Wohin die Reise gehen soll, 3

All­ge­mein gesagt ist das größte Prob­lem des Kap­i­tal­is­mus in Zeit­en der Krise, dass die indi­vidu­ellen Reak­tio­nen von Unternehmer*innen gesamtheitlich betra­chtet nicht­in­tendierte neg­a­tive Fol­gen haben: Eine Unternehmer*in entlässt die Hälfte ihrer Belegschaft, weil sie die Gehäl­ter nicht mehr zahlen kann. Die ent­lassene Belegschaft ver­liert mit ihrem Einkom­men ihre Kaufkraft, daher geht die Nach­frage von Kon­sumar­tikeln zurück. Das belastet wieder andere Unternehmer*innen, die ihrer­seits nun ent­lassen müssen undsoweiter.

Daraus ergibt sich ein dynamis­ches Schrumpfen der Wirtschaft, die soge­nan­nte Rezes­sion. Für „die Wirtschaft“ ist das schlecht, für die ent­lasse­nen Leute auch. Gut dage­gen ist es für die Natur und das Klima.

Wahnsin­nig unfair ist der Kap­i­tal­is­mus, weil die Krisen­fol­gen so wahnsin­nig ungle­ich verteilt sind: Manche (etwa Lebens­mit­tel­händ­lerin­nen) prof­i­tieren, während andere (etwa Restau­rantbe­sitzerin­nen) lei­den. Egal, ob die Krise endo­gen (z.B. durch Finanz- und Immo­bilien­speku­la­tion) oder exo­gen (z.B. durch eine Pan­demie) pro­duziert wurde, im Kap­i­tal­is­mus tre­f­fen die Fol­ge­be­las­tun­gen manche sehr hart, manche gar nicht. Der Idee indi­vidu­eller Ver­ant­wor­tung spricht das Hohn (jede ist ihres Glück­es Schmiedin, hoho): Warum sollte es meine Schuld sein, wenn ich statt eines Gemüse­ladens ein Falafel­restau­rant eröffnet habe?

Alter­na­tive Wirtschaftsmod­elle müssten sich also unter anderem daran messen lassen, dass sich a) aus Krisen keine die Krisen ver­stärk­enden Krisen­dy­namiken ergeben, und b) dass die pos­i­tiv­en wie die neg­a­tiv­en Effek­te des Wirtschaftens unge­fähr gle­ich­mäßig verteilt werden.

Wohin die Reise gehen soll

An ander­er Stelle wird disku­tiert, in welchem Maße die Krise glimpflich­er ver­laufen wäre/würde, wenn wir es nicht mit ein­er kap­i­tal­is­tisch dominierten Wel­tord­nung zu tun hät­ten. Um Bini zu zitieren:

“Ich denke es ist wichtig zu unter­schei­den, was an der gegen­wär­ti­gen und kom­menden ökonomis­chen Krise von dem Virus verur­sacht ist und was vom Kap­i­tal­is­mus. Es wäre unaufrichtig und dann auch nicht glaub­würdig, ein­fach alles auf den Kap­i­tal­is­mus zu schieben. Wenn wir genauer angeben kön­nen, welche Effek­te in ein­er nichtkap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft unnötig und also ver­mei­d­bar sind, kön­nen wir vielle­icht auch genauere Alter­na­tiv­en anbi­eten.“

Das Argu­ment ist überzeu­gend. Eine glaub­würdi­ge Krise­n­analyse müsste sich darum bemühen aufzuzeigen, welch­er Teil des gegen­wär­ti­gen und kom­menden Elends in ein­er bess­er (vernün­ftiger und men­schlich­er) organ­isierten Welt ver­mieden wor­den wäre. Dabei ist ein­er­seits zunächst zu kon­sta­tieren, dass ein Rück­gang der Pro­duk­tiv­ität unter jed­er real­is­tis­chen Alter­na­tivökonomie notwendig wäre: Über­all, wo Men­schen auf engerem Raum miteinan­der arbeit­en, muss ja die Pro­duk­tion still­gelegt wer­den. (Helfen kön­nte da nur eine noch weit­erge­hende Vol­lau­toma­tisierung, die aber in manchen Bere­ichen undenkbar ist.) Ander­er­seits stimmt sicher­lich auch, dass eine demokratisch kon­trol­lierte und bedürfnisori­en­tierte Ökonomie extreme Effek­te (etwa Masse­nent­las­sun­gen) ver­mei­den kön­nte und eventuell auch auf die Gefahr der Aus­bre­itung früher bess­er hätte reagieren können.

Das Haupthin­der­nis, um die Frage genauer zu beant­worten, ist logis­cher­weise die bis­lang ganz vage Vorstel­lung davon, wie die dem Gedanken­ex­per­i­ment zugrun­deliegende nichtkap­i­tal­is­tis­che Wirtschaft ausse­hen kön­nte – und ergo in welche Rich­tung sich linke Poli­tik heute auf­machen sollte. Genauere Vorstel­lun­gen zu entwick­eln scheint in der Tat eins der Gebote der Stunde zu sein.

Wesentlich dafür ist m.E. erstens, dass wir uns von mod­ell­haften Utopi­en ver­ab­schieden und statt dessen bei real existieren­den “Keim­for­men” bere­its beste­hen­der nichtkap­i­tal­is­tis­ch­er Prak­tiken anset­zen, und zweit­ens, dass wir aufhören, monis­tis­che Prinzip­i­en zugrunde zu leg­en. (An bei­den Punk­ten krank­te die Debat­te zwis­chen Marktsozialist*innen und Antimarktsozialist*innen.)

Mein Vorschlag: Wir schauen uns an, welche nichtkap­i­tal­is­tis­chen Pro­duk­tion­sweisen es im Kap­i­tal­is­mus gibt und disku­tieren dann, wie wir sie – im Sinne eines Radikalre­formis­mus, für den Allianzen aus Bewe­gun­gen und linken Parteien treibende Kräfte sein kön­nten – so pushen, dass sie gegenüber der kap. PW die Dom­i­nanz gewin­nen (statt wie heute sub­dom­i­nant zu sein).

Fort­set­zung

Trump und die Folgen (2) Bannon und sein fünfzigjähriges Reich

Steve Ban­non ist eine einiger­maßen faszinierende Fig­ur. Ein Hal­bintellek­tueller mit Geschichts­be­wusst­sein und genauem Gespür für Stim­mungen in bre­it­en Bevölkerungskreisen. Ein Stratege und beken­nen­der Nation­al­ist und Pop­ulist. Ein­er, für den die let­zt­ge­nan­nten Etiket­ten nicht etwa dif­famierend sind, son­dern Ele­mente der Selb­stveror­tung im poli­tis­chen Koordinatensystem:

 I’m a nation­al­ist. An eco­nom­ic nationalist.

In meinem let­zten Beitrag habe ich den Teufel an die Wand gemalt. Das erste und ober­ste Ziel der Wirtschaft­spoli­tik der Trump-Admin­is­tra­tion wird sein, habe ich geschrieben, sich die Unter­stützung ein­er Mehrheit der Bevölkerung zu sich­ern, indem sie durch entsprechende Infra­struk­tur­pro­jek­te Arbeit­splätze schafft. Dazu muss man nicht lange in die Glaskugel guck­en, es ist ein sehr sim­ples Kalkül. Und den Teufel muss man auch nicht mehr malen, er ist so nett, direkt zu uns zu sprechen:

Like [Andrew] Jackson’s pop­ulism, we’re going to build an entire­ly new polit­i­cal move­ment. It’s every­thing relat­ed to jobs. The con­ser­v­a­tives are going to go crazy. I’m the guy push­ing a tril­lion-dol­lar infra­struc­ture plan. With neg­a­tive inter­est rates through­out the world, it’s the great­est oppor­tu­ni­ty to rebuild every­thing. Ship yards, iron works, get them all jacked up. We’re just going to throw it up against the wall and see if it sticks. It will be as excit­ing as the 1930s, greater than the Rea­gan rev­o­lu­tion — con­ser­v­a­tives, plus pop­ulists, in an eco­nom­ic nation­al­ist movement.

Sowohl Jack­son als auch Roo­sevelt (der hier indi­rekt mit den 1930ern, dem New Deal, ange­sprochen ist), waren Democ­rats, Jack­son Grün­der der Partei. Sich auf ihn zu berufen ist in den heuti­gen USA schon deswe­gen ungewöhn­lich, weil Jack­son in sein­er Amt­szeit (1829–37) unter anderem für die Vertrei­bung und Ver­nich­tung von fünf der größten Einge­bore­nen­stämme in den USA ver­ant­wortlich war. Ban­non stört das natür­lich kaum: Der nation­al­is­tis­che Pop­ulis­mus geht mit Chau­vin­is­mus und Ras­sis­mus Hand in Hand.

Allerd­ings weiß Ban­non auch, dass die ras­sis­tis­che Karte nun­mehr nur noch mit Bedacht gespielt wer­den darf. Nicht aus human­is­tis­chen Skru­peln (sowas ist dem Mann wahrschein­lich nicht nur fremd, son­dern richtigge­hend zuwider), son­dern auf­grund ein­fach­er Arith­metik. Neben ein­er dauer­haften Unter­stützung von 60% der weißen Amerikan­er, braucht seine “völ­lig neue poli­tis­che Bewe­gung” auch 40% der Stim­men von Schwarzen und Lati­nas; der Ras­sis­mus muss daher ganz gezielt einge­set­zt wer­den, gegen Ille­gale beispiel­sweise. Kern der zuvorder­st dem länger­fristi­gen eige­nen Machter­halt dienen­den Poli­tik wird aber die pro­tek­tion­is­tis­che und staatskap­i­tal­is­tis­che Wirtschaft­spoli­tik sein:

The glob­al­ists gut­ted the Amer­i­can work­ing class and cre­at­ed a mid­dle class in Asia. The issue now is about Amer­i­cans look­ing to not get fucked over. If we deliv­er we’ll get 60 per­cent of the white vote, and 40 per­cent of the black and His­pan­ic vote and we’ll gov­ern for 50 years.

Hier denkt jemand wirk­lich in his­torischen Dimen­sio­nen. Es geht nicht etwa nur um die erste Amt­szeit Trumps und seine Wieder­wahl, es geht um ein fün­fzigjähriges Reich.

Fraglich ist allerd­ings, ob die Pläne so aufge­hen kön­nen. Ban­non, anson­sten offenkundig von sein­er neuen Macht völ­lig berauscht, ver­rät das ja selb­st (“see if it sticks”). Es kön­nte gut sein, dass das alles so ein­fach nicht ist mit den neg­a­tiv­en Zin­srat­en und dem Bil­lio­nen-Ver­schul­dungs-Pro­gramm. Vielle­icht wird das unter der Hand eher ein Hyper­in­fla­tion­spro­gramm, eine wahre Ent­fes­selung und Dynamisierung der bis­lang in Latenz schlum­mern­den struk­turellen Krise, eine Beschle­u­ni­gung der sys­temis­chen Selb­st­de­struk­tion. Dies ist unser Dilem­ma: Man weiß momen­tan nicht, was mehr zu fürcht­en ist, der Erfolg Ban­nons und die Per­pe­tu­ierung sein­er neo­faschis­tis­chen Bewe­gung oder die Sys­temim­plo­sion mit dann wohl bis aufs Blut geführten Verteilungskämpfen. Eine wirk­lich dia­bolis­che Situation.

Um den­noch nicht ganz auf der Note “Not oder Elend” zu enden: Dies ist eine Zeit, in der auch wir aller­lei Dinge aus­pro­bieren kön­nen to see if they stick; eine Zeit, in der wir uns über Vieles klar und klar­er wer­den kön­nen, über die Zusam­men­hänge des poli­tis­chen und wirtschaftlichen Sys­tems, in dem wir leben zum Beispiel, und über mögliche sowie bere­its beste­hende und entste­hende Alter­na­tiv­en. Und nicht zulet­zt auch darüber, dass gelebte Sol­i­dar­ität in pro­gres­siv­en poli­tis­chen Kämpfen und aktive Teil­habe an link­er Gegenkul­tur zu den schön­sten Erfahrun­gen gehören, die uns dieses Leben zu bieten hat.

Griechenland in der Krise Betrieb in Selbstverwaltung

Die Arbeiter/innen von Vio.Me., ein­er Baustoff-Fab­rik in Thes­sa­loni­ki, die von ihren Besitzern aufgegeben wurde, wur­den seit Mai 2011 nicht mehr bezahlt. Auf ein­er Gen­er­alver­samm­lung haben sie beschlossen, die Fab­rik zu beset­zen und unter direk­ter demokratis­ch­er Arbeit­erkon­trolle zu betreiben. Nach einem Jahr des Kampfes, der Aufmerk­samkeit und Sol­i­dar­ität in Griechen­land und weltweit erregt hat, haben sie am 12. Feb­ru­ar 2013, nach drei Tagen inten­siv­er Mobil­isierung, mit der Pro­duk­tion begonnen. 

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Die Krise und die Folgen II Öffentlicher Selbstmord

Heute vor­mit­tag hat sich ein griechis­ch­er Rent­ner auf dem zen­tralen Syn­tag­ma-Platz erschossen, nur einige hun­dert Meter vom Par­la­ment­sein­gang ent­fer­nt. Haupt­grund scheint die Verzweifelung über seine Ver­schul­dung gewe­sen zu sein.

Augen­zeu­gen bericht­en, der Mann habe, bevor er abdrück­te, gerufen: «So hin­ter­lasse ich meinen Kindern keine Schulden». Es habe sich offen­bar um einen sym­bol­isch motivierten Akt gehan­delt, mut­maßte ein­er der Zeu­gen, da die gle­iche Tat an einem anderen Ort kaum die gle­iche Aufmerk­samkeit bekom­men hätte.

Griechen­land ist im fün­ften Jahr ein­er hefti­gen ökonomis­chen Krise, deren Fol­gen durch die von den europäis­chen Geldge­bern geforderten Aus­ter­itäts­maß­nah­men noch ver­schlim­mert wur­den. Diese Maß­nah­men haben zu großen Kürzun­gen geführt, etwa um bis zu 25% bei den Rentenzahlungen.

Die sozialen Auswirkun­gen der Krise wer­den auf den Straßen Athens und ander­er Großstädte immer deut­lich­er sicht­bar. Die Selb­st­mor­drat­en sind gestiegen. In einem bekan­nten Fall hat sich im let­zten Sep­tem­ber ein mit seinen Schulden kämpfend­er Mann vor ein­er Bank­fil­iale in Thes­sa­loni­ki selb­st angezündet.

(Quelle)

Update (05.04., 10.00): Inzwis­chen wurde bei Dim­itris Chris­toulas (so hieß der Mann) ein Abschieds­brief gefun­den. In ihm steht:

Die Regierung von Tso­lakoglou hat mich aller Über­lebens­möglichkeit­en beraubt; sie basierten auf ein­er würdi­gen Rente, für die ich allein während 35 Jahren bezahlt habe, ohne Hil­fe vom Staat. Da mir mein vor­angeschrittenes Alter eine dynamis­chere Reak­tion nicht erlaubt (obwohl: wenn ein­er mein­er griechis­chen Landsmän­ner zu ein­er Kalash­nikov greifen würde, würde ich mich hin­ter ihn stellen), sehe ich keine andere Lösung als mein Leben in Würde zu been­den. So werde ich nicht eines Tages in den Mülleimern nach Lebens­mit­teln suchen müssen. Ich glaube, dass Men­schen ohne Zukun­ft eines Tages zu den Waf­fen greifen wer­den und die Ver­räter unseres Lan­des auf dem Syn­tagmaplatz hän­gen wer­den, so wie es die Ital­iener 1945 mit Mus­soli­ni tat­en.(Quelle)