Ich gestehe faul gewesen zu sein. Besonders aus dem Wettbewerbsprogramm habe ich deutlich weniger Filme gesehen als in den letzten Jahren (neben Schlafkrankheit lediglich Werner Herzogs schöne und witzige Höhlen-3D-Doku Cave of Forgotten Dreams, die leider außer Konkurrenz lief, und den etwas lahmen, sehr durchschaubaren, aber auch nicht wirklich schlechten koreanischen Beitrag Come Rain, Come Shine von Lee Yoon-ki). Ob die Entscheidungen der Jury gerechtfertigt sind oder nicht, vermag ich also nicht zu sagen, ganz daneben scheinen sie jedenfalls nicht gelegen zu haben. Der iranische Siegerfilm ist sehr schnell klarer Favorit gewesen und alles, was ich über ihn gelesen und gehört habe, deutet tatsächlich auf einen sehr guten Film hin, der aus dem Bewerberfeld allerdings nur deshalb so klar herausstach, weil es mal wieder sehr schwach besetzt war. Über Bela Tarrs ebenfalls ausgezeichneten Turin Horse gehen die Meinungen ebenso stark auseinander wie über Köhlers Schlafkrankheit, der immerhin (und für mich überraschend, trotz meiner Wertschätzung für Regisseur und Werk) den Preis für die beste Regie erhalten hat. Und mit dem Alfred-Bauer-Preis für Veiels Wer, wenn nicht wir “für einen Film, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“ hat sich die Jury dann auch noch einen richtig guten Scherz erlaubt.
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Zugegeben: fühlt sich schon ein wenig blöd an, wenn in Ägypten gerade Großes passiert («friedliche Revolution»!), und man selbst von nichts anderem zu berichten hat als von dritt- oder viertklassigen Filmchen, aus denen man nach 20 Minuten frustriert fluchtartig rausläuft. Meine Berlinale begann ein bisschen verspätet heute um 12.30 mit der Abholung meiner (dritt- oder viertklassigen, weil nicht zu allen Vorführungen Zutritt verschaffenden) Akkreditierung. Auf das Programm hatte ich zu dem Zeitpunkt noch keinen Blick geworfen, ein Fehler, der sich rächen sollte: sonst hätte ich gleich bemerkt, dass der richtige Zug D2 gewesen wäre: im Delphi lief um 14.00 Honjitsu Kyushin (Doctor’s Day Off, Shibuya Minoru, J 1952) ein japanischer Film aus den 50ern, vom renommierten Shochiku-Studio (für das auch Ozu, Naruse und Gosho arbeiteten), da konnte eigentlich nichts schief gehen. Aber wie gesagt, dass ist mir erst Stunden später aufgefallen, als schon C6 gezogen war: The Devil’s Double, vermutlich eine direct-to-video-Produktion, die in Kinosälen wirklich nichts zu suchen hat. Story: Saddam Husseins Sohn zwingt einen alten Schulkameraden, der ihm erstaunlich ähnlich sieht, in der Öffentlichkeit sein Double zu spielen; er selbst raucht bei jeder Gelegenheit riesige kubanische Zigarren (damit er von dem anderen unterscheidbar ist) und umgibt sich und vögelt mit halbnackten Frauen. Dazwischen gibt es sinnfrei Vergewaltigungs- und Folterszenen und dann… bin ich rausgegangen. Weiterlesen
Gestern abend habe ich nun endlich auch Der Räuber (Benjamin Heisenberg, D 2010) gesehen, der im Berlinale-Wettbewerb lief und den ich dort verpasst hatte.

Er ist ganz großartig. Nicht makellos — er hat Schwächen, wo die meisten Berliner-Schule-Filme Schwächen haben: bei den Dialogen — aber doch großartig. Die Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider scheint mir hier noch brillanter als bei Angela Schanelecs Orlyund Thomas Arslans Im Schatten (die beide auch sehr schön sind), weil er hier weniger formstreng zu Werke gehen durfte. Sie funktioniert besonders in Zusammenhang mit der Mise en scène, z.B. der Figurenanordnung und ‑choreografie. Oft kommt es zu Rückenansichten, zu Verdeckungen, also Einschränkungen der Sichtbarkeit. Gleichzeitig bleiben die Einstellungen aber funktional integriert. Das ist keine artistische Angeberei, keine ornamentale Verschnörkelung, sondern macht narrativ Sinn. Was den Film überhaupt auszeichnet: Er funktioniert wunderbar einfach als packende Geschichte. Weiterlesen
Einer der besten Filme dieser Berlinale läuft überraschenderweise in der Panorama-Sektion. Die Rede ist von Por tu culpa (It’s your fault, ARG/F 2010) von der argentinischen Regisseurin Anahí Berneri.
Gleich zu Beginn des Films musste ich an Lars von Triers Credo denken, ein Film müsse sein wie ein Stein im Schuh. Die erste Sequenz spielt in der Wohnung einer alleinerziehenden Mutter, die von ihren hyperaktiven Söhnen völlig überfordert ist. Normalerweise, so erfahren wir, gibt es ein Kindermädchen, das sich um die beiden kümmert, und einen Vater, von dem sie aber getrennt lebt und der gerade auf Geschäftsreise ist. Unerträglich lang wirkt diese Sequenz; der Stress, den die Mutter erlebt, ihre Hilflosigkeit überträgt sich auf die Zuschauerinnen. Nichts wünscht man sich sehnlicher als einen erlösenden Schnitt zu einem anderen Ort, einer anderen Situation, einer anderen Figurenkonstellation. Aber den gönnt einem die Regisseurin nicht. Weiterlesen
Eigentlich ist es in jedem Jahr das gleiche. Erst stürze ich mich wie ein Doofer in jede angebotene Pressevorführung, stelle dann fest, dass da viel Mist läuft, bekomme schlechte Laune und einen gehörigen Hass auf die Veranstalter der Berlinale: Wie kann man dem Publikum so einen Schrott vorsetzen? Nach einem Tag Retrospektiven-Katharsis wird meine Wahl dann selektiver, und siehe da: Auch unter den neuen Filmen, selbst jenen, die im Wettbewerb laufen, finden sich ein paar Perlen.
Die bisherige Entdeckung ist für mich Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want to Whistle, I Whistle, ROM 2010) von Florin Serban. An anderer Stelle hat Lukas Förster auf die ästhetische Verankerung in der neuen rumänischen Filmbewegung hingewiesen (alles deutet darauf hin, dass das rumänische zur Zeit das interessanteste europäische Kino ist), und auf die Finesse und den Realismus, mit der die räumlichen wie sozialen Verhältnisse im Jugendknast dargestellt werden. Er moniert jedoch Schwächen im Drehbuch. Und da bin ich ausnahmsweise nicht seiner Meinung (sondern eher der des Kommentars von Ekkehard Knörer).
Ich kann zwar den Wunsch verstehen, lieber noch mehr über die Knastverhältnisse erfahren zu wollen. Aber die Wendung, die der Plot nimmt, scheint mir konsequent — durch die vorherigen Ereignisse sogar sehr gut motiviert — und darüber hinaus politisch klug. Weiterlesen