist dein alter Vater mit dir hergefahren.

Sieh jenes Mäd­chen! Erster Jugendblüte
leichtrosa Schim­mer ziert das reizende Gesicht.
So war sie schon, als ich mich noch um sie bemühte,
und wahrlich: ich blamiert mich nicht!
Siehst du sie jet­zt, wie sie voll Scham erglühte?
Was flüstert sie? “Det die de Mot­ten kriecht …!”
Wie klingt mir dieser Wahlspruch doch vertraut
aus jen­er Zeit, da ich den Ref­er­en­dar gebaut!

Sei mir gegrüßt, du meine Tugendlilie,
du altes Flit­terkleid, du Tamburin!
Nimm du sie hin, mein Sohn — es bleibt in der Familie -
und lern bei ihr: es gibt nur ein Berlin!
Nun aber spitz die Ohren, denn gle­ich singt Ottilie
ihr Lieblingslied vom kleinen Zeppeliihn …
Kriegst du sie nicht, soll dich der Teufel holen!
Ver­halt dich brav — und damit Gott befohlen!

(Kurt Tuchol­sky, 1919)

Lyrischer Adventskalender 1 — Trakl

Im Winter

Der Ack­er leuchtet weiß und kalt.
Der Him­mel ist ein­sam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher,
Und Jäger steigen nieder vom Wald.

Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuer­schein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten,
Und langsam steigt der graue Mond.

Ein Wild verblutet san­ft am Rain,
Und Raben plätsch­ern in bluti­gen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

(Georg Trakl, 1913)