Ein Tag danach: keiner spricht von Niederlage
Zu meiner Überraschung hat die Abstimmung der neuen Hilfskredite und der damit einhergehende Polizeiterror keinen davon abgehalten schon am nächsten Tag wieder auf den Syntagma-Platz zu gehen und der größten Generalversammlung seit Wochen beizuwohnen. Die Menschen auf dem Platz waren nicht demoralisiert, sondern wütender und noch entschiedener. Eine Lehrerin meinte charakteristisch: «Gewählt haben sie, aber jemand muss das Gesetz auch umsetzen. Wir erkennen die Entscheidung nicht an und werden uns weigern sie anzuwenden» — alle Interviews auf dem Platz an diesem Tag hatten ähnliche Aussagen. Die Wut gegenüber dem Staat, der sie zwei Tage lang mit Tränengas beschossen hat, war enorm. Es geht also weiter, die Menschen stellen sich auf eine Langfristigkeit ein. Das Ende ist unbekannt und fern…
Ich lasse die Pressemitteilung des Platzes sprechen:
http://www.real-democracy.gr/en/teamvotes/2011–07-03-warning-troica-banks-and-investors
Und: Ich berichte heute über die Woche in Athen mit Film und Fotos auf der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Festsaal Kreuzberg. Zusammen mit Stephan Kaufmann von der Frankfurter Rundschau. Ich werde viel Material zeigen. Hier die Ankündigung.
Einen der interessanteren Texte zu unserem verlogenen und verklebten Exminister und dem Bohei, den er entfacht hat, ist beim Kollegen von Nichtidentisches zu lesen, der überhaupt seit geraumer Zeit lange, kluge Texte produziert und sich so einen Platz in unserem Blogroll verdient hat. Übrigens sind da nicht nur die Texte, sondern auch die Kommentare recht schlau. So bemerkt einer: «Wenn ein deutscher Kriegsminister „unvisionär und strategielos“ ist, sollte man das als vernünftiger Mensch eigentlich begrüßen» und ein anderer beklagt zu recht das Gezeter über den Stammtisch (aka Bildleserinnen, Pro-Guttenberg-Facebookgruppen etc.).
Dabei stimmt es ja: Am Stammtisch gibt es mehr Klare als klare Gedanken. Nun ist das nichts Neues. So wenig wie der linke Reflex, den Skandal nicht als solchen, sondern als Symptom für irgendwas (in der jungle world, erwartbar, als Symptom für Deutschtümelei, beim bohémien für die Turbogesellschaft, bei anderen, nicht-linken, und daher auch gleich noch schlichter denkenden Zeitgenossen für — festhalten! — «mangelhafte Qualitätskontrolle in der Wissenschaft»). Dort wo Systemkritik intendiert ist, hat die symptomatische Lektüre immer etwas für sich. Statt auf Einzelne drein zu dreschen, fokussiert man auf die Strukturen, die deren jeweiliges Verhalten befördern oder gar erst erzeugen. Weiterlesen
Ein Dieb und ein Betrüger ist unser Verteidigungsminister. Aber ist er ein “Vorkämpfer für freie Kultur”, wie keimform suggestiv fragt? Ist er natürlich nicht, weil er kein Bewusstsein für “freie Kultur” hat, was auch immer man unter diesen Begriff fassen möchte. Aber vielleicht ist der aktuelle Fall ja ein hervorragendes Beispiel für die diskrepanten Wissenschafts- und Eigentumsbegriffe, weil die Bruchlinien sich an unvorhergesehenen Stellen abzeichnen, wenn selbst die FAZ einen zusammengeklaubten Abgesang auf den Freiherrn und die bürgerliche Presse singt. Weiterlesen
Wie nennt man eigentlich eine Person, deren hauptsächliche und/oder erwerbliche Arbeit darin bestünde, zu plagiieren, was das Zeug hält. Plagiant? Plagitator? Plagiker? Der Vorfwurf, der momentan an den Verteidigungsminister gerichtet wird, er hätte gemogelt, wie es etwa Spiegel Online mit der Überschrift “Guttenbergs Schummelpassagen im Überblick” anbietet, oder die Süddeutsche mit einem “Man kann auch über Fußnoten stolpern” des Rechthabers Prantl sekundiert, offenbart ein nahezu anachronistisches Verständnis von Urheberschaft und Originalität. Dass diesem Verständnis vor allem in großen Teilen der Konservativen in hohem Maße entgegengebracht wird, ist für Guttenberg das eigentliche Problem. Autoritäts- und Wissenschaftshörig, wie es in solchen Millieus zugeht, wäre eine Aberkennung des Dr. jur. für den Baron der GAU.
Es stört aber an der derzeitigen Berichterstattung mich vor allem, dass hier ein Einzelner medial geprügelt wird, wobei der Anlass, tagtäglich wiederholt, in abertausend anderen Fällen überhaupt niemals diskutiert wird. Die g’schlamperte Diss ist doch mitnichten der Einzelfall, sondern System im deutschen Hochschulwesen. Das mag bei den Naturwissenschaften nochmal anders sein — bei einer kulturwissenschaftlichen Arbeit über Verfassung und Verfassungsvertrag in den USA und der EU wird man doch im Gegenteil erwarten dürfen, dass der Autor die aktuellen Debatten berücksichtigt und einarbeitet. Klar, die muss man nicht als eigene Gedanken ausgeben, aber, Hand aufs Herz, wen scherts? Der Großteil solcher Werke verstaubt ungelesen in den Archiven der Universitätsbibliotheken.
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