Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke
Der Mann:
Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
und diese Reihe ist zerfallene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.
Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
das war einst irgendeinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat.
Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.
Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Mensch hat soviel Blut.
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.
Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. — Den Neuen
sagt man: hier schläft man sich gesund. — Nur sonntags
für den Besuch läßt man sie etwas wacher.
Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.
Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,
Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.
Gottfried Benn
Liebe Marie, Seelenbraut
Liebe Marie, Seelenbraut:
Du bist viel zu eng gebaut.
Eine solche Jungfernschaft
Braucht mir zu viel Manneskraft.
Ich vergieße meinen Samen
Immerdar schon vor der Zeit:
Wohl nach einer Ewigkeit
Aber lange vor dem Amen.
Liebe Marie, Seelenbraut:
Deine dicke Jungfernhaut
Bringt mich noch zur Raserei.
Warum bist du auch so trei?
Warum soll ich, sozusagen:
Nur weil du lang sitzenbliebst
Grade ich, den du doch liebst
Mich statt einem andern plagen?!
Bertolt Brecht
Die von mir geschätzte Autorin Ulla Hahn, einigen Lesern vielleicht durch ihren Roman Judenbuche, ach Quatsch, Das verborgene Wort bekannt, gelangte zunächst als Lyrikerin (Stichwort: Neue Subjektivität) zu größerer Bekanntheit.
Allein
Ich hab die Schnauze voll ich
bin auch müde und fürcht mich
jetzt schon vor dem ersten warmen Tag
den kleinen Kindern und den
schwangern Frauen und was das
Frühjahr noch erzeugen mag.
Ich bin allein ich hab nichts
zu verlieren als ein paar
Tage vom vergangnen Jahr
und Angst mit mir was Neues
zu probieren nicht zu krepiern
an dem was niemals war.
Ein wenig Gehirnjogging fürs Wochenende. Zunächst ein kleiner Test für das Erinnerungsvermögen: Was war nochmal mit Asse II? Im Herbst letzten Jahres erschien ein Bericht des niedersächsischen Umweltministers, der detailliert über die radioaktive Kontamination der Lauge in der Schachtanlage Auskunft gab. Ausschlaggebend war zum einen die Berichterstattung der Braunschweiger Zeitung, zum anderen eine kleine Anfrage der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner (wer war das noch gleich?), die herausfinden wollte, wo die aus Asse abgeleitete Lauge eigentlich hingebracht wird.
Die ganze Geschichte wuchs sich dann zu einem handfesten Skandälchen aus, eine Sternstunde für den Ex-Pop-Beauftragten Sigmar Gabriel:
Gabriel richtete schwere Vorwürfe gegen den Betreiber und die bergrechtliche Genehmigungsbehörde. Beide hätten atomrechtliche Maßstäbe vermissen lassen. Die Einlagerung von Kernbrennstoffen widerspreche früheren Aussagen. „Unglaublich“ sei auch, dass die Undichtigkeit des Bergwerks bereits seit 1967 bekannt sei und nicht erst seit 1988. Da „grob fahrlässig“ gehandelt worden sei, müsse auch die Frage von Strafanzeigen geprüft werden. Die Einlagerung der Atommüll-Fässer sei damals in feuchten Kammern erfolgt, wie die Befragung von Mitarbeitern ergeben habe. „Es gab nie ein sicheres Endlager Asse, sondern es wurden bewusst Informationen zu Laugenzutritten unterdrückt“, kritisierte Gabriel.
Je nun, wie komm’ ich drauf? Achja, Asse droht einzustürzen, genauer gesagt, eine radioaktiv vermüllte befüllte Kammer. Bitte gehen sie weiter, es gibt nichts zu sehen.
Unter dem poetischen Titel “Die weißen Sümpfe von Wittmar” ist nun auf Telepolis eine kurze Geschichte des Atommüllendlagers Asse II erschienen.Gut, nicht unbedingt wirklich kurz, aber sehr interessant. Ergänzend dazu sei ein Artikel aus der Zeit empfohlen:“Die Legende vom Salzstock”. Weiterlesen
Wie kinematografisch war die Revolte, und wie revolutionär war das Kino?
Georg Seeßlen: “68:24” (lesen!)