Berlinale ’11 — Fazit

Ich geste­he faul gewe­sen zu sein. Beson­ders aus dem Wet­tbe­werb­spro­gramm habe ich deut­lich weniger Filme gese­hen als in den let­zten Jahren (neben Schlafkrankheit lediglich Wern­er Her­zogs schöne und witzige Höhlen-3D-Doku Cave of For­got­ten Dreams, die lei­der außer Konkur­renz lief, und den etwas lah­men, sehr durch­schaubaren, aber auch nicht wirk­lich schlecht­en kore­anis­chen Beitrag Come Rain, Come Shine von Lee Yoon-ki). Ob die Entschei­dun­gen der Jury gerecht­fer­tigt sind oder nicht, ver­mag ich also nicht zu sagen, ganz daneben scheinen sie jeden­falls nicht gele­gen zu haben. Der iranis­che Siegerfilm ist sehr schnell klar­er Favorit gewe­sen und alles, was ich über ihn gele­sen und gehört habe, deutet tat­säch­lich auf einen sehr guten Film hin, der aus dem Bewer­ber­feld allerd­ings nur deshalb so klar her­ausstach, weil es mal wieder sehr schwach beset­zt war. Über Bela Tarrs eben­falls aus­geze­ich­neten Turin Horse gehen die Mei­n­un­gen eben­so stark auseinan­der wie über Köh­lers Schlafkrankheit, der immer­hin (und für mich über­raschend, trotz mein­er Wertschätzung für Regis­seur und Werk) den Preis für die beste Regie erhal­ten hat. Und mit dem Alfred-Bauer-Preis für Veiels Wer, wenn nicht wir “für einen Film, der neue Per­spek­tiv­en der Filmkun­st eröffnet“ hat sich die Jury dann auch noch einen richtig guten Scherz erlaubt. Weit­er­lesen

Berlinale ’11 Auftakt

Zugegeben: fühlt sich schon ein wenig blöd an, wenn in Ägypten ger­ade Großes passiert («friedliche Rev­o­lu­tion»!), und man selb­st von nichts anderem zu bericht­en hat als von dritt- oder viertk­las­si­gen Film­chen, aus denen man nach 20 Minuten frus­tri­ert fluchtar­tig raus­läuft. Meine Berli­nale begann ein biss­chen ver­spätet heute um 12.30 mit der Abhol­ung mein­er (dritt- oder viertk­las­si­gen, weil nicht zu allen Vor­führun­gen Zutritt ver­schaf­fend­en) Akkred­i­tierung. Auf das Pro­gramm hat­te ich zu dem Zeit­punkt noch keinen Blick gewor­fen, ein Fehler, der sich rächen sollte: son­st hätte ich gle­ich bemerkt, dass der richtige Zug D2 gewe­sen wäre: im Del­phi lief um 14.00 Hon­jit­su Kyushin (Doctor’s Day Off, Shibuya Minoru, J 1952) ein japanis­ch­er Film aus den 50ern, vom renom­mierten Shochiku-Stu­dio (für das auch Ozu, Naruse und Gosho arbeit­eten), da kon­nte eigentlich nichts schief gehen. Aber wie gesagt, dass ist mir erst Stun­den später aufge­fall­en, als schon C6 gezo­gen war: The Devil’s Dou­ble, ver­mut­lich eine direct-to-video-Pro­duk­tion, die in Kinosälen wirk­lich nichts zu suchen hat. Sto­ry: Sad­dam Hus­seins Sohn zwingt einen alten Schulka­m­er­aden, der ihm erstaunlich ähn­lich sieht, in der Öffentlichkeit sein Dou­ble zu spie­len; er selb­st raucht bei jed­er Gele­gen­heit riesige kuban­is­che Zigar­ren (damit er von dem anderen unter­schei­d­bar ist) und umgibt sich und vögelt mit halb­nack­ten Frauen. Dazwis­chen gibt es sin­n­frei Verge­wal­ti­gungs- und Folter­szenen und dann… bin ich raus­ge­gan­gen. Weit­er­lesen

Der Räuber

Gestern abend habe ich nun endlich auch Der Räu­ber (Ben­jamin Heisen­berg, D 2010) gese­hen, der im Berli­nale-Wet­tbe­werb lief und den ich dort ver­passt hatte.

Er ist ganz großar­tig. Nicht makel­los — er hat Schwächen, wo die meis­ten Berlin­er-Schule-Filme Schwächen haben: bei den Dialo­gen — aber doch großar­tig. Die Kam­er­aar­beit von Rein­hold Vorschnei­der scheint mir hier noch bril­lanter als bei Angela Schan­elecs Orlyund Thomas Arslans Im Schat­ten (die bei­de auch sehr schön sind), weil er hier weniger form­streng zu Werke gehen durfte. Sie funk­tion­iert beson­ders in Zusam­men­hang mit der Mise en scène, z.B. der Fig­ure­nanord­nung und ‑chore­ografie. Oft kommt es zu Rück­e­nan­sicht­en, zu Verdeck­un­gen, also Ein­schränkun­gen der Sicht­barkeit. Gle­ichzeit­ig bleiben die Ein­stel­lun­gen aber funk­tion­al inte­gri­ert. Das ist keine artis­tis­che Ange­berei, keine orna­men­tale Ver­schnörkelung, son­dern macht nar­ra­tiv Sinn. Was den Film über­haupt ausze­ich­net: Er funk­tion­iert wun­der­bar ein­fach als pack­ende Geschichte. Weit­er­lesen

Berlinale: Por tu culpa

Ein­er der besten Filme dieser Berli­nale läuft über­raschen­der­weise in der Panora­ma-Sek­tion. Die Rede ist von Por tu cul­pa (It’s your fault, ARG/F 2010) von der argen­tinis­chen Regis­seurin Anahí Berneri.

Gle­ich zu Beginn des Films musste ich an Lars von Tri­ers Cre­do denken, ein Film müsse sein wie ein Stein im Schuh. Die erste Sequenz spielt in der Woh­nung ein­er allein­erziehen­den Mut­ter, die von ihren hyper­ak­tiv­en Söh­nen völ­lig über­fordert ist. Nor­maler­weise, so erfahren wir, gibt es ein Kin­der­mäd­chen, das sich um die bei­den küm­mert, und einen Vater, von dem sie aber getren­nt lebt und der ger­ade auf Geschäft­sreise ist. Unerträglich lang wirkt diese Sequenz; der Stress, den die Mut­ter erlebt, ihre Hil­flosigkeit überträgt sich auf die Zuschauerin­nen. Nichts wün­scht man sich sehn­lich­er als einen erlösenden Schnitt zu einem anderen Ort, ein­er anderen Sit­u­a­tion, ein­er anderen Fig­urenkon­stel­la­tion. Aber den gön­nt einem die Regis­seurin nicht. Weit­er­lesen

Berlinale: Rumänischer Wettbewerbsbeitrag

Eigentlich ist es in jedem Jahr das gle­iche. Erst stürze ich mich wie ein Doofer in jede ange­botene Pres­sevor­führung, stelle dann fest, dass da viel Mist läuft, bekomme schlechte Laune und einen gehöri­gen Hass auf die Ver­anstal­ter der Berli­nale: Wie kann man dem Pub­likum so einen Schrott vorset­zen? Nach einem Tag Ret­ro­spek­tiv­en-Kathar­sis wird meine Wahl dann selek­tiv­er, und siehe da: Auch unter den neuen Fil­men, selb­st jenen, die im Wet­tbe­werb laufen, find­en sich ein paar Perlen.

Die bish­erige Ent­deck­ung ist für mich Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want to Whis­tle, I Whis­tle, ROM 2010) von Florin Ser­ban. An ander­er Stelle hat Lukas Förster auf die ästhetis­che Ver­ankerung in der neuen rumänis­chen Film­be­we­gung hingewiesen (alles deutet darauf hin, dass das rumänis­che zur Zeit das inter­es­san­teste europäis­che Kino ist), und auf die Finesse und den Real­is­mus, mit der die räum­lichen wie sozialen Ver­hält­nisse im Jugend­knast dargestellt wer­den. Er moniert jedoch Schwächen im Drehbuch. Und da bin ich aus­nahm­sweise nicht sein­er Mei­n­ung (son­dern eher der des Kom­men­tars von Ekke­hard Knörer).

Ich kann zwar den Wun­sch ver­ste­hen, lieber noch mehr über die Knastver­hält­nisse erfahren zu wollen. Aber die Wen­dung, die der Plot nimmt, scheint mir kon­se­quent — durch die vorheri­gen Ereignisse sog­ar sehr gut motiviert — und darüber hin­aus poli­tisch klug. Weit­er­lesen