Bilanz 2020

Ein misslich­es Jahr war das, in viel­er­lei Hin­sicht, geprägt natür­lich in erster Lin­ie von Pan­demie, Panik & Kon­tak­tbeschränkun­gen. So reichen die pos­i­tiv­en Erin­nerun­gen vor allem zurück zum Anfang des Jahres, als ich zunächst mit großem Eifer und bis zur Erschöp­fung am Manuskript eines kleinen Büch­leins zur filmis­chen Découpage geschrieben habe. (Es lag dann lange in halbfer­tiger Form herum, aber in den let­zten Tagen habe ich mich ihm noch ein­mal gewid­met und nun zumin­d­est eine vor­erst finale Fas­sung erstellt.) Es fol­gte eine schöne Tagung mit vie­len inter­na­tionalen Gästen zu filmis­chen Darstel­lun­gen und Diskursen der Prekar­ität im europäis­chen Kino in Babels­berg – auch dazu fol­gt im kom­menden Jahr eine Fort­set­zung in Form der Arbeit an einem Sam­mel­band. Auf der Berli­nale, die Ende Feb­ru­ar fast wie durch ein Wun­der von Coro­na noch ver­schont blieb, haben es mir beson­ders die Stumm­filme von King Vidor ange­tan (siehe Liste unten). Der Früh­som­mer begann mit ein­er ersten (und eigentlich auch let­zten) kleinen Feier im kleineren Kreis auf offen­em Feld Ende Mai – auch das eine der schö­nen Erin­nerun­gen. Im Juni eine kleine Reise durch die Schweiz, später zum Liebling­sonkel in Süd­bay­ern, und schließlich, im August, nach Bologna zur abge­speck­ten Fas­sung des Cin­e­ma Ritrova­to.

Poli­tisch dür­fen wir vor allem die Abwahl Don­ald Trumps (allerd­ings bei einiger­maßen schock­ierend zunächst knapp wirk­en­dem Aus­gang) auf der Pos­i­tivliste ver­buchen.

Gele­sen habe ich viel, auch dicke Wälz­er (wie Sted­man-Jones’ Marx-Biografie und – in Teilen – Haber­mas’ let­ztes Mam­muntwerk) und die diversen aut­ofik­tionalen Werke und auto­bi­ografis­chen Reflex­io­nen über von Armut und Diskri­m­inierung geprägte Kind­heit­en (von Chris­t­ian Baron über Anna Mayr bis zu Deniz Ohde), allerd­ings ohne große Begeis­terung. Am besten gefall­en haben mir in diesem Jahr (Rei­hen­folge der Lektüre):

Ursu­la K. Le Guin – The Car­ri­er Bag The­o­ry of Fic­tion
Gün­ther Anders – Bert Brecht. Gespräche und Erin­nerun­gen
James Suz­man – Afflu­ence with­out Abun­dance: The Dis­ap­pear­ing World of the Bush­men
Ulrich Alexan­der Boschwitz – Men­schen neben dem Leben
César Aira – Die Wun­der­heilun­gen des Dok­tor Aira
César Aira – Birth­day
E. E. Cum­mings – The Enor­mous Room
Christi­na von Hoden­berg – Auf­s­tand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Auf­stieg zum Mythos
Ursu­la K. Le Guin – The Dis­pos­sessed
Ursu­la K. Le Guin – The Left Hand of Dark­ness
Dorothee Elminger – Aus der Zuckerfabrik

Solange es ging, bin ich ins Kino gegan­gen; Berli­nale und Bologna habe ich schon erwäh­nt; anson­sten habe ich natür­lich, wie alle, viele audio­vi­suelle Bewegt­bilder zuhause kon­sum­iert. Hier die Lieblinge:

El Prófu­go (The Intrud­er, Natalia Meta, ARG 2020)
Nev­er Rarely Some­times Always (Eliza Hittman, US/UK 2020)
Wine of Youth (King Vidor, US 1924)
The Big Parade (King Vidor, US 1925)
The Pat­sy (King Vidor, US 1928)
Show Peo­ple (King Vidor, US 1928)
Gomera (Cor­neliu Porum­boiu, ROM/FR/DE 2019)
Bacu­rau (Juliano Dor­nelles, Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2019)
Aquar­ius (Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2016)
Clau­dine (John Berry, US 1974)
Gin­za nijuy­on­cho (Tales of Gin­za, Kawashima Yuzo, J 1955)
Ai no oni­mot­su (Bur­den of Love, Kawashima Yuzo, J 1955)
Night­clean­ers (Berwick Street Film Col­lec­tive, UK 1975)
Io ho pau­ra (Dami­ano Dami­ani, IT 1977) – und viele andere tolle Filme von diesem großar­ti­gen Regisseur…

Musik habe ich wieder zuwenig gehört, aber ein paar Stücke sind hängengeblieben:

Oehl – Wolken
Khru­ang­bin & Leon Bridges – Texas Sun
Cari­bou – You and Me
Aldous Hard­ing – The Bar­rel
Jeff Park­er – Suite For Max Brown
Und, als Bonus­track, endlich als 7″:
Die Men­schen – 20. Jahrhun­dert

Viel Spaß damit – und auf ein besseres Leben im neuen Jahr!

 

Bedürftigkeitsprüfung für alle!

Wäre die SPD nicht so bräsig, würde sie im Gegen­zug zur Forderung der CDU, bei der Grun­drente die Bedürftigkeit der poten­tiellen Bezieher*innen zu prüfen, die Ausweitung der Prü­fung auf alle fordern. Ange­fan­gen bei den Diäten der Abge­ord­neten der CDU/C­SU-Frak­tion: Brauchen die wirk­lich monatlich 10.083,47 Euro als “Abge­ord­nete­nentschädi­gung”? Kön­nten wir das bitte mal ein­er einge­hen­den Prü­fung unterziehen?

Drüben im ND

Ganz am Anfang mag es mal eine gute Idee gewe­sen sein: Lebens­mit­tel nicht wegschmeißen, son­dern verteilen. Das klingt nett, das ver­ste­hen alle. In jedem anderen Land als diesem kön­nte diese Idee vielle­icht funk­tion­ieren. In diesem unseren Land jedoch wird auch aus so ein­er harm­losen, lieben Idee ein Ungetüm, ein Schau­platz nieder­ster Instink­te, ein ganzes Abbild der deutschen Gesellschaft im Kleinen. Noch im Kampf um Müll gibt es oben und unten, müssen sich die Braun­häuti­gen und Man­deläugi­gen hin­ten anstellen und dop­pelt so nett sein wie alle anderen. Noch im Kampf um Müll muss den Befehlen der Kom­man­dan­ten gehorcht wer­den, muss Reih und Glied herrschen und schwebt über allem die Zuchtrute. Und noch im Kampf um Müll gibt es predi­gende Mil­lionäre, die genaue Vorstel­lun­gen haben, wie die Ärm­sten diesen Kampf zu führen haben.

Weit­er­lesen im ND.

 

Merkel als Antifaschistin?

Verkehrte Welt? Die BRD an der Spitze ein­er neuen antifaschis­tis­chen Front?

Merkel erin­nerte an die tiefen Verbindun­gen zwis­chen Deutsch­land und den USA, die auch auf gemein­samen Werten beruht­en: “Demokratie, Frei­heit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Men­schen unab­hängig von Herkun­ft, Haut­farbe, Reli­gion, Geschlecht, sex­ueller Ori­en­tierung oder poli­tis­ch­er Ein­stel­lung”. Merkel sagte, “auf Basis dieser Werte” biete sie Trump “eine enge Zusam­me­nar­beit” an.

Das ist das genaue Gegen­teil eines Ange­bots zur Zusam­me­nar­beit: eine Kamp­fansage. Sie weiß ja, dass diese Werte nicht die von Trump sind. Im neuen poli­tis­chen Koor­di­naten­sys­tem ist Merkel objek­tiv nach links gerückt. In der neuen Wel­tord­nung wird es neue faschis­tis­che und antifaschis­tis­che Achsen geben. Es ist irri­tierend und gewöh­nungs­bedürftig, dass der Staat, in dem man lebt, plöt­zlich in der generellen Ten­denz, in den ganz großen Fra­gen, auf der richti­gen Seite steht.

Abbas Kiarostami gestorben

Sel­ten war ich so schock­iert von der Todesnachricht eines mir teuren Regis­seurs wie ger­ade eben jet­zt. Für mich ein­er der besten Filmemach­er der let­zten 40 Jahre. (Auch wenn ich seine let­zten bei­den Werke weniger mochte.)

Wir ver­danken ihm einige Höhep­unk­te der jün­geren Filmgeschichte wie

Khane-ye doust kod­jast? (Where is the Friend’s House?, IRAN 1987)
Nema-ye Nazdik (Close-Up, IRAN 1990)
Zire darakhatan zey­ton (Through the Olive Trees, IRAN 1994).

Aber viele andere, ältere wie auch jün­gere Filme von ihm sind auch ganz toll.