Lyrik VII

Frage und Antwort

I (japanisch)

Kam­er­ad siehst du die Wolke überm Festland
Kommt Wind Kommt Schnee
Kam­er­ad wo wer­den unsere Leiber liegen

Wo wir fall­en wer­den unsere Leiber liegen

2 (chi­ne­sisch)

Den Bech­er Wein vor dir und
Das Paradies Alter was willst du mehr
Ich wollte mein Bech­er füllte sich von selber
Ich hätte gern daß Fre­unde mich besuchten
Statt des Beamten der die Steuer eintreibt
Auch sähe ich gern meine Kinder wohlhabend
Dann wollte ich gern noch hun­dert Jahre leben
Und verzicht­en auf das Paradies

(Hein­er Müller)

lyrik VI

Ich-Mas­chine

Zurück zum Haus
zwis­chen den Gleisen und dem Garten,
in dem die Apfel­bäume warten, auf die ich kletterte
mich vor Erdanziehung ret­tete bis jemand rief
und ich dann in die Küche lief auf meinen Platz,
den ich ver­ließ wie einen Glauben
wie die Klassen­z­im­mer, Sport­plätze, Partykeller
Sicher­heit­szo­nen geschaf­fen von Eltern
und Men­schen, die in Luftschutzbunkern wohnen,
in denen Du son­st nichts ver­mißt außer Dir selbst
und sobald Du Dich fragst, wer das ist
und ob Du Dich fragst, wer das ist
und ob Du Dir so wie Du bist gefällst
wird das der Moment, in dem Du das Gebäude verläßt
mit ihm einen Berg von Leichen, Deine
ich sah meine auf den Schienen bei gestell­ten Weichen
ein let­ztes Mal die Köpfe schüt­tel­nd liegen
und fuhr fort und drüber weg.

Blum­feld

Lyrik IV

Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke

Der Mann:
Hier diese Rei­he sind zer­fal­l­ene Schöße
und diese Rei­he ist zer­fal­l­ene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwest­ern wech­seln stündlich.

Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
das war einst irgen­deinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat.

Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.

Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Men­sch hat soviel Blut.
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkreb­sten Schoß.

Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. — Den Neuen
sagt man: hier schläft man sich gesund. — Nur sonntags
für den Besuch läßt man sie etwas wacher.

Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwest­er. Wie man Bänke wäscht.

Hier schwillt der Ack­er schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,
Saft schickt sich an zu rin­nen. Erde ruft.

Got­tfried Benn

Lyrik III

Die von mir geschätzte Autorin Ulla Hahn, eini­gen Lesern vielle­icht durch ihren Roman Juden­buche, ach Quatsch, Das ver­bor­gene Wort bekan­nt, gelangte zunächst als Lyrik­erin (Stich­wort: Neue Sub­jek­tiv­ität) zu größer­er Bekanntheit.

Allein

Ich hab die Schnau­ze voll ich
bin auch müde und fürcht mich
jet­zt schon vor dem ersten war­men Tag
den kleinen Kindern und den
schwangern Frauen und was das
Früh­jahr noch erzeu­gen mag.

Ich bin allein ich hab nichts
zu ver­lieren als ein paar
Tage vom ver­gang­nen Jahr
und Angst mit mir was Neues
zu pro­bieren nicht zu krepiern
an dem was niemals war.

Lyrik II

kippenberger2Ein­er der inter­es­san­testen — witzig­sten jeden­falls — deutschsprachi­gen Poet­en ist kein­er, son­dern war bilden­der Kün­stler, Mar­tin Kip­pen­berg­er, jung ver­stor­ben mit äußert schmalem lyrischen Nach­lass (wenn man die vie­len bril­lanten Titel sein­er Kun­star­beit­en nicht mit zählt). Aber immer­hin find­et sich da z.B. das:

formel-1-poem

heute denken
mor­gen fertig

Zum Weit­er­lesen eine hüb­sche Kri­tik zu der von Didi Diederich­sen her­aus­gegebe­nen Kip­pen­berg­er-Lyrik-und-Prosa-Auswahl, die vor ca. 1,5 Jahren bei suhrkamp erschienen ist: da.

Jet­zt muß ich den Birkenwald
Denn meine Pillen wirken bald