Bilanz 2022

Ok, ganz ehrlich, eigentlich ist mir nicht nach dem Schreiben eines Jahres­rück­blicks zumute. Ich mache das nur aus einem selt­samen Pflicht­be­wusst­sein der Tra­di­tion gegenüber. Mir per­sön­lich hat 2022 nicht beson­ders gut gefall­en und welt­poli­tisch fällt die Bilanz gemis­cht aus. Immer­hin ist nun Bol­sonaro erst­mal weg (in die USA abge­hauen, vorüberge­hend). Dafür gibt es neue recht­sradikale Regierun­gen in Ital­ien und Israel und die ver­schiede­nen Spielarten para‑, pseu­do- oder qua­si-faschis­tis­ch­er Autokra­tien gebär­den sich immer skru­pel­los­er. Dem kriegerischen Angriff auf die Ukraine stand die Linke hierzu­lande mal wieder ges­pal­ten gegenüber. Wie schon zur Coro­na-Pan­demie gab es keine klare Hal­tung. Während die einen (wie ich) für Waf­fen­liefer­un­gen sind, sind die anderen vehe­ment dage­gen (genau­so wie die einen für besseren Gesund­heitss­chutz waren und die anderen für mehr Frei­heit­srechte). Selt­same Zeit­en, in denen wir keinen guten und klaren Antworten auf die neuesten Kon­flik­te haben.

In der ersten Hälfte des Jahres sind zwei Büch­er erschiene­nen, an denen ich maßge­blich beteiligt war: Zum Einen unser Sam­mel­band Pre­car­i­ty in Euro­pean Film, zum Anderen meine kleine Mono­grafie Découpage: His­torische Seman­tik eines filmäs­thetis­chen Begriffs. Auf bei­de Büch­er bin ich ziem­lich stolz, sie sind echt schön gewor­den. Meine lit­er­arische Ent­deck­ung des Jahres war der­weil Kazuo Ishig­uro, dessen Remains of the Day ich nie gele­sen hat­te, mich nun aber wirk­lich begeis­tert hat. Aber es gab auch ein paar andere gute Lek­türen, hier als Dop­pel-Top 10:

a) Fic­tion

* Kazuo Ishig­uro – The Remains of the Day
* Ben­jamín Labatut – Das blinde Licht: Irrfahrten der Wis­senschaft
* Kazuo Ishig­uro – An Artist of the Float­ing World
* Kazuo Ishig­uro – Nev­er Let Me Go
* Bov Bjerg – Ser­pen­ti­nen
* Markus Wern­er – Bis bald
* Bernard Mala­mud – The Assis­tant
* D. H. Lawrence – The Fox
* Leo Perutz – Der Judas des Leonar­do
* Kazuo Ishig­uro – When We Were Orphans

b) Non­fic­tion

* Gert Ued­ing – Mod­erne Rhetorik: Von der Aufk­lärung bis zur Gegen­wart
* Sighard Neck­el – Sta­tus und Scham
* Peter Burke – Die Renais­sance
* Daniel Fair­fax – The Red Years of Cahiers du Ciné­ma Vol. 1 & 2
* Daniela Drösch­er – Zeige deine Klasse
* Sid­ney Lumet – Mak­ing Movies
* David Grae­ber & David Wen­grow – The Dawn of Every­thing
* Derk Pere­boom – Liv­ing With­out Free Will

Gern gehört habe ich Aldous Hard­ing und Fai Baba, aber das musikalis­che High­light des Jahres war das Roisín Mur­phy-Konz­ert in der Columbi­a­halle. Von uns Men­schen sind dig­i­tal die bei­den Tracks “Zu müde” und “Euphorie” erschienen: https://diemenschen-dieband.bandcamp.com/.

Filme habe ich ein paar ganz gute gesehen:

* Kahdek­san sur­man­lu­o­tia (Eight Dead­ly Shots, Mikko Niska­nen, FI 1972)
* Retour à Reims (Frag­ments) (Jean-Gabriel Péri­ot, FR 2021)
* The Pow­er of the Dog (Jane Cam­pi­on, UK/CN/AUS/NZL 2021)
* Licorice Piz­za (Paul Thomas Ander­son, CN/US 2021)
* Unrueh (Cyril Schäublin, CH 2022)
* Take A Let­ter, Dar­ling (Mitchell Leisen, US 1942)
* Sonne (Kur­d­win Ayub, AT 2022)
* Dene wos guet geit (Cyril Schäublin, CH 2017)
* Bait (Mark Jenkin, UK 2019)
* Run­ning on Emp­ty (Sid­ney Lumet, US 1988)
* Ordi­nary Peo­ple (Robert Red­ford, US 1980)

In let­zter Zeit habe ich ein biss­chen zuviel Online-Schach gespielt. Mein guter Vor­satz für das neue Jahr ist, das zu lassen. Es ste­hen ohne­hin große Dinge an – doch davon mehr in der Bilanz 2023… Erst­mal alles Gute Euch allen, lasst es krachen und habt es fein!