Offener Brief an den Hamburger Innensenator Schlafmangel im Gefahrengebiet

Gefahrengebiet-ComicDas Kul­turkollek­tiv Ill, das auch ver­ant­wortlich ist für diese schöne Seite, hat uns einen offe­nen Brief an den Ham­burg­er Innense­n­a­tor Michael Neu­mann (SPD) zukom­men lassen, den wir hier­mit sehr gerne an die Öffentlichkeit weit­er geben. ((Der Brief wurde in ein­er leicht abge­wan­del­ten Form auch hier veröffentlicht.))

Sehr geehrter Herr Innensenator,

eigentlich ver­suchte ich ger­ade einzuschlafen (mor­gen habe ich die Kinder und dann wieder arbeit­en), doch dann unter­lief mir der Fehler, ich hätte es bess­er wis­sen sollen, Ihre gestri­gen Inter­views mit der Mor­gen­post und dem Abend­blatt zu lesen. Beein­druckt von Ihrer Frei­heit von Selb­stkri­tik und voller Bewun­derung Ihrer Rhetorik ver­mag ich nun kein Auge zuzu­machen und möchte den vie­len anderen Bürg­ern der Stadt, denen eben­so zumute sein dürfte, den Ein­stieg in san­fte Träume durch eine zugegeben im Halb­schlaf ver­fasste Lau­da­tio Ihrer weisen Worte (Zitate in kur­siv) erle­ichtern.

Ich weiß, ihr Stuhl wack­elt und das weckt bes­timmt unan­genehme Gefüh­le, aber nun ja, eben jene muten Sie derzeit tausenden Ham­burg­ern sowie den Polizis­ten, die Sie allabendlich in weit­ge­hend sin­n­freie und aufreibende Auseinan­der­set­zun­gen schick­en, ja auch zu.

Ich möchte Ihnen her­zlich zu Ihrer jüng­sten, wie Sie sagen (warum eigentlich so zaghaft?) Erfol­gs­geschichte grat­ulieren: Sie haben es durch Ihren sen­si­blen und weit­sichti­gen Poli­tik­stil, den man von einem ehe­ma­li­gen Offizier der Bun­deswehr vielle­icht so gar nicht erwartet hätte, inner­halb von nur sechs Tagen geschafft, drei Stadtvier­tel zu schikanieren, mas­siv in die Per­sön­lichkeit­srechte und Fort­be­we­gungs­frei­heit zehn­tausender Men­schen einzu­greifen, Per­so­n­en demüti­gen­den Kon­trollen auszuset­zen, das Kli­ma der Stadt zu vergiften, die Polizei und die Stadt der Lächer­lichkeit preiszugeben und — Kol­lat­er­alschä­den gibt es über­all – durch die daraus resul­tieren­den Proteste auch noch einige Men­schen, Polizis­ten wie Protestier­er, ern­sthaft zu gefährden (ger­ade las ich von ein­er friedlich demon­stri­eren­den Per­son, die mit Schädel-Hirn Trau­ma im UKE liegt; die Zahl der ver­let­zten Beamten kön­nen Sie der Presse ent­nehmen). Kompliment!

Ich beglück­wün­sche Sie auch deshalb, weil Ihre Erfolge natür­lich weitaus größer sind. Sie haben es zugle­ich auch noch geschafft, und hier ver­weise ich auf die Worte Ihres smarten Sprech­ers Streiber, dessen fein­er Sinn für Ern­sthaftigkeit bei all der Real­satire nicht ver­loren gegan­gen ist, die „Ausübung schw­er­er Straftat­en zu ver­hin­dern“. Das ist gut, anson­sten käme die Presse wieder auf die Idee, dass die Fol­gen der Besei­t­i­gung des Prob­lems vielle­icht schlim­mer als das Prob­lem selb­st sein kön­nten. Ver­hin­dern lässt sich in ein­er Welt der unbe­gren­zten Möglichkeit­en natür­lich vieles, und ver­hin­dert hat man genau das, was nicht einge­treten ist — so die bestechende Logik der Aus­sagen aus Ihrem Hause. Nach jen­er haben Sie in den let­zten Tagen nicht nur die Ausübung schw­er­er Straftat­en ver­hin­dert, son­dern vieles mehr, etwa den Ein­sturz der Roten Flo­ra oder die UFO Lan­dung in Bre­men. Bravo!

Kleingeis­ter mögen ein­wen­den, dass man nur das ver­hin­dern könne, was auch konkret anste­ht, doch daran beste­ht nach der peniblen Recherche in den Taschen dieser Stadt kein­er­lei Zweifel. Sie haben Sprengstoff gefun­den. Na gut, es war ein sog. Böller, aber auch diese sind, wie sie tre­f­fend anmerken, gefährlich (weswe­gen ich Ihren ander­weit­i­gen Ein­satz gegen dieses jährliche Rit­u­al besof­fen­er mit Böllern hantieren­der Men­schen außeror­dentlich schätze). Jeden­falls in den Tagen unmit­tel­bar nach Sil­vester zeugt das Dabei­haben der­ar­tiger Sprengsätze vom unbe­d­ingten Willen zur Bege­hung von Straftat­en. Auch die anderen Funde, soweit bekan­nt, sind erdrück­end. Und wo viel gesucht wird, wird auch viel gefun­den, was keineswegs eine selb­st erfül­lende Prophezeiung, son­dern untrüglich­er Aus­druck ein­er stark gestiege­nen Gewalt­bere­itschaft ist.

Zudem fand am 20.12 ein Angriff auf die Fen­ster­scheiben der Davidwache und einiger Polizeifahrzeuge statt, der offen­bar in unmit­tel­barem Zusam­men­hang mit ein­er ein­ma­li­gen Ver­anstal­tung, ein­er Demon­stra­tion am 21.12., stand. Und, wer ken­nt es nicht, ich kann Ihnen ein Lied davon sin­gen (und zwar eines, in dem „St. Pauli“ nicht vorkommt): etwas, das ein­mal passiert ist, kann dur­chaus ein zweites Mal passieren. Deswe­gen bestand nach den Geset­zen der Wahrschein­lichkeit eine nicht auszuschließende Gefahr schw­er­er Straftat­en. Übri­gens finde ich es dur­chaus kon­se­quent, einen Ort wie St. Pauli dann zu einem Gefahrenge­bi­et zu ernen­nen, wenn zusät­zlich zu dem ganzen Men­schen- & Waf­fen­han­del in den Hin­terz­im­mern noch ein paar Scheiben zu Bruch gehen. Enough is enough.

Möglicher­weise ist diese Gefahr sog­ar ein zweites mal einge­treten, doch das wis­sen wir, anders als Sie, lei­der nicht so genau, denn der ein oder andere Queru­lant behauptet mal wieder anderes und die Videokam­eras haben nichts aufgeze­ich­net. Doch Sie sind unbeir­rt, denn es sei „höchst prob­lema­tisch, sich auf anonyme Zeu­gen zu berufen, die nicht bere­it sind, sich gegenüber der Staat­san­waltschaft zu äußern. Und es ist beden­klich, dass in Teilen das Wort eines Anwalts, der keine Zeu­gen hat, höher bew­ertet wird als die Aus­sagen von Polizis­ten.“ Zeu­gen, keine Zeu­gen, anonyme Zeu­gen, Zeu­gen die sich nicht selb­st belas­ten wollen, Anwälte, Presse­berichte – alles nicht so wichtig, sind näm­lich keine Polizis­ten. Und ja, es ist auch mir unvorstell­bar, dass Polizis­ten oder etwa Innense­n­a­toren in irgen­dein­er Weise die Wahrheit ver­schweigen kön­nten – hat‘s das schon­mal gegeben? Immer­hin hat die Polizei als Reak­tion auf die Pressemit­teilung des Anwalts Beuth, das haben Sie vielle­icht noch nicht mit­bekom­men, ihre eigene Darstel­lung kor­rigiert. Das zeugt von der tiefen Verpflich­tung zur Wahrheit. Unange­bracht wäre es daher, mehr Sorgfalt bei der Erstel­lung von behördlichen Benachrich­ti­gun­gen einzu­fordern, ger­ade dann, wenn sie zur Grund­lage von Gefahrenge­bi­eten und Diskus­sio­nen über Schuss­waf­fenein­sätze gemacht wer­den. So ver­nahm ich mit Erschüt­terung, dass Sie Ihre gestrige Rede zur Eröff­nung eines Fußball­turniers nicht hal­ten kon­nten, weil Sie das Pub­likum laut­stark als „Lügn­er“ verunglimpfte (mögen Sie Ihre gewiss mitreißende Rede nicht wenig­stens schriftlich veröffentlichen?)

Was sind die Fak­toren Ihrer Erfol­gs­geschichte? Ganz bes­timmt Ihr Sinn für per­for­ma­tiv­en Humor. Ken­nen Sie Mon­ty Python (deren Werke ich, allein auf eine ein­same Gefahrenin­sel, zuerst mit­nehmen würde)? Stellen Sie sich das vor: Blaulicht, Polizei­wa­gen, tatü­ta­ta und so. Voll­brem­sung, Straße ges­per­rt, Türen auf, Polizis­ten sprin­gen raus, Helme, Knüp­pel, los gehts, sil­ly walks, stramm in die eine Rich­tung. Nach 50m fragt sich der erste, wo genau es eigentlich hin geht, aber da fällts ihm wieder ein: Gefahr! (vielle­icht kön­nen Sie das wie ein Mantra aus dem Off ein­sprechen: Gefahr, Gefahr!). Gut, gibt keine Gefahr, alles wie immer. Aber irgend­wo muss es ja eine geben, ist schließlich nen Gefahrenge­bi­et. Also andere Rich­tung, schnurrstracks.. Hmm.. auch hier keine Gefahr. Aber irgend­wo muss sie doch sein (und jet­zt wieder Sie: Gefahr, Gefahr!). Und da kommt auch schon die näch­ste Gruppe, behelmt und besessen auf der Suche nach der imag­inierten Gefahr. Gut gibt erst­mal keine. Dafür nen paar Platzver­weise (präven­tive Gefahren­vor­beuge, fast ne Gefahr). Glück­licher­weise unter­stützen die Bewohn­er des Gefahrenge­bi­ets, beängstigt und das Schaus­piel doch bewun­dernd, die Beamten auf der Suche nach der Gefahr und stellen sich vor­läu­fig als solche zur Ver­fü­gung. Und weil es die Beamten so erfreut, spricht sich diese pub­lic-pri­vate-part­ner­ship in Winde­seile herum, schnell gibt es ganz viele Gefahren und Grup­pen auf bei­den Seit­en, von denen kein­er mehr so genau weiß, wer warum hin­ter wem her­läuft. Hanseatisch — prag­ma­tisch: Wo kein Prob­lem ist, muss man sich eben eine Lösung schaf­fen (und nun alle: refrain!) und so nimmt die Erfol­gs­geschichte ihren Lauf, der auch durch Nach­fra­gen nach Sinn und Ziel der Maß­nahme nicht mehr aufge­hal­ten wer­den kann. Ursache und Wirkung, das weiß man als Innense­n­a­tor, sind rel­a­tiv und tran­si­tiv. Nur wer die Kun­st­form des absur­den The­aters nicht ver­standen hat, ver­mag Ihre Leis­tung zu unterschätzen.

Hinzukom­men die sach­lichen Aspek­te, die, wie Adju­tant Streiber lehrt, immer im Vorder­grund ste­hen müssen: Die Polizei hat sich eigen­mächtig die Befug­nis eingeräumt, mehr als – die Zahlen schwanken – 50.000 Men­schen zu kon­trol­lieren und hat davon großzügiger­weise nicht immer Gebrauch gemacht. Deswe­gen ver­ste­he ich, ganz wie Sie, „die Aufre­gung nicht. Es hieß, wir wür­den 50.000 Men­schen unter Gen­er­alver­dacht stellen, aber kon­trol­liert haben wir 800.“ Dankbar sollte man sein, dass nicht auch die anderen 49.000 kon­trol­liert wur­den. Nun kön­nte man meinen, Sie spiel­ten hier einen bil­li­gen Zahlen­trick, in dem Sie eine große Zahl mit ein­er kleinen ver­gle­ichen, obwohl sie in keinem sach­lichen Zusam­men­hang ste­hen. Es kommt vielle­icht darauf an, dass Sie Hun­derte gen­ervt haben und nicht, wie viele mehr sie hät­ten ner­ven kön­nen. Und auch, dass natür­lich nicht nur die Kon­trol­lierten betrof­fen waren, son­dern auch alle anderen, die an Check­points vor­beiliefen und sich dabei mustern­den Blick­en (verzei­hen Sie, „Augen­maß“) von unfre­undlichen und bewaffneten Mack­er­typen unterziehen mussten, die in Türste­hermanie den Zugang zu Straßen willkür­lich block­ierten. Auch die Zahl der Platzver­weise und Aufen­thaltsver­bote ist ger­ing, es wäre mehr drin gewe­sen (auch an Begrün­dun­gen, aber die scheint man nicht mehr zu brauchen). Nein, in Wahrheit beweisen Sie zwei weit­ere Tugen­den, die wir Hanseat­en schätzen: Zurück­hal­tung und Verzicht.

Auch Ihre Men­schenken­nt­nis überzeugt mich. „Die Frage nach der tief­er­en Ursache, warum Men­schen so voller Hass gegen Staat und Gesellschaft sind, ist eine Her­aus­forderung“, der Sie sich dankenswert­er­weise angenom­men haben. Messer­scharf analysieren Sie Ursachen: „Zum Teil haben wir ein Prob­lem mit Wohl­standsver­wahrlosung und damit, dass es manchen offen­bar zu gut geht.“ Eben. Denn, wems gut geht, der schlägt auch gerne zu, wie die Lebenser­fahrung zeigt: „solche Men­schen treibt offen­bar die reine Lust an Gewalt.“ Nicht aber etwa poli­tis­che Inhalte: „Man sollte Straftäter nicht dadurch adeln, dass man ihnen poli­tis­che Motive unter­stellt. Es ist eine Her­aus­forderung, mit Extrem­is­mus umzuge­hen.“ Und weil Sie sich bes­timmt nicht in zwei aufeinan­der­fol­gen­den Sätzen wider­sprechen wollen, ent­nehme ich jenen, dass wed­er Straftat­en noch Extrem­is­mus mit Poli­tik zu tun haben kön­nen, schließt sich wohl gegen­seit­ig aus. Und, unter uns, vielle­icht kön­nen Sie das mit Ihren Mit­teln genauer unter­suchen lassen: Die Aktio­nen der let­zten Tage haben nicht nur nichts mit Poli­tik zu tun, son­dern, so befürchte ich, sind Aus­druck per­vers­er Gelüste: Haben Sie mal gese­hen, mit was für Din­gen die Protestler rum­laufen? Beweist nicht allein das, dass diese „Men­schen“ in ihrer Entwick­lung irgend­wo, ich mags gar nicht aussprechen, in der analen Phase steck­en geblieben sind?

Sie liefern eine tiefe Ein­sicht in die Irra­tional­ität des Men­schen: „„Wis­sen Sie, wie viele Men­schen wir in der Nacht auf Mon­tag kon­trol­liert haben, ohne Anlass? 2000 Aut­o­fahrer. Von denen hat sich nie­mand aufgeregt. Wir kon­trol­lieren in dieser Stadt ständig Aut­o­fahrer, ob sie zu schnell fahren oder getrunk­en haben. Und wir haben im Haupt­bahn­hof das Recht der Bun­de­spolizei, Men­schen jed­erzeit zu kon­trol­lieren … In diesen Fällen sehen die Men­schen ihre Frei­heit­srechte nicht eingeschränkt. Umso mehr wun­dert es mich, dass diese Maß­nahme jet­zt solche Wellen schlägt. Ich kann mir das nur damit erk­lären, dass wir eine irra­tionale Dynamik in gerin­gen Teilen der Gesellschaft haben.“

Wohl wahr! Ein tre­f­fend­er Ver­gle­ich, den nur irra­tionalen Men­schen nicht ver­ste­hen kön­nen. Aut­o­fahren ist eine gefährliche Angele­gen­heit mit tausenden Toten jährlich, weswe­gen beson­dere Bedin­gun­gen und Regeln an das Führen eines Fahrzeugs gestellt und zur Sicher­heit des Verkehrs über­prüft wer­den (Sie ken­nen das noch aus den Zeit­en ohne Chauf­feur, etwa diese Führerscheine). Und, da spricht echt­es Frei­heitsver­ständ­nis aus Ihnen: Wenn eine beson­ders gefährliche Tätigkeit überwacht und eingeschränkt wird, dann doch auch bitte jede weniger gefährliche. Deswe­gen gel­ten etwa Regeln für nuk­leare Anla­gen auch an der Pommes­bude. Und sowieso: Wer auf dem Schul­terblatt herum­läuft, ist struk­turell so gefährlich wie ein Aut­o­fahrer (war das jet­zt die These oder der Beweis, ich weiß es nicht mehr, kön­nen Sie mal Streiber fra­gen?). Egal. Als Innense­n­a­tor muss man solche feinsin­ni­gen Unter­schei­dun­gen nicht tre­f­fen kön­nen. Eins ist sich­er: Wer sich über Frei­heit­sein­schränkun­gen und Kon­trollen beschw­ert, ist und bleibt irra­tional –nicht gar pathologisch?

Nun, ich werde langsam müde, wollen wir bei all Ihren jüng­sten Erfol­gen auch die anderen nicht vergessen. Auf ein­er Demon­stra­tion sind rund 700 Men­schen ver­let­zt wor­den, das ist schon nicht schlecht, vielle­icht der kol­lat­er­alschaden­re­ich­ste Polizeiein­satz der let­zten Jahrzehnte (Ihrer Logik zufolge gewiss nicht viel, bedenkt man, dass in Ham­burg rund 1,8 Mil­lio­nen leben, von denen fast alle nicht ver­let­zt wor­den sind). Außer­dem, darauf behar­ren Sie stets kon­se­quent, sind eigentlich nur rund 170 Men­schen ver­let­zt wor­den, das andere waren Demon­stran­ten. Deren Schutz gehört nicht zu ihren Auf­gaben als Innense­n­a­tor, und die scheinen ja auch selb­st schuld zu sein. Auch ich kann mich nur ver­wun­dert fra­gen: Warum ste­hen die auf ein­er angemelde­ten Ver­samm­lung rum? Warum ver­lassen die nicht den Polizeikessel, wenn sie wahl­los mit Trä­nen­gas oder wild um sich schla­gen­den Polizeigrup­pen kon­fron­tiert wer­den? Und wenn sie den Kessel nicht ver­lassen kon­nten, weil er eben ein Kessel war, hät­ten die nicht wenig­stens was anderes machen kön­nen? Denn das Gewalt­monopol muss akzep­tiert wer­den, und das heißt nun mal, wie sie in bestechen­der Klarheit zeigen, dass nur eine Seite zügel­los zuschla­gen darf. Übri­gens, so mag ich noch ergänzen: Wer meint, das Gewalt­monopol würde beson­dere Verpflich­tun­gen mit sich brin­gen, etwa Trans­parenz, Selb­stkri­tik und Account­abil­i­ty auf Seit­en der Ausüben­den, dass es zur Sicherung und nicht zur Abschaf­fung von Bürg­er­recht­en beste­ht und dass es auf recht­mäßige Gewal­tan­wen­dung beschränkt ist, dem ver­mag auch ich nur noch ver­wahrloste Irra­tional­ität attestieren.

Es gab ja gute Gründe für das Stop­pen der Demo, und wenn sich ein­er als falsch her­ausstellt weil die Videokam­eras da mal funk­tion­iert haben, wird sich schon ein ander­er find­en lassen. Welch­er es genau war, nicht so wichtig, dem Innenauss­chuss kann man schon irgend­was erzählen (Streiber fra­gen) und Haupt­sache die Demon­stran­ten waren nicht in der Innen­stadt. Sie haben sich das Grun­drecht auf störungs­freie Wei­h­nacht­seinkäufe zwar nicht aus­gedacht, aber wohl am kon­se­quentesten vertei­digt: 700 Ver­let­zte sind ein fair­er Preis für ein friedlich­es Jin­gle Bells auf dem Rathaus­markt. Chapeau!

Recht & Gesetz, da sind Sie stand­haft, müssen durchge­set­zt wer­den. „Übri­gens weiß ich bish­er nicht von ein­er einzi­gen Klage gegen das Gefahrenge­bi­et“, was ein ver­lässlich­es Indiz für die Ver­fas­sungsmäßigkeit ist. Übri­gens wis­sen Sie wohl auch nichts von den Kla­gen gegen das alte Gefahrenge­bi­et, in denen das Ham­burg­er Ver­wal­tungs­gericht etwa fest­gestellt hat, dass für „ein Aufen­thaltsver­bot … konkrete Tat­sachen die hin­re­ichende Wahrschein­lichkeit ein­er Straftat­bege­hung recht­fer­ti­gen müssen. Die Zuge­hörigkeit zum linken Spek­trum, die Ein­tra­gung in ein­er polizeilichen Daten­bank als ‚Straftä­terin links motiviert‘ oder ein all­ge­mein ver­bal aggres­sives Ver­hal­ten reichen dafür nicht aus“  (Urteil vom 2.10.2012, 5 K 1236/11).  Es wäre gewiss juris­tis­che Haarspal­terei, wenn man von dem­jeni­gen, der Recht & Gesetz am lautesten im Munde führt, erwartete, sich darüber zu informieren, was Recht & Gesetz sind. Gerichte haben das Recht nur ver­schieden inter­pretiert, doch es kommt darauf an, es durchzusetzen!

Und so möchte ich auch die von Ihrem Sprech­er selb­st eingeräumte Kri­tik zurück­weisen. In einem (offen­bar von der medi­alen Het­ze gegen Sie anges­tachel­ten) Anflug von Selb­stkri­tik fiel jen­em dann gegenüber der F.A.Z. tat­säch­lich doch ein Verbesserungsvorschlag ein: Man hätte das Gefahrenge­bi­et „vielle­icht bess­er Schutz­zone nen­nen sollen“. Doch so ein Euphemis­mus ist Ihre Sache nicht. Sie, Mann der klaren Worte (da kann sich Streiber noch was abschauen)!

Last but not least, Ehre wem Ehre gebührt, Ihre Glan­zleis­tung im Sinne des SPD Pro­grammes: „Die Sol­i­dar­ität mit den Ärm­sten und Unter­drück­ten weltweit ist kon­sti­tu­tiv inner­halb der inter­na­tionalen sozialdemokratis­che Parteien­fam­i­lie“ (Beschluss vom 14.3.2011). Herzzer­reißend, ihr Umgang mit den Ärm­sten und Ver­fol­gten, denen Sie wed­er Unterkun­ft noch Sorge ent­ge­gen­brin­gen und die Erfül­lung jen­er sozialdemokratis­chen Grundpflicht­en nicht ein­mal der Kirche erlauben woll­ten. Ich kann Ihre Entwick­lung in dieser Sache nur begrüßen. Sie haben ja einen neuen, wie der PR-Men­sch sagt, „talk­ing point“, und kon­nten ihn gestern gle­ich zweimal unter­brin­gen, weswe­gen ich ihn auch hier wieder­holen möchte. Men­schen, die vor Krieg und Vertrei­bung unter lebens­bedrohlichen Zustände flüchteten, nen­nen Sie jet­zt „Arbeitsmi­granten aus West-Afri­ka“. Ja, das lassen wir uns auf der Zunge zerge­hen. Nochmal: „Arbeitsmi­granten aus West-Afri­ka“. Na klar. Die wollen ja auch ne Aufen­thalts- und Arbeit­ser­laub­nis. Das ist gut, das ist stark, das ist die längst unterge­gan­gen geglaubte rhetorische Bril­lanz Her­bert Wehn­ers (oder wie hieß dieser Recht­saußen aus Bay­ern, nicht Lahm .. Gauweil­er..?). Das ist schon nicht mehr dif­famierend, das ist Schüren bil­lig­ster frem­den­feindlich­er Ressen­ti­ments zur Unter­stre­ichung Ihrer Poli­tik der Barmherzigkeit, just in dem Moment, in dem Ihre geisti­gen Brüder aus dem Süden der Repub­lik genau diesel­ben Äng­ste bedi­enen (da gehts zwar um Rumä­nen oder Bul­gar­en, aber egal, Haupt­sache Afri­ka). Wenn Ihre Genossen Sie dafür nicht eigen­händig rauss­chmeißen, wer­den das wohl die Ham­burg­er tun, und deshalb ist es richtig, sich durch Anbiedern nach rechts immer schön Kar­ri­erechan­cen in der näch­sten GroKo offenzuhalten.

Final­ly, so frage ich mich, und das möchte ich auch Ihrer Fan­tasie und Momenten inner­er Einkehr über­lassen: wenn die Lampe­dusa Flüchtlinge Arbeitsmi­granten sind, was kön­nten dann Sie sein? Doch nicht etwa ein armer Oppor­tunist auf dem beschw­er­lichen Weg zu staatlich finanzierten rauschen­den Nächt­en in Rio? Von Schill ler­nen, das haben Sie in der SPD schmerzhaft erfahren, heißt siegen ler­nen. Über­haupt, das beweisen Sie ein­drucksvoll, ist an Schill ja auch ein guter Sozialdemokrat ver­loren gegan­gen. So wäre ich nicht nei­disch, wenn Sie dessen tri­umphale Erfolge in der inneren Sicher­heit noch übertrumpfen und als würdi­ger Nach­fol­ger auch dessen beru­flichen Werde­gang teilen würden.

Ich wün­schte, ich kön­nte Ihnen noch so viel mehr sagen, aber meine Augen fall­en zu und es ist klar: wenn Men­schen wie Sie die Geschicke dieser Stadt lenken, na dann,

Gute Nacht!

Ein Bewohn­er der Strände von Dan­ger Island

 

3 Meinungen zu “Offener Brief an den Hamburger Innensenator Schlafmangel im Gefahrengebiet

  1. Die Katas­tro­phe gut auf den Punkt gebracht!

  2. Sich­er ein sehr infor­ma­tiv­er Brief an den Her­rn Innense­n­a­tor, aber weniger wäre mehr gewe­sen. Den Brief wird er in sein­er Gänze nicht lesen.

  3. Worum geht es eigentlich zen­tral? So ein Datum zum Brief wäre nicht schlecht… evtl. hierum -> http://www.youtube.com/watch?v=e9CBWjNIdfU?
    Wenn man schon so aus­führlich schreibt, sollte man auch in jedem wichti­gen Detail ehrlich sein. Als Beispiel: “Sie haben Sprengstoff gefun­den. Na gut, es war ein sog. Böller, aber auch diese sind, wie sie tre­f­fend anmerken, gefährlich (weswe­gen ich Ihren ander­weit­i­gen Ein­satz gegen dieses jährliche Rit­u­al besof­fen­er mit Böllern hantieren­der Men­schen außeror­dentlich schätze)” … Es sind eben nicht nur Böller, son­dern teils Effek­t­pa­tro­nen mit Knall­satz oder Polen­böller. Und die wer­den gezielt auf andere Per­so­n­en gewor­fen. So ein Ding in Kopfnähe und das war’s mit Augen und Ohren… Für mich per­sön­lich, wäre ein einziger(!) Wurf eines Böllers oder ein­er Glas­flasche Grund genug, damit eine solche Demon­stra­tion aufgelöst wer­den müsste. Alle Demon­stan­ten bil­li­gen diese Vorge­hensweise, schließlich dis­tanzieren sie sich ja nicht von den Wer­fern. Der­ar­tige feige Gewalt brauchen wir nicht in unser­er Gesellschaft.

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