Erdogan ./. Böhmermann Merkels Entscheidung: machtpolitisch ungewohnt dämlich

Selt­sam nervös und kurzat­mig wirk­te sie heute bei diesem denkwürdi­gen Pres­seter­min im Kan­zler­amt: Für Erdo­gan und gegen Böh­mer­mann! Ihre Begrün­dung ist zunächst sog­ar uner­wartet kon­se­quent. Ohne ihre Argu­mente teilen zu müssen, erscheinen sie auf den ersten Blick fast nachvol­lziehbar: von wegen Gewal­tenteilung, Gesetz wird über­ar­beit­et und dann auch noch ein paar deut­liche Worte in Rich­tung Ankara. Doch wenn der Glanz des gespin­doc­tore­den Manuskripts erst ein­mal ver­flo­gen ist — Merkels Entschei­dung sieht macht­poli­tisch sog­ar unge­wohnt däm­lich aus.

§ 104a StGB gibt der Regierung die äußerst sel­tene Gele­gen­heit, darüber zu entschei­den, ob auf ein Strafver­lan­gen ein­er aus­ländis­chen Regierung auch eine Strafver­fol­gung ein­geleit­et wer­den soll. Es han­delt sich um eine poli­tis­che Entschei­dung über einen strafrechtlichen Vor­gang, die für diesen sog­ar aus­drück­lich nötig ist. 

Ein Votum *für* eine Strafver­fol­gung ist damit — anders als Merkel es darstellt — selb­stver­ständlich per se eine Bee­in­flus­sung der Jus­tiz. Wie heißt es so schön: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wo keine Regierungsentschei­dung, da kein Ver­fahren! Die Ein­mis­chung ist dem Para­graphen sozusagen imma­nent. Nochmal: Zu sagen, man über­lasse die Entschei­dung der Jus­tiz, ist bere­its eine juris­tisch rel­e­vante Entschei­dung. Streng genom­men spricht der Para­graph sog­ar nicht ein­mal davon, dass sich die Regierung über­haupt für oder gegen irgend etwas entschei­den muss. Merkel hätte die Entschei­dung sog­ar aus­sitzen kön­nen. Indem sie sich aber so entschei­det, wie sie es getan hat, vergibt sie gle­ichzeit­ig die Chance, sich innen­poli­tisch demon­stra­tiv im Sinne ihrer Wäh­ler und Bürg­er zu posi­tion­ieren: pro Mei­n­ungs­frei­heit, pro Satire­frei­heit, pro Presse­frei­heit. Art. 5 GG — wenn Recht­san­wälte ein Lieblings­grun­drecht wählen sollen, nicht sel­ten ist es dieser Artikel. Merkel lässt den Trumpf links liegen und über­lässt ihn SPD und Oppo­si­tion. Warum nur?

Als Merkel sich das let­zte Mal — ohne Trip­pelschritt und Rumge­merkel — tat­säch­lich aus Überzeu­gung zu etwas bekan­nt hat (“Wir schaf­fen das!”), ist sie damit ziem­lich hart gelandet. Klar hat sie von der poli­tis­chen Linken Beifall dafür bekom­men, aber die wählt eben nicht die CDU, wie man bei den let­zten Land­tagswahlen in Baden-Würt­tem­berg, Rhein­land-Pfalz und Sach­sen-Anhalt sehen kon­nte — egal wie flüchtlings­fre­undlich, homophil oder fortschrit­tlich sich die Partei mal wieder gibt. Wem will sie also dies­mal imponieren?

Allein zur außen­poli­tis­chen Agen­da passt Merkels Entschei­dung. Der Türkei-Deal bleibt unge­fährdet und sie muss sich vor keinem Erdo­gan wegen ver­meintlich­er poli­tis­chen Ein­flussnahme in den Rechtsstaat recht­fer­ti­gen — alles unab­hängig hierzu­lande und in seinem Sinne. Erpress­bar, wie manche Beobachter meinen, macht sie sich dadurch nicht. Im Gegen­teil: Für poten­tiell flüchtlings­dealfähige Despoten ist Merkel berechen­bar­er und attrak­tiv­er gewor­den. Die Mauer um Europa kann also weit­er hochge­zo­gen wer­den. Die Sache hat allerd­ings einen entschei­den­den Denk­fehler. Wenn Merkel glaubt, jet­zt wieder am recht­en Rand punk­ten zu kön­nen — und darum geht es doch der Macht­poli­tik­erin in ihr langfristig immer — täuscht sie sich. Die sehen die Böh­mi-Entschei­dung nur als einen weit­eren Beweis für Merkels Ver­rat an ihrem geliebten Sch­land. Hier Boden gut zu machen — und das wäre an dieser Stelle tat­säch­lich möglich gewe­sen — hat sie ver­passt. Es scheint, als ob Merkel ihr poli­tis­ch­er Instinkt flücht­en gegan­gen ist.

Dass man es nicht vergisst Gemerkele (I)

Bevor ich den Zeitungsauss­chnitt wegschmeiße, möchte ich das Fol­gende doch unbe­d­ingt im Wort­laut archiviert wissen:

Frage: Warum woll­ten Sie den IWF mit an Bord im Kampf gegen die Ver­schul­dung? Hät­ten die Europäer das nicht alleine gekonnt?

Angela Merkel: Der Inter­na­tionale Währungs­fonds hat Erfahrung im Umgang mit über­schulde­tetn Staat­en wie keine andere Insti­tu­tion weltweit. Sein Ruf und seine Ken­nt­nisse sind uns Europäern sehr zugute gekom­men, als wir die Hil­f­spro­gramme mit den betrof­fe­nen Län­dern aus­ge­han­delt haben.

Süd­deutsche Zeitung Nr. 151, 3.7.2013, S. 5

Um sich die Kon­se­quen­zen der zynis­chen Igno­ranz unser­er Kan­z­lerin bewusst zu machen, reicht es eigentlich diesen Artikel in der gle­ichen Aus­gabe der SZ zu lesen.

Die Alternative von Krieg ist nicht immer Frieden

Krieg oder nicht Krieg? Die Frage war bish­er für mich und wahrschein­lich jeden anderen halb­wegs gescheit­en Men­schen ziem­lich ein­fach zu beant­worten: natür­lich dage­gen! Das hat­te nichts mit ein­er wie-auch-immer geart­eten Dage­gen-Öffentlichkeit zu tun, son­dern mit Ver­nun­ft. Doch tun wir dem Dage­gen-Autor Lobo den Gefall­en und nehmen seinen selb­stre­f­er­en­tiellen S.P.O.N.-Artikel als Anre­gung und sind “kon­struk­tiv-kri­tis­che” Bil­dungselite und machen Gegenöf­fentlichkeit am Beispiel Libyen.

Wir, die wir uns gerne als aufgek­lärt, pro­gres­siv und auch mal paz­i­fistisch denken, manch­mal vom Ende des Kap­i­tal­is­mus oder der näch­sten Rev­o­lu­tion träu­men und wahrschein­lich nichts dage­gen gehabt hät­ten, während der Guer­ra Civ­il mal ein paar von Fran­cos Faschos abzuk­nallen, haben auf ein­mal ein dreifach­es Problem:

  1. in Libyen ist Krieg, 
  2. wir” machen nicht mit und 
  3. unser” ver­has­ster FDP-Min­is­ter ist auch dagegen.

Vor allem Let­zteres macht stutzig: Warum nun er? Heißt das, wir soll­ten bess­er dafür sein? Ein Erk­lärungsver­such. Weit­er­lesen

Freude über Fukushima”

Zwei unab­hängig voneinan­der geschriebene Beiträge auf zwei der weni­gen Blogs, die ich regelmäßig lese, gehen kri­tisch mit jenen ins Gericht, die bei Atom­kraft­geg­ner­in­nen «Freude» über den GAU von Fukushi­ma unter­stellen. Georg Seeßlen wirft dem Kabaret­tis­ten Dieter Nuhr vor, mit der Nicht­pointe, es widere ihn an, dass sich bei manchen Atom­kraft­geg­n­ern die «Freude über das Rechthaben» dem «Mitleid mit den Opfern» über­wiege, bil­lig auf Applaus­fang gegan­gen zu sein — und dem wohlwol­lend über Nuhr berich­t­en­den FAZ-Rezensen­ten seinen Applaus. Und Felix Riedel schreibt einen sehr lan­gen (an kein­er Stelle zu lan­gen) und sehr lesenswerten Text mit ein­er in die gle­iche Rich­tung zie­len­den Kritik:

Die [Geg­n­er der Kernkraft­geg­n­er] beweisen näm­lich derzeit, dass sie aus dem bein­harten Holz des autoritären Charak­ters gestrickt sind. Wo man mit gebilde­teren Kernkraft­geg­n­ern manche Stunde über tech­nis­che Bedin­gun­gen und physikalis­che Abläufe von und in Kernkraftwerken disku­tieren kann, weil die Geg­n­er­schaft anders als das Mitläufer­tum einen zumin­d­est rudi­men­tären intellek­tuellen Prozess und Inter­esse notwendig voraus­set­zt, regiert hier die Hal­luz­i­na­tion und das Ressen­ti­ment. „Freude“ an der vier­fachen Havarie wird unter­stellt, wo real Empathie, Angst und Betrof­fen­heit ver­laut­bart wurde. Der Antag­o­nist von Freude ist weniger Trauer als Schuld und diese wird pathisch pro­jiziert als Freude der Kernkraft­geg­n­er. Eine solche Pro­jek­tion muss zwangsläu­fig bösar­tig wer­den, und diese Bösar­tigkeit äußert sich in einem faschis­toiden Regress.

So richtig und notwendig die Kri­tik am Insinuieren, am ver­leumderischen Ger­aune ist — ich glaube es gibt etwas, was daran nicht stimmt.

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