Wohin die Reise gehen soll

An ander­er Stelle wird disku­tiert, in welchem Maße die Krise glimpflich­er ver­laufen wäre/würde, wenn wir es nicht mit ein­er kap­i­tal­is­tisch dominierten Wel­tord­nung zu tun hät­ten. Um Bini zu zitieren:

“Ich denke es ist wichtig zu unter­schei­den, was an der gegen­wär­ti­gen und kom­menden ökonomis­chen Krise von dem Virus verur­sacht ist und was vom Kap­i­tal­is­mus. Es wäre unaufrichtig und dann auch nicht glaub­würdig, ein­fach alles auf den Kap­i­tal­is­mus zu schieben. Wenn wir genauer angeben kön­nen, welche Effek­te in ein­er nichtkap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft unnötig und also ver­mei­d­bar sind, kön­nen wir vielle­icht auch genauere Alter­na­tiv­en anbi­eten.“

Das Argu­ment ist überzeu­gend. Eine glaub­würdi­ge Krise­n­analyse müsste sich darum bemühen aufzuzeigen, welch­er Teil des gegen­wär­ti­gen und kom­menden Elends in ein­er bess­er (vernün­ftiger und men­schlich­er) organ­isierten Welt ver­mieden wor­den wäre. Dabei ist ein­er­seits zunächst zu kon­sta­tieren, dass ein Rück­gang der Pro­duk­tiv­ität unter jed­er real­is­tis­chen Alter­na­tivökonomie notwendig wäre: Über­all, wo Men­schen auf engerem Raum miteinan­der arbeit­en, muss ja die Pro­duk­tion still­gelegt wer­den. (Helfen kön­nte da nur eine noch weit­erge­hende Vol­lau­toma­tisierung, die aber in manchen Bere­ichen undenkbar ist.) Ander­er­seits stimmt sicher­lich auch, dass eine demokratisch kon­trol­lierte und bedürfnisori­en­tierte Ökonomie extreme Effek­te (etwa Masse­nent­las­sun­gen) ver­mei­den kön­nte und eventuell auch auf die Gefahr der Aus­bre­itung früher bess­er hätte reagieren können.

Das Haupthin­der­nis, um die Frage genauer zu beant­worten, ist logis­cher­weise die bis­lang ganz vage Vorstel­lung davon, wie die dem Gedanken­ex­per­i­ment zugrun­deliegende nichtkap­i­tal­is­tis­che Wirtschaft ausse­hen kön­nte – und ergo in welche Rich­tung sich linke Poli­tik heute auf­machen sollte. Genauere Vorstel­lun­gen zu entwick­eln scheint in der Tat eins der Gebote der Stunde zu sein.

Wesentlich dafür ist m.E. erstens, dass wir uns von mod­ell­haften Utopi­en ver­ab­schieden und statt dessen bei real existieren­den “Keim­for­men” bere­its beste­hen­der nichtkap­i­tal­is­tis­ch­er Prak­tiken anset­zen, und zweit­ens, dass wir aufhören, monis­tis­che Prinzip­i­en zugrunde zu leg­en. (An bei­den Punk­ten krank­te die Debat­te zwis­chen Marktsozialist*innen und Antimarktsozialist*innen.)

Mein Vorschlag: Wir schauen uns an, welche nichtkap­i­tal­is­tis­chen Pro­duk­tion­sweisen es im Kap­i­tal­is­mus gibt und disku­tieren dann, wie wir sie – im Sinne eines Radikalre­formis­mus, für den Allianzen aus Bewe­gun­gen und linken Parteien treibende Kräfte sein kön­nten – so pushen, dass sie gegenüber der kap. PW die Dom­i­nanz gewin­nen (statt wie heute sub­dom­i­nant zu sein).

Fort­set­zung

Erdogan ./. Böhmermann Merkels Entscheidung: machtpolitisch ungewohnt dämlich

Selt­sam nervös und kurzat­mig wirk­te sie heute bei diesem denkwürdi­gen Pres­seter­min im Kan­zler­amt: Für Erdo­gan und gegen Böh­mer­mann! Ihre Begrün­dung ist zunächst sog­ar uner­wartet kon­se­quent. Ohne ihre Argu­mente teilen zu müssen, erscheinen sie auf den ersten Blick fast nachvol­lziehbar: von wegen Gewal­tenteilung, Gesetz wird über­ar­beit­et und dann auch noch ein paar deut­liche Worte in Rich­tung Ankara. Doch wenn der Glanz des gespin­doc­tore­den Manuskripts erst ein­mal ver­flo­gen ist — Merkels Entschei­dung sieht macht­poli­tisch sog­ar unge­wohnt däm­lich aus.

§ 104a StGB gibt der Regierung die äußerst sel­tene Gele­gen­heit, darüber zu entschei­den, ob auf ein Strafver­lan­gen ein­er aus­ländis­chen Regierung auch eine Strafver­fol­gung ein­geleit­et wer­den soll. Es han­delt sich um eine poli­tis­che Entschei­dung über einen strafrechtlichen Vor­gang, die für diesen sog­ar aus­drück­lich nötig ist. 

Ein Votum *für* eine Strafver­fol­gung ist damit — anders als Merkel es darstellt — selb­stver­ständlich per se eine Bee­in­flus­sung der Jus­tiz. Wie heißt es so schön: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wo keine Regierungsentschei­dung, da kein Ver­fahren! Die Ein­mis­chung ist dem Para­graphen sozusagen imma­nent. Nochmal: Zu sagen, man über­lasse die Entschei­dung der Jus­tiz, ist bere­its eine juris­tisch rel­e­vante Entschei­dung. Streng genom­men spricht der Para­graph sog­ar nicht ein­mal davon, dass sich die Regierung über­haupt für oder gegen irgend etwas entschei­den muss. Merkel hätte die Entschei­dung sog­ar aus­sitzen kön­nen. Indem sie sich aber so entschei­det, wie sie es getan hat, vergibt sie gle­ichzeit­ig die Chance, sich innen­poli­tisch demon­stra­tiv im Sinne ihrer Wäh­ler und Bürg­er zu posi­tion­ieren: pro Mei­n­ungs­frei­heit, pro Satire­frei­heit, pro Presse­frei­heit. Art. 5 GG — wenn Recht­san­wälte ein Lieblings­grun­drecht wählen sollen, nicht sel­ten ist es dieser Artikel. Merkel lässt den Trumpf links liegen und über­lässt ihn SPD und Oppo­si­tion. Warum nur?

Als Merkel sich das let­zte Mal — ohne Trip­pelschritt und Rumge­merkel — tat­säch­lich aus Überzeu­gung zu etwas bekan­nt hat (“Wir schaf­fen das!”), ist sie damit ziem­lich hart gelandet. Klar hat sie von der poli­tis­chen Linken Beifall dafür bekom­men, aber die wählt eben nicht die CDU, wie man bei den let­zten Land­tagswahlen in Baden-Würt­tem­berg, Rhein­land-Pfalz und Sach­sen-Anhalt sehen kon­nte — egal wie flüchtlings­fre­undlich, homophil oder fortschrit­tlich sich die Partei mal wieder gibt. Wem will sie also dies­mal imponieren?

Allein zur außen­poli­tis­chen Agen­da passt Merkels Entschei­dung. Der Türkei-Deal bleibt unge­fährdet und sie muss sich vor keinem Erdo­gan wegen ver­meintlich­er poli­tis­chen Ein­flussnahme in den Rechtsstaat recht­fer­ti­gen — alles unab­hängig hierzu­lande und in seinem Sinne. Erpress­bar, wie manche Beobachter meinen, macht sie sich dadurch nicht. Im Gegen­teil: Für poten­tiell flüchtlings­dealfähige Despoten ist Merkel berechen­bar­er und attrak­tiv­er gewor­den. Die Mauer um Europa kann also weit­er hochge­zo­gen wer­den. Die Sache hat allerd­ings einen entschei­den­den Denk­fehler. Wenn Merkel glaubt, jet­zt wieder am recht­en Rand punk­ten zu kön­nen — und darum geht es doch der Macht­poli­tik­erin in ihr langfristig immer — täuscht sie sich. Die sehen die Böh­mi-Entschei­dung nur als einen weit­eren Beweis für Merkels Ver­rat an ihrem geliebten Sch­land. Hier Boden gut zu machen — und das wäre an dieser Stelle tat­säch­lich möglich gewe­sen — hat sie ver­passt. Es scheint, als ob Merkel ihr poli­tis­ch­er Instinkt flücht­en gegan­gen ist.

Die Transformation ist ein Teamsport

Drum prüfe, wer von rev­o­lu­tionär­er Poli­tik spricht, die eigene Eit­elkeit. Willst du vor allem Recht haben in der Diskus­sion, etwas Kluges sagen, eine der Anwe­senden beeindrucken?