Lektüre einer drei Wochen alten Zeitung

Wenn man nach län­gerem Unter­wegs­sein nach­hause kommt, hat sich dort die abon­nierte Zeitung gestapelt, die Süd­deutsche in meinem Fall. Man kann also nachvol­lziehen, was in den ver­gan­genen Wochen passiert ist, oder eher: wie darüber berichtet wurde, was passiert ist. Und was man ver­passt hat.

Entschle­u­ni­gung. Ein Neol­o­gis­mus, der ganz so neo nicht mehr ist, aber erst in den let­zten Jahren an Pop­u­lar­ität gewon­nen zu haben scheint. Ist ja nicht so als müssten wir beweisen, dass wir wis­sen, wie das funk­tion­iert: die rapi­de entschle­u­nigte Fre­quenz des Erscheinens neuer Texte auf unserm Blog spricht ganz für sich. Aber eine andere prak­tis­che Übung in Sachen Entschle­u­ni­gung kön­nte so ausse­hen: just in dem Medi­um, von dem einem immer sug­geriert wird, hier sei die News von vor dem Nach­mit­tagsnick­erchen beim Aufwachen schon wieder old, die Zeitung von vor drei Wochen kom­men­tieren. Also zur Woch­enend-SZ vom 29./30. August! (Ich beschränke mich, damit es nicht völ­lig bescheuert wird, auf den feuil­leton­is­tis­chen Teil, der ja eh immer eine län­gere Halb­w­ert­szeit hat als Poli­tik und Sport.)
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Am Anfang war die Sequenz

Manch­mal sagen Bilder mehr als Worte. Das wis­sen Focus und Bild sehr genau, weshalb diese dazu neigen auch mal den Text ganz wegzu­lassen, was sehr unbe­friedi­gend sein kann. Auch in Fil­men ist es zuweilen so, dass eine einzige Sequenz für den ganzen Film ste­hen kann. Das wiederum sind meist sehr erhabene Momente.

Andrei Tarkowski - Offret

Offret (Andrei Tarkows­ki, 1986)

In Andrei Tarkowskis let­ztem Film Opfer (Offret, 1986) existiert eine solche, sehr ein­drucksvolle Sequenz: Wenn ziem­lich gegen Ende der 149 Minuten Alexan­der nach der Nacht mit Maria endlich um Erlö­sung suchend sein Haus anzün­det, ent­fer­nt sich die Kam­era erst unmerk­lich von dem bren­nen­den Haus. Bald kreist sie (schein­bar) ori­en­tierungs­los um die San­itäter, die in ein­er merk­würdi­gen Aktion Alexan­der ein­fan­gen und schließlich weg­brin­gen. Zu guter Let­zt spricht der bis dahin stumme Sohn seine ersten Worte: “Am Anfang war das Wort. Warum Papa?”

In dieser Sequenz steckt die Essenz des gesamten Films, und sie bricht hier förm­lich her­aus. Doch selb­st die Worte des Sohnes kön­nen nicht so recht trösten, auch ihnen haftet etwas Vor­wurfsvolles an und der Vater kann sie nicht mehr hören, die Erlö­sung wird ihm verwehrt.

Michael Haneke ist in Das Weisse Band (2009) eben­falls eine solche Sequenz gelun­gen, von der der Ver­leih lei­der kein Bild zur Ver­fü­gung stellt, weshalb an dieser Stelle das Wort her­hal­ten muss (Achtung Spoil­er!): Weit­er­lesen

St. Martin war ein böser Mann

File­shar­ing isn’t like shar­ing that we teach our chil­dren. This isn’t shar­ing with your friends.

Jet­zt haben wir es endlich blau auf weiß. Wer mit einem Frem­den teilt, der teilt näm­lich nicht, der macht etwas anderes, im Zweifel ver­w­er­flich­es, um nicht zu sagen obszönes. Gut zu wis­sen, der Herb­st ist nah, und wer stand noch nicht vor der Wahl, den eige­nen Mil­itär­man­tel, einen weißen Über­wurf aus zwei Teilen, im oberen Bere­ich mit Schaf­fell gefüt­tert, oder wenig­stens ’nen Euro mit einem mit­tel­losen Bet­tler zu teilen. Nix da! Die War­nung erre­icht uns noch rechtzeit­ig, aus­ge­sprochen von einem amerikanis­chen Anwalt im Fall Joel Tenen­baum vs. RIAA.

Angesichts solch moralis­ch­er Offen­barung­sei­de seit­ens der Kläger, ist der Vertei­di­gung nicht anderes übrig geblieben, als sich freimütig zu dem zu beken­nen, was man prak­tiziert hat. Joel Tenen­baum: “this is me. i used the com­put­er. This is how it is. I did it.”, sein Anwalt Charles Nes­son for­muliert das etwas geschmei­di­ger so:“Every­one could down­load [songs] for free. And mil­lions and mil­lions did. Joel was one of those mil­lions.” Weit­er­lesen

…und noch ein Veranstaltungshinweis

Nee, was in der Cap­i­tale immer alles los is: die linken Buch­tage find­en ja auch an diesem Woch­enende statt (im Mehring­hof, Gneise­naus­tr. 2a, Kreuzberg). Viele inter­es­sante Ver­anstal­tun­gen ste­hen auf dem Pro­gramm, genaueres find­et sich hier.

Demokratie, das sind wir alle.

Na, von wem stammt dieses Zitat? Merkel? Vielle­icht. Stein­meier? Kön­nte sein. Schröder? Eher nicht. Kohl? Gut möglich. Hugo Egon Balder? Nicht unwahrschein­lich. Schwan? Knapp daneben. Die Liste ließe sich wahrschein­lich noch ohne Mühe ver­längern, und lei­der sind auch die anderen Zitate des Urhe­bers von ähn­lich­er Null-Rel­e­vanz. Das ist jet­zt nicht bösar­tig gemeint, aber wie soll man so etwas denn bitte schön son­st deuten:

Meine Damen und Her­ren, dieses Land ist stark.

Ja, genau so etwas! Das erweit­ert den Kreis der vorstell­baren Urhe­ber sog­ar noch, Putin kommt einem da in den Sinn. Okay, das wird lang­weilig. Wenn man ihn anhand markan­ter For­mulierun­gen ( “Wir wer­den sehen”, “was machen die vie­len Leute hier”, “12 Euro? Das ist ja der rein­ste Wuch­er.”) nicht erken­nt, dann muss wohl ein Tipp her. Weit­er­lesen