Kurzes Interview mit Bini Adamczak Zur Relevanz vom ollen Marx

Hier ein Inter­view, das eigentlich für den ORF aufgenom­men wurde, von dem öster­re­ichis­chen Sender jedoch abgelehnt wurde – mit der Begrün­dung, Adam­czak sei Mit­glied der IL (was nicht stimmt, aber bis vor Kurzem auf Wikipedia stand).

Frau Adam­czak, welche Rel­e­vanz hat Karl Marx 200 Jahre nach seinem Tod?

Marx — und der Zusam­men­hang, dem er entstammt — haben uns eine präzise und radikale Analyse des Kap­i­tal­is­mus geschenkt. So lange wir im Kap­i­tal­is­mus leben, bleibt diese Analyse aktuell. Die The­o­rien von Marx wer­den also erst dann zu den alten Eisen zählen kön­nen, wenn auch der Kap­i­tal­is­mus auf dem Müll­haufen der Geschichte entsorgt ist.

Sie haben sich beson­ders inten­siv mit Geschlechter­ver­hält­nis­sen in unser­er Gesellschaft auseinan­derge­set­zt. Inwieweit ist Marx für diese Analyse hil­fre­ich? Wo sind Schwachstellen?

Eine zen­trale kap­i­tal­is­tis­che Ide­olo­gie lautet: „So, wie es ist, war es immer, so wird es immer sein“. Schon die Jägerin­nen und Samm­ler sollen Felle und Beeren gegeneinan­der aus­ge­tauscht haben, schon in den Steinzei­thöhlen sollen manche Kinder die Farbe rosa, andere die Farbe hell­blau bevorzugt haben. Der Grund hier­für wird „Natur“ genan­nt — „da kann man halt nichts machen“, heißt es. Darüber hat sich der His­torik­er Marx zu Recht lustig gemacht. Im Laufe der Zeit haben die Men­schen mit sehr unter­schiedlichen Mod­ellen von Wirtschaft oder Geschlecht gelebt. Über den aller­größten Zeitraum der Men­schheits­geschichte hat Geld eine ver­schwindend kleine Rolle gespielt und auch das Patri­ar­chat gibt es noch nicht ewig. Wed­er die Unter­drück­ung des einen Geschlechts durch das andere, noch über­haupt die Unterteilung von Men­schen in Geschlechter sind natür­lich. Ein offen­er Blick in die Geschichte zeigt: Es war nicht immer so, es muss nicht immer so bleiben.

Sie gel­ten als promi­nente Kri­tik­erin des Stal­in­is­mus. Gibt es Ihrer Mei­n­ung nach einen Zusam­men­hang zwis­chen den The­o­rien von Marx und den autoritären Aus­for­mungen des Sozialismus?

Marx war vor allem Kri­tik­er der kap­i­tal­is­tis­chen Herrschaft. Mit der Frage, wie eine eine herrschafts­freie Gesellschaft ausse­hen kann, die nach dem Kap­i­tal­is­mus kommt, hat er sich wenig beschäftigt. Die Ein­wände ander­er Sozial­istin­nen, wie etwa Bakunins, der auf mögliche Gefahren hin­wies, hat Marx mit Arro­ganz bei­seite gewis­cht. Damit muss er sich den Vor­wurf ein­er gewis­sen intellek­tuellen Ver­ant­wor­tungslosigkeit machen lassen. Es gibt bei Marx auch autoritäre Ten­den­zen, vor allem in der Prax­is, etwa gegenüber den anar­chis­tis­chen Genossin­nen, und eben­falls in seinen Tex­ten. Der autoritäre Sound find­et sich da vor allem in den Fußnoten, anders als bei Lenin, wo er in den Haupt­text wan­dert. Der Stal­in­is­mus jedoch ist eine gän­zliche Verkehrung des kom­mu­nis­tis­chen Ver­sprechens. Dieses lautete immer: Nicht die Herrschaft der einen durch die Herrschaft der anderen zu erset­zen – wie bish­er in der Geschichte –, son­dern alle Herrschaft abzuschaf­fen. Es ist deswe­gen kein Zufall, dass viele der früh­sten und radikalsten Kri­tiken des Stal­in­is­mus von Marx­istin­nen for­muliert wur­den. Aber die stal­in­is­tis­che Herrschaft lässt sich nicht mehr aus der Geschichte weg­denken. In diesem Sinne hat­te Marx weniger Ein­fluss auf Stal­in als Stal­in auf Marx. Das macht die Auf­gabe für die Men­schen heute schw­er­er: Sie müssen nicht nur die Schreck­en des Kap­i­tal­is­mus abschüt­teln, son­dern auch ver­hin­dern, dass neue Schreck­en an deren Stelle treten.

Führende Ökonomen gehen davon aus, dass die Krise mit dem Jahr 2008 keineswegs vor­bei ist, son­dern dass uns weit­ere schwere Erschüt­terun­gen dro­hen. Kann Marx uns helfen, die Krisen des Kap­i­tal­is­mus bess­er zu verstehen?

Mod­erne Men­schen, vor allem lib­erale, gehen oft davon aus, dass alles so weit­er geht wie bish­er. Ins­beson­dere in Phasen von Wohl­stand und Wach­s­tum glauben sie an einen steten Fortschritt zum Besseren. Umso größer ist das Erschreck­en, wenn eine plöt­zliche ökonomis­che Krise diese Illu­sion zer­reißt. Plöt­zlich scheint die Zeit rück­wärts zu laufen und die hässlich­sten Leichen der Geschichte kehren an die Ober­fläche der Tage­spoli­tik. Wir erleben die Rück­kehr des Faschis­mus. Marx Analyse zeigt, dass die Krise notwendig zum Kap­i­tal­is­mus gehört. Die kap­i­tal­is­tis­che Ökonomie zeich­net sich durch einen unbe­gren­zten Zwang zum Wach­s­tum aus, der sich nicht aufhal­ten lässt. Auch dann nicht, wenn son­nen­klar ist, dass er die natür­lichen Lebens­grund­la­gen des begren­zten Plan­eten zer­stören wird. Marx kann helfen, hier klar zu sehen: Die Gefahr des Faschis­mus lässt sich nicht ban­nen und das Kli­ma der Erde nicht ret­ten, so lange der Kap­i­tal­is­mus beste­hen bleibt.

Tragödie und Farce

Aus: Karl Marx — Friedrich Engels — Werke, Band 23, “Das Kap­i­tal”, Bd. I, Sieben­ter Abschnitt, S. 753 ff.

Der Fortschritt des 18. Jahrhun­derts offen­bart sich darin, daß das Gesetz selb­st jet­zt zum Vehikel des Raubs am Volk­sland wird, obgle­ich die großen Pächter neben­bei auch ihre kleinen unab­hängi­gen Pri­vat­meth­o­d­en anwen­den. Die par­la­men­tarische Form des Raubs ist die der “Bills for Inclo­sures of Com­mons” (Geset­ze für Ein­hegung des Gemein­de­landes), in andren Worten Dekrete, wodurch die Grund­her­rn Volk­sland sich selb­st als Pri­vateigen­tum schenken, Dekrete der Volk­sex­pro­pri­a­tion. Sir F. M. Eden wider­legt sein pfif­figes Advokaten­plä­doy­er, worin er das Gemein­deeigen­tum als Pri­vateigen­tum der an die Stelle der Feu­dalen getrete­nen großen Grun­deigen­tümer darzustellen sucht, indem er selb­st einen “all­ge­meinen Par­la­mentsakt für Ein­hegung der Gemein­delän­dereien” ver­langt, also zugibt, daß ein par­la­men­tarisch­er Staatsstre­ich zu ihrer Ver­wand­lung in Pri­vateigen­tum nötig ist, andr­er­seits aber von der Leg­is­latur “Schadenser­satz” für die expro­pri­ierten Armen fordert.

Während an die Stelle der unab­hängi­gen Yeomen ten­ants-at-will trat­en, kleinere Pächter auf ein­jährige Kündi­gung, eine servile und von der Willkür der Land­lords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der Staats­domä­nen, namentlich der sys­tem­a­tisch betrieb­ne Dieb­stahl des Gemein­deeigen­tums jene großen Pacht­en anschwellen, die man im 18. Jahrhun­dert Kap­i­tal-Pacht­en oder Kauf­manns-Pacht­en nan­nte, und das Land­volk als Pro­le­tari­at für die Indus­trie “freiset­zen”.
[…]
In der Tat wirk­ten Usurpa­tion des Gemein­de­lands und die sie beglei­t­ende Rev­o­lu­tion der Agrikul­tur so akut auf die Acker­bauar­beit­er, daß, nach Eden selb­st, zwis­chen 1765 und 1780 ihr Lohn anf­ing, unter das Min­i­mum zu fall­en und durch offizielle Arme­nun­ter­stützung ergänzt zu wer­den. Ihr Arbeit­slohn, sagt er, “genügte nur noch eben für die absoluten Lebensbedürfnisse”.

Merke: ALGII-Auf­s­tock­er gab es auch schon im 18. Jahrhundert.

PLinks KW 36/10

Die Woche aus Principien-Sicht:

  • Die Akte CCC:

  • Die taz antwortet Math­ias Döpfn­er, der behauptet, die Presse­frei­heit sei “von innen bedro­ht”, näm­lich durch die “Gratis-Kul­tur” im Internet.

Für die meis­ten Chris­ten ist die Bibel wie eine Soft­ware-Lizenz. Eigentlich liest sie nie­mand kom­plett durch. Aber alle akzep­tieren sie.

  • Das Zitat der Woche kommt aber von Karl Marx:

Die Bürokratie gilt sich selb­st als der let­zte Endzweck des Staates.

Den und jede Woche ein anderes Zitat aus dem Kap­i­tal “über­weist” die Kün­st­lerin Christin Lahr näm­lich dem Finanzmin­is­teri­um. Ist total super­sub­ver­siv und nervt den Staat unge­mein, meint zumin­d­est das ZDF und gibt Hand­lungsan­weisung zum bürg­er­lichen Widerstand.

Australian Poetry

John Forbes gilt als wichtig­ster Vertreter der zeit­genös­sis­chen Poe­sie Aus­traliens (falls man das sagen kann von jemand, der seit 12 Jahren tot ist). Hier eins mein­er Lieblings­gedichte von ihm. Andere und mehr Infor­ma­tio­nen gibt’s hier.

Ode to Karl Marx

Old father of the hor­ri­ble bride whose
wed­ding cake has final­ly col­lapsed, you

spoke the truth that doesn’t set us free—
it’s like a lever made of words no one’s

learnt to oper­ate. So the machine it once
con­nect­ed to just accel­er­ates & each new

rap dance video’s a per­fect image of this,
bod­ies going faster and faster, still dancing

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Cannes: Keine Farce

Lou Ye, 婁燁Selb­st Jim Jar­musch hat man dieses Jahr abge­sagt und The Lim­its of Con­trol ((mit Til­da Swin­ton, Gael Gar­cía Bernal and Bill Mur­ray)) kurzfristig aus der Auswahl gestrichen. Das erste Mal, dass Jim seinen Film nicht in Cannes vorstellen darf. Da bin ich tat­säch­lich ganz froh, dass wenig­stens ich da sein kann, in Cannes. Los geht’s mit zwei Mal Asien:

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