Berlinale: Beste

Eine prak­tis­che Übung in self ful­fill­ing prophe­cy: Erst schreiben, dass die besten Filme der Berli­nale die alten sind, die in den ver­schiede­nen Ret­ro­spek­tiv­en laufen, dann nur diese Filme guck­en, dann fest­stellen, dass dies die besten sind, die man gese­hen hat. Ganz einfach.

Also, die bish­er besten Filme:

1. Bill Dou­glas Tril­o­gy: drei Filme von 1972, 1973 und 1978 jew­eils mit den gle­ichen Schaus­piel­ern, die in betören­den und ver­stören­den Bildern an die triste Kind­heit des Regis­seur im Nachkriegss­chot­t­land erin­nern, wobei die Erin­nerungsar­beit sub­til in die Erzählweise (Nachträglichkeit) und die Bilder inte­gri­ert ist. Meisterwerk.

2. Il gia­rdi­no dei Finzi Con­ti­ni (Vit­to­rio de Sica, I/BRD 1970), ein ziem­lich Vis­con­tieskes Spätwerk des Regis­seurs, der eigentlich für seine neo­re­al­is­tis­chen Filme bekan­nt gewor­den ist; Ver­fil­mung eines Romans von Gior­gio Bas­sani, in dem es um das faschis­tis­che Ital­ien und die ein­set­zende geset­zliche Ver­ankerung der Diskri­m­inierung der jüdis­chen Bevölkerung geht. Bril­lant erzählt und gefilmt.

Sa, 20.2. Cin­e­maxx 8, 22:30

3. Konyaku sangabara­su (The Trio’s Engage­ment, Shi­mazu Yasu­jiro, J 1937), eine kleine (66 Min.), sehr feine Komödie um drei Typen, die sich auf die gle­iche Stelle in einem Waren­haus bewer­ben, sie alle drei bekom­men und sich dann alle drei Hoff­nung auf eine Ehe mit der Tochter des Chefs machen. Shi­mazu dreht das in ein­er Mis­chung aus dama­ligem Hol­ly­wood-Style und feinem japanis­chem Humor mit wun­der­barem Tem­po. Macht viel Spaß.

Sa, 20.2. Cines­tar 8, 19:30

4. Solnze (The Sun, 2005), Sokurovs düstere Ver­fil­mung der let­zten Tage des japanis­chen Kaisers während der amerikanis­chen Inva­sion am Ende des 2. Weltkriegs; zeich­net ein ambiva­lentes Porträt des Kaisers, der sich sein­er Sit­u­a­tion voll bewusst, ihr dabei ohn­mächtig aus­geliefert ist und sich in seine biol­o­gis­chen und poet­is­chen Hob­bies flüchtet. Sehr sehenswert.

Mi, 17.2. Cin­e­maxx 8, 15:30; Do, 18.2. Cin­e­maxx 8, 11:00

Berlinale zum 60.

Eben wurde mit dem Film Tuan Yuan die Berli­nale eröffnet, die heuer ihren 60. Geburt­stag feiert. Das ist kein Grund für Jubelgeschrei. Denn im Grunde han­delt es sich um eine recht triste Ver­anstal­tung. Sehr viele ziem­lich schlechte oder ger­ade noch mit­telmäßige Filme laufen hier und man hat nicht das Gefühl, dass das mit den Jahren bess­er, son­dern eher das Gefühl, dass es immer schlim­mer wird. Der Wet­tbe­werb war noch nie so schwach beset­zt wie in dies­mal. (Einen klu­gen aus­führlichen Text, der auch ein paar Gründe (z.B. Kosslick) für die Dilem­ma­ta der Berli­nale nen­nt, find­et man hier.)

Der Eröff­nungs­film ist symp­to­ma­tisch. Solides chi­ne­sis­ches Filmhandw­erk baut mit okayen Darstellern eine rührselige Geschichte, die nie­man­dem wehtut und mit ein biss­chen Sen­ti­ment und ein biss­chen betrunk­en­em Gesang so vor sich hin men­schelt. Der Regis­seur Wang Quan’an, der zu Sech­sten Gen­er­a­tion chi­ne­sis­ch­er Filmemach­er gezählt wird, hat vor drei Jahren mit Tuyas Hochzeit den Gold­e­nen Bären gewon­nen, einem Film, der (vor allem auf­grund der Pro­tag­o­nistin) noch deut­lich bess­er war als der heutige. Aber auch der hat­te schon das gle­iche Haupt­prob­lem wie jet­zt Tuan Yuan, ein Prob­lem, das bere­its vor 20 Jahren in Bezug auf die Filme der soge­nan­nten Fün­ften Gen­er­a­tion disku­tiert wurde: Der Blick des Regis­seurs ist gewis­ser­maßen autoethno­graphisierend, er führt die chi­ne­sis­che Gesellschaft für die Augen west­lich­er Zuschauerin­nen vor. In Tuyas Hochzeit war der der­maßen exo­tisierte Schau­platz die Mon­golei, in Tuan Yuan ist es die Großs­tadt Shanghai.

Symp­tome dieser Selb­s­tex­o­tisierung: der eine alternde Mann, der dem anderen erk­lärt, dass er sich vor dem Ein­schlafen immer die Füße mit war­men Wass­er wasche, worauf der andere antwortet, dass dies in Tai­wan nicht Brauch sei; die Szenen auf dem Standesamt, wo die bei­den Eheleute erfahren, sie müssten nochmal heirat­en, um sich schei­den lassen zu kön­nen (mit denen der Film sich über die putzige chi­ne­sis­che Bürokratie amüsiert); die alten Lieder, die drei alten Men­schen beim Aben­dessen gemein­sam sin­gen etc. Immer wirkt das so als wollte der Film sagen: Seht her, so sind die Chi­ne­sen, irgend­wie drol­lig, oder? Und auch sehr menschlich.

In den anderen Sek­tio­nen sieht es nicht bess­er aus. Aus dem Pro­gramm des Panora­ma (wo erfahrungs­gemäß der übel­ste Mist läuft), kenne ich kaum einen der Namen; im Forum sind zwar wie immer ein paar Perlen dabei (dazu dem­nächst mehr), aber auch einige ganz unterirdis­che Filme. Ganz trau­rig ist auch die diesjährige Ret­ro­spek­tive. Auf die war eigentlich immer noch am ehesten Ver­lass, oft war sie auch richtig schön zusam­mengestellt. In diesem Jahr ist das Konzept der Ret­ro­spek­tive eine Nicht-Idee: ein­fach ein paar High­lights aus 60 Jahren Berli­nale zeigen. So Filme wie À bout de souf­fle oder La notte. Ein paar unbekan­ntere (und dem Vernehmen nach tolle) Filme sind zwar auch darunter. Aber ob sich die Fes­ti­val­mach­er da nicht selb­st ein Bein gestellt haben? Neben diesen Fil­men muss das Rest­pro­gramm doch noch c‑klassiger wirken…

Deutschland nullnein

Wenn sich schon die SZ, bürg­er­lich­ste der deutschen Tageszeitun­gen, zweimal heftig echauffiert (erst der Kniebe während der Berli­nale, heute im Feuil­leton der Göt­tler-Fritz), dann bräucht­en wir eigentlich nichts mehr zu sagen. Deutsch­land 09, der Omnibus­film zur Lage der Nation, ist ein über­flüs­siger, großteils aus­ge­sprochen dum­mer Mis­tquatsch. Eine unge­wollte Offen­barung fehlen­den Tal­ents und fehlen­den Intellek­ts. Und ein ärg­er­lich­es und pein­lich­es diskur­spoli­tis­ches Statement.

Natür­lich sind darunter auch ein paar ganz gelun­gene Kurz­filme, genau von den Regis­seurIn­nen, von denen sich man sich im Vor­feld gewun­dert hat, warum die bei so was eigentlich mit­machen (Schan­elec, Graf/Gressmann, Kar­makar, Stev­er). (Bei Hochhäusler habe ich mich zwar auch gewun­dert, aber sein Film ist nicht gut – was nun ander­er­seits auch nicht sehr über­raschend ist.) Aber einige Beiträge sind so total daneben, dass doch erstaunlich ist, warum die Pro­duzen­ten nicht die Reißleine gezo­gen haben, um die Mach­er vor sich selb­st zu schützen.

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The last Band of Sheeps

Jedes Schaf hat seinen großen Tag und ein gutes vielle­icht auch zwei.“
(frei nach John­ny Copeland, gefun­den in Thomas Pyn­chons Vineland)

the_klf_-_why_sheep3fIn §531 von Lud­wig Wittgen­steins Philosophis­chen Unter­suchun­gen find­et sich eine bemerkenswerte, für mich entschei­dende Unter­schei­dung. „Wir reden vom Ver­ste­hen eines Satzes in dem Sinne, in welchem er durch einen andern erset­zt wer­den kann, der das Gle­iche sagt; aber auch in dem Sinne, in welchem er durch keinen anderen erset­zt wer­den kann. ( So wenig wie ein musikalis­ches The­ma durch ein anderes.) Im einen Fall ist der Gedanke eines Satzes, was ver­schiede­nen Sätzen gemein­sam ist; im andern, etwas, was nur diese Worte, in diesen Stel­lun­gen, aus­drück­en. (Ver­ste­hen eines Gedichts).“

In Bilder, „Bild-Sätze“ über­set­zt, kön­nte dies bedeuten, dass es Ein­sicht­en bzw. Erken­nt­nisse gibt, die nur filmisch erfahrbar gemacht wer­den kön­nen, als Kon­struk­tio­nen in actu, in ein­er bes­timmten Ver­ket­tung, Anord­nung von Bildern und Tönen. Der Sinn, der auf diese Weise entste­ht, kann unmöglich ohne Ver­lust in  andere Erfahrungs­for­men gegossen wer­den. Es geht um ästhetis­ches Erken­nen, um das Erleben von Ideen im Moment ihrer Geburt und, davon unter­schieden, um rein begrif­flich­es Erkennen.

Bilder, die etwas zum Aus­druck brin­gen, das durch andere Bilder nicht zum Aus­druck gebracht wer­den kann, Bilder, die sich somit dem Kri­teri­um der Über­set­zt­barkeit in andere Bilder (= Erfahrun­gen) entziehen, und dem Kri­teri­um der Resümier­barkeit sowieso (vgl. Barthes), solche Bilder fand ich im Rah­men dieser Berli­nale 09 kaum. Zu viele Bilder, die sich schon auf der Lein­wand zu Ende begrif­f­en, manch­mal auch ent­larvt haben, die von Anfang an wussten, worauf sie aus sind und was sie bewirken wollen; lenk­ende, manip­u­la­tive Bilder, die vor­gaben, gegen Manip­u­la­tion vorzuge­hen, stattdessen Ein­stim­migkeit und Zus­tim­mung gle­icher­maßen voraus­set­zten wie erzeugten (Richard Brouil­lettes L’Encerclement; Yoav Shamirs Defama­tion); poli­tisch didak­tis­che Bilder von erschreck­ender Sim­pliz­ität und man­gel­nder Ambivalenz, manch­mal auch zu nette Indie-Bild­chen (Andrew Bujal­skis Beeswax; Bradley R. Grays The Explod­ing Girl), Filme, die sich zwar für die kleinen Gesten inter­essieren, für das, was son­st überse­hen wird, dann let­z­tendlich aber doch – im Unter­schied etwa zu Kel­ly Reichardts Old Joy (2006) – zu ver­liebt sind in Homogen­ität und Kon­sens, zuwenig Inter­esse haben an dis­sensueller Kon­struk­tion von Milieus.

Und dann gab es doch noch einen großen Tag Weit­er­lesen

Berlinale: Zuckerwasser

Gara­pa nen­nt man im Nor­den Brasiliens den aus Zuck­er­rohr gewonnenen Zuck­er­rohrsaft. Ein süßlich­es Getränk, das mit Eis als Erfrischungs­getränk genossen wer­den kann. Alter­na­tiv bzw. in Erman­gelung bezahlbar­er Alter­na­tiv­en wird ein­fach Zuck­er (oder rapadu­ra) mit Wass­er ver­mis­cht und als bil­liger Energieliefer­ant genutzt und vor allem Kindern zu trinken gegeben.

In José Padil­has Film Gara­pa geht es um die zweite Vari­ante und um nichts weniger als den Hunger der Welt. Vorneweg: Padil­has Doku­men­ta­tion ist nur schw­er zu ver­dauen ertra­gen. Schon das ver­rauschende, grobkörnige schwarz-weiße 16mm-Bild­ma­te­r­i­al nimmt dem Zuschauer jede Möglichkeit eine erträgliche Dis­tanz zu wahren und sich eventuell dem Film nur rein ästhetisch zu näh­ern. Im Zen­trum ste­hen die betrof­fe­nen Fam­i­lien, die er über dreißig Tage mit einem kleinen Team bei ihrem täglichen Über­leben begleit­et hat. Padil­ha lässt die Fam­i­lien reden. Die Kam­era ist dabei, wenn die Fam­i­lie Wass­er aus einem ver­dreck­ten Tüm­pel schöpft. Sie ist dabei in den Hüt­ten, in dem Dreck, durch den die Kinder krabbeln. Die Kinder sind krank, lethar­gisch, haben Wasser­bäuche, offene Ekzeme auf der Haut, in denen sich die weni­gen Essen­sreste sam­meln und Fliegen ihre Eier leg­en. Weit­er­lesen