Bilanz 2021

Dies­mal wieder in aller Kürze: Ein wech­sel­haftes Jahr geht zu Ende. Nach mehr als 14 Jahren habe ich meinen Kreuzberg­er Kiez ver­lassen und bin ins beschaulichere Char­lot­ten­burg umge­zo­gen, wo es mir bis­lang ganz gut gefällt. Heimweh, Sehn­sucht, Nos­tal­gie ver­spüre ich kaum. Höhep­unk­te des Jahres waren die bei­den Urlaube im Juli und Ende Sep­tem­ber in Ital­ien. Auch beim Cin­e­ma Ritrova­to in Bologna war es wieder sehr schön. Und auch eine kurze Reise in die Schweiz Ende August und eine nach Paris Ende Okto­ber bleiben in guter Erin­nerung. Poli­tisch war natür­lich der über­wälti­gende Sieg beim Volk­sentscheid zur Enteig­nung großer Woh­nungs­ge­sellschaften ein Riesenerfolg.

In Sachen Lek­türe war dies für mich das Jahr der Ent­deck­ung von Fontane und einiger ander­er Klas­sik­er.
So unge­fähr sieht die Liste der Lieblings­büch­er aus:
Car­lo Ginzburg – Der Käse und die Würmer: Die Welt eines Müllers um 1600 [ital. 1976]
Theodor Fontane – Der Stech­lin (1898)
Theodor Fontane – Irrun­gen, Wirrun­gen (1888)
Theodor Fontane – Die Poggen­puhls (1896)
Lotte Eis­ner – Ich hat­te einst ein schönes Vater­land (1984)
Car­lo Ginzburg – Spuren­sicherun­gen: Über ver­bor­gene Geschichte, Kun­st und soziales Gedächt­nis (1983)
Arthur Schnit­zler – Therese. Chronik eines Frauen­lebens (1928)
Theodor Fontane – Schach von Wuthenow (1883)
Arthur Schnit­zler – Leut­nant Gustl (1900)
Theodor Fontane – Cécile (1887)
René Clair – Kino. Vom Stumm­film zum Ton­film: Kri­tis­che Noti­zen zur Entwick­lungs­geschichte des Films 1920–1950 [frz. 1951].
Lil­ian Ross – Pic­ture (1952)
Anne Weber – Annette, ein Heldinnenepos (2020)
Bov Bjerg – Auer­haus (2015)
Adel­heid Popp – Jugend ein­er Arbei­t­erin
Olga Tokar­czuk – Gesang der Fle­d­er­mäuse (2020 [2009])
Stephan Gre­go­ry – Class Trou­ble: Eine Medi­engeschichte der Klas­sen­ge­sellschaft (2021)
Ken Loach & Édouard Louis – Dia­logue sur l’art et la poli­tique (2021)

Und so die der Lieblings­filme:
Petite Maman (Céline Sci­amma, FR 2021)
Tipograf­ic Majus­cul (Upper­case Print, Radu Jude, ROM 2020)
The Woman’s Film / San Fran­cis­co News­reel (Louise Alaimo, Judy Smith & Ellen Sor­ren, US 1971)
Anata­han (aka The Saga of Anathan, Josef von Stern­berg, JP 1953)
Blut­sauger (Julian Radl­maier, DE 2021)
Ras vkhe­davt, rode­sac cas vukurebt? (What Do We See When We Look at the Sky?, Alek­san­dre Koberidze, DE/GE 2021)
Piz­za Con­nec­tion (Dami­ano Dami­ani, IT 1985)
Druk (Anoth­er Round / Der Rausch, Thomas Vin­ter­berg, DK/SE/NL 2020)
Ver­dens ver­ste men­neske (The Worst Per­son in the World, Joachim Tri­er, NO/FR/SE/DK 2021)
Dona Flor e Seus Dois Mari­dos (Dona Flor And Her Two Hus­bands, Bruno Bar­reto, BR, 1976)
The Bea­t­les: Get Back (Peter Jack­son, UK, NZ, US 2021)

Und zu guter Let­zt noch ein paar ganz schöne Musik­stücke:
Masha Qrel­la – Wind (2021)
Sam Prekop – Sum­mer Places (2020)
Dawn Richard – Boomerang (2021)
Kay­trana­da – You’re the One (feat. SYD) (2016)
Lit­tle Simz — Point And Kill feat. Obong­ja­yar (2021)
L.A. Sala­mi — The Tal­is-man on the Age of Glass (2020)
Masha Qrel­la – Das Meer (2021)

Bilanz 2020

Ein misslich­es Jahr war das, in viel­er­lei Hin­sicht, geprägt natür­lich in erster Lin­ie von Pan­demie, Panik & Kon­tak­tbeschränkun­gen. So reichen die pos­i­tiv­en Erin­nerun­gen vor allem zurück zum Anfang des Jahres, als ich zunächst mit großem Eifer und bis zur Erschöp­fung am Manuskript eines kleinen Büch­leins zur filmis­chen Découpage geschrieben habe. (Es lag dann lange in halbfer­tiger Form herum, aber in den let­zten Tagen habe ich mich ihm noch ein­mal gewid­met und nun zumin­d­est eine vor­erst finale Fas­sung erstellt.) Es fol­gte eine schöne Tagung mit vie­len inter­na­tionalen Gästen zu filmis­chen Darstel­lun­gen und Diskursen der Prekar­ität im europäis­chen Kino in Babels­berg – auch dazu fol­gt im kom­menden Jahr eine Fort­set­zung in Form der Arbeit an einem Sam­mel­band. Auf der Berli­nale, die Ende Feb­ru­ar fast wie durch ein Wun­der von Coro­na noch ver­schont blieb, haben es mir beson­ders die Stumm­filme von King Vidor ange­tan (siehe Liste unten). Der Früh­som­mer begann mit ein­er ersten (und eigentlich auch let­zten) kleinen Feier im kleineren Kreis auf offen­em Feld Ende Mai – auch das eine der schö­nen Erin­nerun­gen. Im Juni eine kleine Reise durch die Schweiz, später zum Liebling­sonkel in Süd­bay­ern, und schließlich, im August, nach Bologna zur abge­speck­ten Fas­sung des Cin­e­ma Ritrova­to.

Poli­tisch dür­fen wir vor allem die Abwahl Don­ald Trumps (allerd­ings bei einiger­maßen schock­ierend zunächst knapp wirk­en­dem Aus­gang) auf der Pos­i­tivliste ver­buchen.

Gele­sen habe ich viel, auch dicke Wälz­er (wie Sted­man-Jones’ Marx-Biografie und – in Teilen – Haber­mas’ let­ztes Mam­muntwerk) und die diversen aut­ofik­tionalen Werke und auto­bi­ografis­chen Reflex­io­nen über von Armut und Diskri­m­inierung geprägte Kind­heit­en (von Chris­t­ian Baron über Anna Mayr bis zu Deniz Ohde), allerd­ings ohne große Begeis­terung. Am besten gefall­en haben mir in diesem Jahr (Rei­hen­folge der Lektüre):

Ursu­la K. Le Guin – The Car­ri­er Bag The­o­ry of Fic­tion
Gün­ther Anders – Bert Brecht. Gespräche und Erin­nerun­gen
James Suz­man – Afflu­ence with­out Abun­dance: The Dis­ap­pear­ing World of the Bush­men
Ulrich Alexan­der Boschwitz – Men­schen neben dem Leben
César Aira – Die Wun­der­heilun­gen des Dok­tor Aira
César Aira – Birth­day
E. E. Cum­mings – The Enor­mous Room
Christi­na von Hoden­berg – Auf­s­tand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Auf­stieg zum Mythos
Ursu­la K. Le Guin – The Dis­pos­sessed
Ursu­la K. Le Guin – The Left Hand of Dark­ness
Dorothee Elminger – Aus der Zuckerfabrik

Solange es ging, bin ich ins Kino gegan­gen; Berli­nale und Bologna habe ich schon erwäh­nt; anson­sten habe ich natür­lich, wie alle, viele audio­vi­suelle Bewegt­bilder zuhause kon­sum­iert. Hier die Lieblinge:

El Prófu­go (The Intrud­er, Natalia Meta, ARG 2020)
Nev­er Rarely Some­times Always (Eliza Hittman, US/UK 2020)
Wine of Youth (King Vidor, US 1924)
The Big Parade (King Vidor, US 1925)
The Pat­sy (King Vidor, US 1928)
Show Peo­ple (King Vidor, US 1928)
Gomera (Cor­neliu Porum­boiu, ROM/FR/DE 2019)
Bacu­rau (Juliano Dor­nelles, Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2019)
Aquar­ius (Kle­ber Men­donça Fil­ho, BRA/FR 2016)
Clau­dine (John Berry, US 1974)
Gin­za nijuy­on­cho (Tales of Gin­za, Kawashima Yuzo, J 1955)
Ai no oni­mot­su (Bur­den of Love, Kawashima Yuzo, J 1955)
Night­clean­ers (Berwick Street Film Col­lec­tive, UK 1975)
Io ho pau­ra (Dami­ano Dami­ani, IT 1977) – und viele andere tolle Filme von diesem großar­ti­gen Regisseur…

Musik habe ich wieder zuwenig gehört, aber ein paar Stücke sind hängengeblieben:

Oehl – Wolken
Khru­ang­bin & Leon Bridges – Texas Sun
Cari­bou – You and Me
Aldous Hard­ing – The Bar­rel
Jeff Park­er – Suite For Max Brown
Und, als Bonus­track, endlich als 7″:
Die Men­schen – 20. Jahrhun­dert

Viel Spaß damit – und auf ein besseres Leben im neuen Jahr!

 

Bilanz 2013 Lieblingsplatten

With a lot of help from my friends: Spex und Intro lese ich kaum noch und auch byte.fm, das mich im let­zten Jahr gut auf dem Laufend­en hielt, hat­te ich heuer sel­tener an — war also beson­ders auf Tipps des aufmerk­samen Fre­un­deskreis­es angewiesen.

1. Meine Lieblingsplat­te “We Are the 21st Cen­tu­ry Ambas­sadors of Peace & Mag­ic” von Foxy­gen hätte ich zum Beispiel nie ohne David ent­deckt. Das ist Neo-Retro, über die Ironie soweit hin­aus, das man es wahrschein­lich als post-iro­nisch beze­ich­nen kann: Die Geste des Augen­zwinkerns oder der tongue in cheek wird so ern­sthaft vor­ge­tra­gen, das sie sich selb­st tran­szendiert. Vor allem ist das aber unglaublich musikalisch, mit mehreren Tem­powech­seln, reich arrang­iert, anspielungsre­ichen Tex­ten und Melo­di­en. Und der Sänger klingt wie eine Mis­chung aus Mick Jag­ger und Jarvis Cocker.

2. Julia Holters “Loud City Song” ist erst vor kurzem dank MMW bei mir gelandet. “Horns Sur­round­ing Me” habe ich seit­dem 80 mal gehört. Aber auch und ger­ade die ruhigeren Stücke sind sehr schön.

3. “Over­grown Path” von Chris Cohen habe ich eher zufäl­lig im Plat­ten­laden ent­deckt. An manchen Stellen ähnelt das der Foxy­gen-Plat­te, aber hier kann von Ironie eigentlich gar keine Rede mehr sein. Eher als das Retro-Attrib­ut ist man  geneigt die abge­grif­f­ene Formel der Zeit­losigkeit zu bemühen.  Weit­er­lesen

Bilanz 2013: Liebste im Kino gesehene Filme Ältere

In der Rei­hen­folge ihrer Sich­tung durchs Jahr hin­durch: die mir lieb­sten älteren Filme, die ich im zu Ende gehen­den Jahr & im Kinosaal sehen durfte.

Im Jan­u­ar im Berlin­er Arse­nal den wun­der­bar komis­chen U samogo sinego morya (By the Bluest of Seas, Boris Bar­net, SU 1936);

im Rah­men der dem japanis­chen Regis­seur Keisuke Kinoshi­ta gewid­me­ten Forum-Mini-Retror­spek­tive während der Berli­nale Kanko no machi (Jubi­la­tion Street, J 1944), der während des 2. Weltkriegs spielt, aber bis auf eine kurze Coda gän­zlich unpro­pa­gan­dis­tisch, son­dern wie ein sehr zärtlich­es shomin-geki daher kommt, das jede Fig­ur des Ensem­bles vor­sichtig und mit Anmut umarmt;

Max Ophüls Liebelei (D 1933), der mir nicht aus dem Kopf gegan­gen ist, seit ich ihn im Feb­ru­ar im Zürcher Film­podi­um sah;

von der von der Canine Con­di­tion kuratierten Rei­he zum klas­sis­chen chi­ne­sis­chen Film, die im März im Arse­nal lief, kon­nte ich nur sehr wenig sehen; darunter immer­hin und zu meinem Glück Shen Nu (The God­dess, Wu Yong­gang, CN 1934), einen großen klas­sis­chen Stumm­film mit vie­len Großauf­nah­men von viel­sagen­den Gesichtern, der weniger exaltiert wirk­te als andere (nicht weniger großar­tige) Schang­hai-Filme dieser Jahre;

sehr ein­drück­lich auch, Ende März, nun wieder im Film­podi­um und in Begleitung ein­er Grup­pen­im­pro­vi­sa­tion vom ioicL’Atlantide (Jacques Fey­der, F 1921), der erste gen­uine Wüsten­film, der, in der Sahara gedreht, alle Tropen (Ver­loren­heit, Exotik, Hal­luz­i­na­tio­nen) dieses Qua­si-Gen­res in eine ver­wirrend kom­plexe und visuell berauschende Flash­back-Erzäh­lung bettet;

 

L’at­lantide

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