Unwort des Jahres 2010: Deutsche Leitkultur — letzter Aufruf

Die Wahl des Unworts des Jahres 2010 nähert sich dem Ende. Mor­gen, am 7. Jan­u­ar, ist Ein­sende­schluss für Vorschläge, am 18. Jan­u­ar wird das Ergeb­nis dann bekan­nt gegeben.

Wut­bürg­er, das Wort des Jahres 2010, wird auch schon als möglich­es Unwort gehan­delt — hätte vielle­icht bess­er gepasst.Wutbürger ist ja doch eher eine dif­famierende Beze­ich­nung der neuen Protestkul­tur. Da ist es doch immer­hin fraglich, ob auch das Unwort des Jahres 2010 aus dem Dun­stkreis von Stuttgart 21 gewählt wird — so bekommt unser Vorschlag “Deutsche Leitkul­tur” als Unwort des Jahres 2010 vielle­icht reelle Chancen.

Daher hier der let­zte Aufruf — helft mit “Deutsche Leitkul­tur” im Ren­nen zur Wahl des Unworts des Jahres 2010 als Gegenkan­di­dat von Alter­na­tiv­en wie “alter­na­tiv­los” zu posi­tion­ieren. Argu­men­ta­tion­shil­fen gibts hier.

Ausschaffung Wort des Jahres in der Schweiz!

Man kann sich über unsere Nach­barn nur wun­dern. Nicht nur wer­den in der Schweiz Jahr für Jahr Geset­zesvorschläge über Volk­sentschei­de legit­imiert, die eine klare Benachteili­gung von Min­der­heit­en mit sich brin­gen — nach dem Minarettver­bot des let­zten Jahres nun die “Auss­chaf­fung” straf­fäl­liger Nicht-Schweiz­er (siehe PLinks KW 47/10). Diese schon sprach­lich absurd klin­gen­den Ideen kom­men dann auch noch zu lin­guis­tis­chen Ehren! Das Wort des Jahres (ja, nicht das Unwort!) 2009 war — richtig — Minarettver­bot. Das Wort des Jahres dieses Jahr: “Auss­chaf­fung”.

Das schweiz­er Unwort des Jahres 2010 wirkt dage­gen direkt niedlich: kri­tisiert wird von der “Aktion Wort des Jahres” das Wort “FIFA-Ethikkom­mis­sion” wegen der darin impliziten Münch­hausen­tat: Die FIFA gibt vor sich am eige­nen Schopfe aus dem haus­gemacht­en Kor­rup­tion­ssumpf zu ziehen. Der Schweiz dage­gen will es wohl nicht gelin­gen sich selb­st aus dem rechts­drehen­den Strudel zu ret­ten, der sie erfasst hat. Passend dazu der Satz (!) des Jahres 2010 aus der Schweiz: “Die Schweiz ist eine frus­tri­erende Alpen-Demokratie.” Und auch noch stolz drauf. (Quelle)

Plinks KW 44/10

Bei den PLinks diese Woche ste­ht wieder ein­mal das Visuelle im Vordergrund.

Wer sich noch nicht sich­er ist, ob er den Banksy-Film “Exit through the gift­shop”, der derzeit in den Kinos läuft sehen will, kann sich auf den fol­gen­den Web­sites ein paar Inspi­ra­tio­nen holen.

Banksy Take ThatAuf der offiziellen Ban­sky Web­site http://www.banksy.co.uk/ wer­den zwar einige Werke des Street Art Kün­stlers gezeigt und auch auf seinen aktuellen Film hingewiesen. Die Bilder auf der Mauer in Palästi­na fehlen aber selt­samer­weise genau­so wie die Vari­a­tio­nen bekan­nter Ölgemälde.

Wer sich trotz­dem nicht durch die Banksy-Bilder bei Google klick­en will, der find­et auf dem Blog Frikadel­len­müs­li eine ganz nette Auswahl der Bilder auf der Mauer in Palästi­na. Bei Frikadel­len­müs­li ist auch der fol­gende Beitrag von Chan­nel 4 News zu finden:

Ban­sky on Chan­nel 4 News

Eine Auswahl der Ölbilder find­et sich hier. Der Clou bei den Gemälden — sie sind Kopi­en bekan­nter Meis­ter­w­erke, ergänzen sie aber durch einen Fremd­kör­p­er, der oft eine poli­tis­che Botschaft enthält oder schlichtweg einen absur­den Kon­trast zum Orig­i­nal­gemälde bildet. Gle­ichzeit­ig kom­men­tieren sie aber auch den Kun­stkon­sum, ent­lar­ven die Sehge­wohn­heit­en eines Pub­likums, das sich gerne als Kun­stlieb­haber (und ‑ken­ner) ver­ste­ht, aber selb­st die offen­sichtlich­sten Fälschun­gen über­sieht. Auch das Hinein­schmuggeln dieser anar­chis­chen Fälschun­gen in die Tem­pel der hohen Kun­st stellt diese Insti­tu­tio­nen selb­st und ihren elitären Anspruch in Frage. Auf Spiegel Online find­et sich ein ganz inter­es­san­ter Artikel dazu:

Vor ein paar Jahren schmuggelte Banksy eine ver­meintliche Steinzeitze­ich­nung von einem Mann mit Einkauf­swa­gen ins Britis­che Muse­um (wo sie acht Tage lang unbe­merkt hing), ein anderes Mal das Gemälde ein­er vik­to­ri­an­is­chen Dame mit Sado-Maso-Maske ins Met­ro­pol­i­tan Muse­um. […] Das Beson­dere an Banksy war eben auch immer sein unver­mit­teltes Auf­tauchen, die Tat­sache, dass er in den Raum, der so selb­stver­ständlich als öffentlich­er Raum beze­ich­net wird, ein­fach einge­grif­f­en hat und dadurch häu­fig überse­hene Flächen für die Öffentlichkeit über­haupt erst wieder wahrnehm­bar gemacht hat.
(http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,630156,00.html)

Graphitti-BlogVisuelle Kom­mentare der etwas anderen Art macht auch der Graphit­ti-Blog, der sich zum Ziel geset­zt hat die Welt in lusti­gen Grafiken zu erk­lären (siehe z.B. die Grafik rechts). Es find­en sich dort ein paar echte Perlen — z. B. die Grafik zum Nahrungsvorkom­men in mein­er Woh­nung. Was lei­der fehlt ist eine Best-Of-Seite, was nicht schwierig wäre, da die Grafiken bew­ertet wer­den können.

Drehende TänzerinIn die Kat­e­gorie der optis­chen Täuschun­gen fällt dage­gen die char­mante Tänz­erin, die rechts zu sehen ist und hier erk­lärt ist. Je nach Ver­an­la­gung des Betra­chters dreht sie sich entwed­er im oder gegen den Uhrzeigersinn. Wer also schon immer mal wis­sen wollte, ob er eher musisch oder ana­lytisch ver­an­lagt ist — oder sog­ar bei­des kann — der sollte sich die Seite auf jeden Fall ein­mal angucken.

Zum Schluss noch ein paar Worte in eigen­er Sache: Bei den Recherchen zum Artikel “Unwort des Jahres 2010: Deutsche Leitkul­tur” stieß ich auf fol­gende Face­book­gruppe, die gerne den Begriff “Alter­na­tiv­los” zum Unwort des Jahres 2010 machen würde. Auch ein schön­er Betrag zur anste­hen­den Wahl zum Unwort des Jahres 2010 — mein Favorit bleibt aber die “Deutsche Leitkul­tur”.

Unwort des Jahres 2010: Deutsche Leitkultur

Grafik zur LeitkulturSeit 1991 wird hierzu­lande jährlich ein Unwort des Jahres gekürt. Auch für 2010 wer­den von Prof Dr. Schloss­er der Uni­ver­sität Frank­furt schon Vorschläge entgegengenommen:

Gesucht wer­den sprach­liche Miss­griffe in der öffentlichen Kom­mu­nika­tion, die 2010 beson­ders neg­a­tiv aufge­fall­en sind, weil sie sach­lich grob unangemessen sind und möglicher­weise sog­ar die Men­schen­würde ver­let­zen. Dabei kann es sich um einzelne Wörter oder For­mulierun­gen han­deln, die in der Poli­tik oder Ver­wal­tung, in Kul­turin­sti­tu­tio­nen oder Medi­en, in Wirtschaft, Wis­senschaft, Tech­nik oder in einem anderen Bere­ich öffentlich ver­wen­det wur­den. Vorschläge kön­nen von allen Deutschsprachi­gen im In- und Aus land gemacht wer­den. Eine Quel­lenangabe wird erbeten. (http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb10/IDLD/ehemalige_histSprw/ Schlosser/unwortdesjahres/presse/index.html)

Ein solch­er sprach­lich­er Miss­griff find­et sich in der aktuell geführten Debat­te zur Inte­gra­tion und konkret im Begriff “Deutsche Leitkul­tur”, der heutzu­tage wieder Kon­junk­tur hat. Im Begriff “Deutsche Leitkul­tur” schwingt ein Gedankengut mit, das schon im drit­ten Reich erfol­gre­ich zur Ver­fol­gung zweifel­hafter poli­tis­ch­er Ziele bemüht wurde. Der Begriff “Deutsche Leitkul­tur” sug­geriert eine nationale Iden­tität, die sich vom Anderen, Frem­den abgren­zen und ihre Eigen­ständigkeit gegen die Ver­fälschung oder Ver­wässerung durch externe Ein­flüsse vertei­di­gen will. Ins­beson­dere der Islam wird als neue Bedro­hung der deutschen Iden­tität iden­ti­fiziert und impliz­it zum neuen Feind­bild verdichtet, auf das die Äng­ste der Bevölkerung fokusiert wer­den sollen. Dadurch, dass man die Bekämp­fung dieser Bedro­hung ver­spricht, stellt man sich selb­st als patri­o­tis­chen Helden dar, bietet ein Bild der Stärke, eine Zuflucht. Diese Aus­nutzung von difusen Äng­sten in der Bevölkerung zu poli­tis­chen Zweck­en und deren Fokusierung auf das Fremde — im drit­ten Reich der Jude, heute der Islam — war der Grund­movens nation­al­sozial­is­tis­ch­er Pro­pa­gan­da und liegt auch der aktuellen Inte­gra­tions­de­bat­te zugrunde.  Der Begriff “Deutsche Leitkul­tur” bildet ein zen­trales Ele­ment dieser Debat­te und damit einen geeigneten Kan­di­dat­en für das Unwort des Jahres 2010.

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