Radian
Den Einstieg machen sie der Hörerin nicht leicht auf Chimeric, ihrem neuen Album, das heute erscheint. Das erste Stück, ‘Git Cut Noise’ beginnt mit dem summenden Feedbackgeräusch eines Gitarrenverstärkers, zu dem sich schnell ein leicht verzerrtes Schlagzeug gesellt. Das Cut-up-Prinzip erzeugt einen seltsamen Groove bevor es dann richtig laut und unangenehm wird. Schließlich setzt ein recht primitiver, sich um Halbtöne verschiebender Basslauf ein; der Distortion-Schlussteil erinnert an manche Stücke von Do Make Say Think. Es ist als wollten Radian gleich zu Beginn ihr Gebiet markieren und Ortsunkundigen keinen allzu leichten Zugang gewähren.
Jenen, die Radian schon länger kennen, kommt dann doch auch wieder einiges bekannt vor: der ureigene Schlagzeugsound von Martin Brandlmayer, die Integration von vermeintlichen Störgeräuschen und Studioartefakten in den Klang und Rhythmus der Stücke, die Mischung aus Postrock, Jazz und Elektronik, die bisweilen klingt als sei sie in einen Häcksler geraten.
Radian gibt es seit mittlerweile 13 Jahren, die Band gründete sich 1996 in Wien, 1998 erschien dann die erste selbstbetitelte EP. Spätestens seit der zweiten großartigen LP Rec.Extern, die in Chicago von John McEntire produziert und 2002 auf Thrill Jockey veröffentlicht wurde, sind die Wiener in der Nische der Liebhaberinnen avancierter Musik eine Größe. Durch die Veröffentlichung auf Thrill Jockey entstand gleichzeitig ein gewisser Wahrnehmungskontext: Auf diesem Label hatte die Betreiberin Bettina Richards seit Mitte der Neunziger Jahre die wichtigsten Alben des Chicagoer Postrock versammelt und popnerdweltweit bekannt gemacht (von Tortoise, The Sea and Cake, Trans Am u.a.). Vor dieser Folie wirkte Radian gleichzeitig wie die logische Fortsetzung dieser Musikrichtung und deren Überwindung: die erste Post-Postrockband gewissermaßen. (Ähnliches könnte man, wenn auch aus ganz anderen Gründen, von Pit er pat sagen, von denen auch ein neues Album auf Thrill Jockey angekündigt ist.)
Mit der nächsten Platte, Juxtaposition (2004), haben Radian ihren Ausnahmestatus konsolidiert und den eigenen Sound weiter ausgefeilt. Gleichzeitig rückten dann verstärkt die Nebenprojekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Trapist z.B. mit den beiden kleinen Meisterwerken Highway my Friend (2003) und Ballroom (2004) und dem wiederum markanten Drumsound Brandlmayers oder Stefan Nemeths Zweitprojekt Lokai, deren aktuelles Album Transition gerade erschienen ist. (Es gibt ein hübsches Video zu einem ihrer Stücke.)
Chimeric, Radians erste Platte seit fünf Jahren hat gegenüber dem eigenen Koordinatensystem einige vektoriale Verschiebungen vorgenommen. Die Stücke sind deutlich länger geworden, sie klingen weniger heterogen, zerrissener, wie aus verschiedenen Versatzstücken zusammengeschraubt. Ein beabsichtigter Effekt, wie die Band selbst zu Protokoll gibt:
Chimeric is not a polished album. Within our context it is raw, broken, even dark sometimes. Steady, multiple rhythms, layered on top of each other disappear into chaos and turn back into discreet structures in the next moment. […] Some of the longer pieces are composed of very different parts and different colours along a continuous timeline. They tend to evolve in a narrative form and are moving through various scenes and surroundings, which is also present in the spacial relationship between the instruments.
Nicht immer will alles zusammenkommen, mancher Klang, manches Instrument steht eher unvermittelt neben dem nächsten. Gleichzeitig gibt es aber auch Stücke, bei denen sich aus dem mikrostrukturellen Klangchaos richtige Hymnen herausschälen wie z.B. beim zweiten Track ‘Feedbackmikro/Citylights’. Auf einmal sind eine cleane Gitarre auszumachen, ein Vibraphon und natürlich der einmalige komplexe Groove Brandlmayers. Jede neu hinzukommenden Schicht wirkt euphoriesteigernd. Und ‘Subcolors’ zeigt Radian schließlich von der versöhnlichen Seite: das letzte Stück von Chimeric als warm welcome zum Nochmal- und Immerwiederhören.