«Man muss verdammt jung und blauäugig sein, um so einen Unsinn vorzuschlagen», sagt Ruedi Noser (nicht nur «Selfmademan», sondern auch noch FDP-Nationalrat und SuccéSuisse-Gründer – der Mann scheint zu viel Zeit zu haben) im WOZ-Interview. Mit dem «Unsinn» ist die 1:12-Initiative gemeint, die vorsieht, dass das höchste Gehalt in einem Unternehmen nur zwölf mal höher sein darf als das niedrigste. Eine «blauäugige», eine «extreme Forderung» ist das in Nosers (braunen?) Augen.
Und recht hat er, wenn auch ganz anders, als er denkt. Dass manche Menschen für den gleichen Verschleiß an Arbeitskraft und Lebenszeit zwölf mal mehr Geld verdienen sollen als andere – und das unter oft viel angenehmeren Bedingungen (z.B. großer Schreibtisch zum Füße drauf legen & Sekretäre, die auf Zuruf Koffeingetränke herbeischaffen) – das ist in der Tat eine ganz schön extreme Forderung. Können die sich nicht vielleicht mal mit zehn mal mehr zufrieden geben? Oder vielleicht acht mal mehr? Immer noch ziemlich extrem, wenn man sich das in Gütern zurecht denkt (denn die Kohle verkörpert ja letztlich potenziellen Konsum, was sonst): Der eine Mensch darf zum Frühstück ein Brötchen essen, der andere acht, der eine eine Tasse Kaffee trinken, der andere acht. Dann geht der eine zum Zähneputzen in sein 10 m2 großes Bad, der andere in seine 80m2-Luxusbadesuite, legt sich noch eine Runde in eins seiner acht Betten und geht dann zu seinen acht Kleiderschränken um sich acht paar Socken anzuziehen. Ein bisschen viel, oder? Acht Paar Socken! So gesehen ist die Forderung nach acht mal mehr Geld also immer noch ziemlich extrem. Eventuell würde es doppelt so viel auch tun. Wobei die am wenigsten extreme Forderung natürlich die nach gleichem Gehalt für alle wäre.
Noser wird einwenden, dass dieses blauäugige Räsonnement von den Bedingungen absieht, unter denen auf dem freien Markt die Preise für den Verkauf von Arbeitskraft festgelegt werden. Offenbar ist der Verschleiß von Lebenszeit und Arbeitskraft mancher Menschen nun einmal zwanzig (oder mehr) mal soviel wert wie der von anderen. Zum Beispiel die besonderen Skills, sich zu verrechnen und zu verspekulieren oder anderen Menschen Befehle zu erteilen und ihnen dann aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen, sind rar gesät und daher teuer. 20 oder 40 mal so teuer wie einfache Handarbeit, hat der Markt festgestellt. Und wenn der Markt das sagt, wer wird da widersprechen wollen?
Dennoch widersprechen zu wollen, ist ein unbestreitbarer Vorzug der 1:12-Initiative. Sie nimmt die gegebenen Bedingungen nicht als gottgegebene hin. Sie repolitisiert einen Gesellschaftsbereich, der allzu oft als naturwüchsig und nach marktliberalem Credo als unantastbar gilt. Das ist der Grund, aus dem sich die Nosers so davon provoziert fühlen. Bei Licht betrachtet ist die 1:12-Initiative zwar Unsinn und vor allem viel zu extrem, aber in der Schweiz stimmberechtigte Menschen, die keine Selfmademänner oder FDP-Nationalräte sind, sollten dennoch für sie stimmen. Sie ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und ihr Erfolg wäre ein bisschen besser als nix.