Gastbeitrag von Bini Adamczak Wen’s betrifft

Demokratie ist eigentlich recht ein­fach. Entschei­dun­gen tre­f­fen nicht die Stärk­eren, die Wohlge­boreneren, die Reicheren oder die Klügeren. Entschei­dun­gen wer­den vielmehr von denen getrof­fen, die von ihnen betrof­fen sind. Über die Straßen­verkehrsor­d­nung Berlins muss sich keine Münch­ner­in den Kopf zer­brechen, das kann sie get­rost den Berliner­in­nen über­lassen; ein unsicheres Atom­kraftwerk in Bib­lis hinge­gen geht auch die Frank­fur­terin etwas an, die im Falle eines GAUs evakuiert wer­den muss.

Zuweilen genügt die Wirk­lichkeit diesem Anspruch der Demokratie: die Bürg­er­meis­terin Ham­burgs wird von den Men­schen gewählt, die in Ham­burg leben, nicht von denen, die in Madrid wohnen. Aber das ist nicht immer so. Beim Umweltschutz etwa wurde das schon oft bemerkt. Die Kli­makatas­tro­phe bedro­ht nicht nur diejeni­gen, die heute darüber entschei­den, ob sie den kap­i­tal­is­tis­chen Wach­s­tum­szwang unter­brechen wollen, son­dern auch diejeni­gen, die in 100 oder 200 Jahren mit den Auswirkun­gen dieser Entschei­dung leben müssen.

Das gle­iche gilt für die Gren­zpoli­tik. Von ihr sind nicht nur diejeni­gen betrof­fen, die bere­its in Deutsch­land oder Europa leben, son­dern auch die, die hier gerne leben wür­den. Es ver­hält sich sog­ar ander­srum. Für die Men­schen, die inner­halb der Fes­tung Europas wohnen, sind die Auswirkun­gen der Abschot­tungspoli­tik von Fron­tex rel­a­tiv ger­ing, für die Men­schen, deren Leben im Mit­telmeer endet, sind sie gewaltig. Deswe­gen sind sie es auch, auf deren Stimme es hier ankommt.

Die Aufzäh­lung lässt sich fort­set­zen. Die Forderung nach mehr Polizei, die heute von allen Parteien erhoben wird, bet­rifft nicht nur diejeni­gen, die sich davon mehr Sicher­heit erhof­fen, son­dern auch diejeni­gen, für die sie mehr Unsicher­heit bedeutet: die Opfer von Polizeige­walt und von racial pro­fil­ing oder die Men­schen, die ins Gefäng­nis ges­per­rt wer­den, weil sie ihr U‑Bahnticket nicht zahlen kon­nten und die in Berlin heute ein Drit­tel aller Häftlinge ausmachen.

Eben­so ist es in anderen Lebens­bere­ichen. Etwa in der Gesund­heit­spoli­tik, wo die Kranken und ihre Pfleger die entschei­dende Rolle spie­len, oder in der Bil­dungspoli­tik, wo es die Schü­lerin­nen sind. Oder bei der Arbeit: Die Entschei­dung, eine Fab­rik zu schließen, kann, wenn es demokratisch zuge­ht, nicht von der­jeni­gen getrof­fen wer­den, der die Fab­rik gehört, son­dern nur von denen, die darin arbeit­en. Eben­so beim Wohnen: Natür­lich darf jede Woh­nung­seigen­tümerin sich dazu entschei­den, ihre Woh­nung lux­u­riös zu mod­ernisieren — sofern sie darin wohnt. Sofern sie die Woh­nung jedoch ver­mi­etet, muss sie diese Entschei­dung den Mieterin­nen überlassen.

Warum? Weil in der Demokratie diejeni­gen die Entschei­dun­gen tre­f­fen, die sie betr­e­f­fen. Demokratie ist eigentlich recht ein­fach. Sie ste­ht allerd­ings mor­gen nicht zur Wahl. Schade eigentlich, vielle­icht bekäme sie eine Mehrheit.