Die Krise und die Folgen II Öffentlicher Selbstmord
Heute vormittag hat sich ein griechischer Rentner auf dem zentralen Syntagma-Platz erschossen, nur einige hundert Meter vom Parlamentseingang entfernt. Hauptgrund scheint die Verzweifelung über seine Verschuldung gewesen zu sein.
Augenzeugen berichten, der Mann habe, bevor er abdrückte, gerufen: «So hinterlasse ich meinen Kindern keine Schulden». Es habe sich offenbar um einen symbolisch motivierten Akt gehandelt, mutmaßte einer der Zeugen, da die gleiche Tat an einem anderen Ort kaum die gleiche Aufmerksamkeit bekommen hätte.
Griechenland ist im fünften Jahr einer heftigen ökonomischen Krise, deren Folgen durch die von den europäischen Geldgebern geforderten Austeritätsmaßnahmen noch verschlimmert wurden. Diese Maßnahmen haben zu großen Kürzungen geführt, etwa um bis zu 25% bei den Rentenzahlungen.
Die sozialen Auswirkungen der Krise werden auf den Straßen Athens und anderer Großstädte immer deutlicher sichtbar. Die Selbstmordraten sind gestiegen. In einem bekannten Fall hat sich im letzten September ein mit seinen Schulden kämpfender Mann vor einer Bankfiliale in Thessaloniki selbst angezündet.
(Quelle)
Update (05.04., 10.00): Inzwischen wurde bei Dimitris Christoulas (so hieß der Mann) ein Abschiedsbrief gefunden. In ihm steht:
Die Regierung von Tsolakoglou hat mich aller Überlebensmöglichkeiten beraubt; sie basierten auf einer würdigen Rente, für die ich allein während 35 Jahren bezahlt habe, ohne Hilfe vom Staat. Da mir mein vorangeschrittenes Alter eine dynamischere Reaktion nicht erlaubt (obwohl: wenn einer meiner griechischen Landsmänner zu einer Kalashnikov greifen würde, würde ich mich hinter ihn stellen), sehe ich keine andere Lösung als mein Leben in Würde zu beenden. So werde ich nicht eines Tages in den Mülleimern nach Lebensmitteln suchen müssen. Ich glaube, dass Menschen ohne Zukunft eines Tages zu den Waffen greifen werden und die Verräter unseres Landes auf dem Syntagmaplatz hängen werden, so wie es die Italiener 1945 mit Mussolini taten.(Quelle)
Die Krise und die Folgen Rassismus in Griechenland
Mir macht die Krise Angst: Wenn man Ratten in einen Käfig sperrt und dann das Bodengitter mit Krisenspannung elektrisiert, fangen sie an, einander totzubeißen. D. Dath
Als wollten sie Dath bestätigen: Keine guten Nachrichten aus Griechenland:
In Griechenland und speziell in Athen breiten sich die Fälle rassistischer Gewalt gegenüber Immigranten auch auf Bezirke außerhalb des Zentrums aus.
Die Ausbreitung der Fälle rassistischer Gewalt auf neue Bezirke Athens, wie beispielsweise Kallithea, und die organisierten Angriffe gegen Immigranten, die an Bushaltestellen warten, sind einige der Strömungen, welche das Netzwerk zur Erfassung von Fällen rassistischer Gewalt ausmacht. Laut einer Untersuchung, deren Ergebnisse am vergangenen Mittwoch (21 März 2012) präsentiert wurden, agierten in der überwältigenden Mehrzahl der im letzten Quartal 2011 verzeichneten Fälle die Täter als Gruppe, was die Ansicht bezüglich organisierter rassistischer Verbrechen bekräftigt.
Sich auf die Chrysi Avgi beziehend warnte das Netzwerk, “dass sich die eine politische Vertretung beanspruchenden Gewaltgruppen darüber bewusst zu sein haben, dass es immer mehr auf sie gerichtete Mikroskope geben wird“. Weiter wird die Beunruhigung darüber ausgedrückt, dass “die Bevölkerung in den urbanen Zentren eine zunehmende Toleranz für rassistische Gewalt zeigt“.
Tatort-Autoren vs. CCC
Eine interessante Debatte entspannt sich zwischen 51 Drehbuchautoren der ARD-Krimiserie “Tatort” und 51 Hackern des Chaos Computer Clubs. Die Autoren haben gestern Mittag vorgelegt, und zwar einen saftigen Rundumschlag an Linke, Grüne, Piraten und sowieso die gesamte sogenannte Netzgemeinde.
Wie überhaupt der ganze Diskurs über das Netz und seine User einen hohen Ton anschlägt und damit die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt. Die Grundrechte der Urheber bzw. der von ihnen beauftragten Rechteinhaber aber werden dagegen marginalisiert: Zum Beispiel das Grundrecht auf geistiges Eigentum.
Der CCC kontert gekonnt:
Sir Arthur Conan Doyle schrieb dazu: »Wenn jeder Autor, der ein Honorar für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müßte, dann ergäbe das eine Pyramide so hoch wie die von Cheops.«
Das von Euch als gottgegeben hingestellte sogenannte “geistige Eigentum” ist bei näherem Hinsehen eine Chimäre jüngeren Datums, gerne als unsachlicher Kampfbegriff angeführt, um gewisse grundsätzliche Diskussionen zu vermeiden. In den letzten Jahren sind dazu viele – auch sehr ausgewogene – Kommentare verfaßt worden.
Wir sind gespannt, wie das weitergeht.
Ad ACTA II Die Diskussion
Etwas idealtypisch verzerrt kann man sagen, dass in der Diskussion zwei scheinbar gänzlich inkommensurable Weltbilder aufeinander prallen. Das äußert sich zunächst an den die Zustände beschreibenden Termini. So wiederholt die eine Seite — nennen wir sie «die Konservativen» — das Mantra, das Runterladen von copyright-geschütztem Material im Internet sei «Diebstahl». Noch vor einigen Tagen titelte das Berliner Boulevardblatt BZ: «Wisst Ihr ACTA-Demonstranten, dass ihr für Diebstahl auf die Straße geht?» Und auch in den Diskussionen im Kommentarbereich der größeren bürgerlichen Zeitungen taucht das immer mal wieder auf. Die Idee, mit der solche Rede sich plausibilisiert, ist folgende: Wenn Menschen für das, was andere produziert haben, nicht bezahlen und es sich einfach nehmen, bei den Produzentinnen also kein Geld ankommt — dann handele es sich um Diebstahl.
Die Gegenseite — «die Progressiven» — sieht die Sache völlig anders. Nicht gestohlen werde hier, sondern geteilt oder getauscht. Daher der Ausdruck «filesharing». Mit Diebstahl habe das überhaupt nichts zu tun. Und zwar weil niemandem etwas weg genommen werde. Diebstahl definiere sich aber doch gerade dadurch: jemandem etwas gegen ihren Willen entwenden. Beim typischen Fall geht ein Mensch in einen Laden, nimmt sich eine CD, und bezahlt nicht. Anschließend hat der Laden eine CD weniger und die Diebin eine mehr. Gerade das geschähe beim filesharing nicht, da nur untereinander geteilt und getauscht werde.
Die Konservativen antworten, dass dabei aber doch etwas entwendet werde, nämlich das Recht der Produzentin auf die Verwertung ihres Produkts. Weiterlesen