Bilanz Berlinale 2022

Ich gebe es gern zu: Ich bin heuer ein­fach zu faul, die abso­lut tre­f­fend­en, sach­lich begrün­de­ten und rhetorisch pointierten Kurzkri­tiken, die ich mir im Kopf zurecht gelegt habe, nun auch noch aufzuschreiben. Alles Weit­ere also (fern-)mündlich, wen es inter­essiert. Erste Hin­weise geben die Zahl der Sternchen und die Reihenfolge.

*****

Sonne (Kur­d­win Ayub, AT 2022)
Take A Let­ter, Dar­ling (Mitchell Leisen, US 1942)
Unrueh (Cyril Schäublin, CH 2022)

****

Les Pas­sagers de la nuit (Mikhaël Hers, FR 2022)
Four’s a Crowd (Michael Cur­tiz, US 1938)
Für die Vie­len – Die Arbeit­erkam­mer Wien (Con­stan­tin Wulff, AT 2022)
Komm mit mir ins Cin­e­ma – Die Gre­gors (Alice Agne­skirch­n­er, DE 2022)
Jane’s Call (Phyl­lis Nagy, US 2022)

***

Coma (Betrand Bonel­lo, FR 2022)
Europe (Philip Scheffn­er, DE 2022)
Lady by Choice (David Bur­ton, US 1934)
L’état et moi (Max Linz, DE 2022)

Bilanz 2020

Ein misslich­es Jahr war das, in viel­er­lei Hin­sicht, geprägt natür­lich in erster Lin­ie von Pan­demie, Panik & Kon­tak­tbeschränkun­gen. So reichen die pos­i­tiv­en Erin­nerun­gen vor allem zurück zum Anfang des Jahres, als ich zunächst mit großem Eifer und bis zur Erschöp­fung am Manuskript eines kleinen Büch­leins zur filmis­chen Découpage geschrieben habe. (Es lag dann lange in halbfer­tiger Form herum, aber in den let­zten Tagen habe ich mich ihm noch ein­mal gewid­met und nun zumin­d­est eine vor­erst finale Fas­sung erstellt.) Es fol­gte eine schöne Tagung mit vie­len inter­na­tionalen Gästen zu filmis­chen Darstel­lun­gen und Diskursen der Prekar­ität im europäis­chen Kino in Babels­berg – auch dazu fol­gt im kom­menden Jahr eine Fort­set­zung in Form der Arbeit an einem Sam­mel­band. Auf der Berli­nale, die Ende Feb­ru­ar fast wie durch ein Wun­der von Coro­na noch ver­schont blieb, haben es mir beson­ders die Stumm­filme von King Vidor ange­tan (siehe Liste unten). Der Früh­som­mer begann mit ein­er ersten (und eigentlich auch let­zten) kleinen Feier im kleineren Kreis auf offen­em Feld Ende Mai – auch das eine der schö­nen Erin­nerun­gen. Im Juni eine kleine Reise durch die Schweiz, später zum Liebling­sonkel in Süd­bay­ern, und schließlich, im August, nach Bologna zur abge­speck­ten Fas­sung des Cin­e­ma Ritrova­to.

Poli­tisch dür­fen wir vor allem die Abwahl Don­ald Trumps (allerd­ings bei einiger­maßen schock­ierend zunächst knapp wirk­en­dem Aus­gang) auf der Pos­i­tivliste ver­buchen.

Gele­sen habe ich viel, auch dicke Wälz­er (wie Sted­man-Jones’ Marx-Biografie und – in Teilen – Haber­mas’ let­ztes Mam­muntwerk) und die diversen aut­ofik­tionalen Werke und auto­bi­ografis­chen Reflex­io­nen über von Armut und Diskri­m­inierung geprägte Kind­heit­en (von Chris­t­ian Baron über Anna Mayr bis zu Deniz Ohde), allerd­ings ohne große Begeis­terung. Am besten gefall­en haben mir in diesem Jahr (Rei­hen­folge der Lektüre):

Ursu­la K. Le Guin – The Car­ri­er Bag The­o­ry of Fic­tion
Gün­ther Anders – Bert Brecht. Gespräche und Erin­nerun­gen
James Suz­man – Afflu­ence with­out Abun­dance: The Dis­ap­pear­ing World of the Bush­men
Ulrich Alexan­der Boschwitz – Men­schen neben dem Leben
César Aira – Die Wun­der­heilun­gen des Dok­tor Aira
César Aira – Birth­day
E. E. Cum­mings – The Enor­mous Room
Christi­na von Hoden­berg – Auf­s­tand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Auf­stieg zum Mythos
Ursu­la K. Le Guin – The Dis­pos­sessed
Ursu­la K. Le Guin – The Left Hand of Dark­ness
Dorothee Elminger – Aus der Zuckerfabrik

Solange es ging, bin ich ins Kino gegan­gen; Berli­nale und Bologna habe ich schon erwäh­nt; anson­sten habe ich natür­lich, wie alle, viele audio­vi­suelle Bewegt­bilder zuhause kon­sum­iert. Hier die Lieblinge:

El Prófu­go (The Intrud­er, Natalia Meta, ARG 2020)
Nev­er Rarely Some­times Always (Eliza Hittman, US/UK 2020)
Wine of Youth (King Vidor, US 1924)
The Big Parade (King Vidor, US 1925)
The Pat­sy (King Vidor, US 1928)
Show Peo­ple (King Vidor, US 1928)
Gomera (Cor­neliu Porum­boiu, ROM/FR/DE 2019)
Bacu­rau (Juliano Dor­nelles, Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2019)
Aquar­ius (Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2016)
Clau­dine (John Berry, US 1974)
Gin­za nijuy­on­cho (Tales of Gin­za, Kawashima Yuzo, J 1955)
Ai no oni­mot­su (Bur­den of Love, Kawashima Yuzo, J 1955)
Night­clean­ers (Berwick Street Film Col­lec­tive, UK 1975)
Io ho pau­ra (Dami­ano Dami­ani, IT 1977) – und viele andere tolle Filme von diesem großar­ti­gen Regisseur…

Musik habe ich wieder zuwenig gehört, aber ein paar Stücke sind hängengeblieben:

Oehl – Wolken
Khru­ang­bin & Leon Bridges – Texas Sun
Cari­bou – You and Me
Aldous Hard­ing – The Bar­rel
Jeff Park­er – Suite For Max Brown
Und, als Bonus­track, endlich als 7″:
Die Men­schen – 20. Jahrhun­dert

Viel Spaß damit – und auf ein besseres Leben im neuen Jahr!

 

Auswertung Berlinale 2016

Woran liegt es eigentlich, dass ich von Jahr zu Jahr weniger Filme auf der Berli­nale gucke? Hhmm, mal den Her­rn Kosslick und seine Auswahlkomi­tees fra­gen. Auch die Ret­ro­spek­tive fand ich in diesem Jahr weniger inter­es­sant als in den let­zten. Mir zu deutsch vom Schw­er­punkt. Ich weiß nicht, was dieses Fes­thal­ten am diskur­siv­en Rah­men des Nationalen soll, auch wenn unbe­strit­ten einige sehr inter­es­sante Filme in DDR und BRD pro­duziert wur­den in den Jahren 1965/66.

Also schnell das Ganze abhak­en, mit Sternchen:

 

*****

Les sauteurs (Abou Bakar Sidibé, Estephan Wag­n­er & Moritz Siebert, DK 2016)

In the Last Days of the City (Tamer El Said, ÄGY 2016)

Kar­la (Her­mann Zschoche, DDR 1966/1990)

Es genügt nicht, 18 zu sein (Kurt Tet­zlaff, DDR 1966)

Tokyo Cab­bage­man K (Oga­ta Aki­ra, J 1980)

****

Tem­pes­tad (Tatiana Hue­zo, MEX 2016)

Homo Sapi­ens (Niko­laus Geyrhal­ter, Ö/D/CH 2016)

Die Reise nach Sun­de­vit (Hein­er Carow, DDR 1966)

***

I am Siono Sono!! (Sion Sono, J 1986)

Havarie (Philipp Scheffn­er, D/F 2016)

Mahlzeit­en (Edgar Reitz, D 1967)

Mid­night Spe­cial (Jeff Nichols, USA 2016)

Short Stay (Ted Fendt, USA 2015)

Der Brief (Vla­do Kristl, BRD 1966)

Preis der Frei­heit (Egon Monk, DDR 1966)

Car­tas da Guer­ra (Ivo M. Fer­reira, PT 2016)

Kopf­s­tand, Madame (Chris­t­ian Rischert, D 1967)

**

Ile­git­im (Adri­an Sitaru, ROM 2016)

*

Boris sans Béa­trice (Denis Coté, CAN 2016)

 

 

Berlinale 2014 — Panorama Xi you von Tsai Ming-liang

Xi you (Jour­ney to the West, Tsai Ming-liang, F/TW 2013) Panorama

Für mich der bish­erige Höhep­unkt im Panora­ma (aber, zugegeben, viel habe ich aus dieser Sek­tion nicht gese­hen) stammt von Tsai Ming-liang und ist ein Kun­st-Film mit ganz großem K. Soll heißen: Es geht hier um ein ästhetis­ches Konzept und um einen Modus ästhetis­ch­er Erfahrung, der mit Spielfilm-Grat­i­fika­tio­nen (nar­ra­tive Span­nung, emo­tionale Ein­füh­lung etc.) nichts zu tun hat. In der ersten sehr lan­gen Ein­stel­lung sehen wir in ein­er wun­der­vollen Großauf­nahme das schräg im Bild liegende Gesicht von Denis Lavant, ein Auge im Halb­schat­ten, zu kon­tem­pli­eren wie ein Gebirgs­land­schaft. Spätere, oft noch viel län­gere Ein­stel­lun­gen zeigen dann einen sehr, sehr, sehr langsam durch Mar­seille gehen­den bud­dhis­tis­chen Mönch. Schon die extreme Kör­per­be­herrschung, mit der er seine Bewe­gung aus­führt, ist faszinierend zu betra­cht­en. Weit­er­lesen

Berlinale 2014 — Forum II Ich will mich nicht künstlich aufregen

Der aufre­gend­ste Film, den ich bish­er in der Forums-Sek­tion gese­hen habe. Es geht um eine junge Kura­torin, der auf­grund kap­i­tal­is­muskri­tis­ch­er Äußerun­gen das Bud­get für ihre Ausstel­lung zusam­mengekürzt wird, in der sie der Frage nachge­hen wollte, warum der kün­st­lerische Film allerorten in das ältere und viel bürg­er­lich­er kon­notierte Präsen­ta­tion­s­medi­um des Muse­ums ver­ban­nt wird; und es geht um Kreuzberg, den Woh­nungskampf und Anti-Mieter­höhungskampf rund um den Kot­tbusser Platz, um junge Migranten und die Bioladen-Gentrifizierung.

Sarah Ralfs in: Ich will mich nicht kün­stlich aufre­gen (Max Linz, D 2014)

For­mal ste­ht der Film ganz in der Tra­di­tion des poli­tis­chen Mod­ernismus von Jean-Luc Godard, Alexan­der Kluge und René Pollesch – oder um weit­er zurück­zu­greifen, von Bertolt Brecht, auf den all das let­ztlich zurück­ge­ht. Weit­er­lesen