Replik auf Sloterdijk
Vielen Dank für den Artikel “Die Revolution der gebenden Hand”, den ich mit viel Amüsement gelesen habe. Dieser Artikel, der vordergründig einen neoliberalen Beitrag zur gegenwärtigen Kapitalismusdebatte darstellt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als brilliant komponiertes Possenstück, das der großen Krise ein subtiles Lächeln entlockt.
Viele versteckte Selbstreferenzen und Widersprüche weisen auf die wahre Intention des Textes hin, angefangen schon beim rhetorischen Duktus des Textes, der in seiner ausweichenden Kritik an den Klassikern der linken ökonomischen Theorie und an der Stoßrichtung der gegenwärtigen Kapitalismuskritik genau die konfuse Klugheit zeigt, die er Marx assistiert. Eine andere Taktik des Textes ist es, bei der Kritik an „linken“ Positionen Aussagen zu treffen, die den Widerspruch implizit schon in sich tragen. So mokiert sich der Text scheinbar über die Armen, denen die Welt als ein Ort erscheint, „an dem die nehmende Hand der anderen sich schon alles angeeignet hat, bevor sie selber den Schauplatz betraten“. Natürlich bezieht sich der Text hierbei implizit auf aktuelle Nachrichten zur Wasserarmut in einigen Ländern der dritten Welt, die durch die systematische Ausbeutung der lokalen Wasserreserven durch Multinationale Unternehmen wie Nestlé und Coca Cola hervorgerufen wird und auf den jüngsten Vergleich im Rechtsstreit zwischen Shell und der Ogoni-Bewegung, bei dem Shell für die durch massive Umweltschäden zerstörten Existenzgrundlagen des Volkes und die Begünstigung der Hinrichtung derer, die dies kritisierten einen völlig unzureichenden Ausgleich von US$ 15,5 Mio zahlte. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass sich der Text hier einer ironischen Brechung bedient um sich quasi von sich selbst zu distanzieren.
Dasselbe Stilmittel wendet der Text an, wo er scheinbar entgegen der klassischen Theorie einer Kleptokratie der Wohlhabenden eine Kleptokratie des modernen Staates evoziert, der für eine Umverteilung von Produktiven auf Unproduktive verantwortlich zeichnet. Natürlich ist die Ironie der Stunde, dass der Staat eben gerade nicht von den Reichen nimmt, und den Armen gibt, sondern milliardenschwere Unternehmen mit milliardenschweren Krediten stützt und damit künstlich am Leben erhält. Finanziert werden dadurch auch die Millionen für Abfindungen erfolgloser Manager während andererseits Kleinanleger von ihren Schulden ruiniert werden. Amüsant ist so auch die Idee des ewig vom „Zinsstress“ getriebenen Unternehmers, wenn man dies in Bezug setzt zu den existenziellen Ängsten des kleinen Mannes.
Dass dieser zum wahren Ausbeuter stilisiert wird, begünstigt vom Ungeheuer Staat, ist die große satirische These des Textes: Die Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven – eine These die sich gleich doppelt selbst entlarvt. Einerseits werden als Unproduktiv auch all jene Geringverdiener bezeichnet die nicht selber Steuern zahlen und somit auch von der „steueraktiven“ Hälfte mitfinanziert werden. Das ist natürlich absurd, wenn man bedenkt, dass damit all jene gemeint sind, die tägliche, oft sehr „produktive“ Arbeit vorziehen, obwohl sie dadurch kaum besser gestellt sind, als Arbeitslose Harz IV Empfänger. Gleichzeitig ist natürlich der Autor selber in einer gesellschaftlich paradoxen Position. Als öffentlicher Angestellter wird er bezahlt von eben jenem Ungeheuer Staat, das er anprangert. Als „steueraktiver“ Bürger wäre er aber nach der Definition seines Textes einer der ausgebeuteten „Produktiven“, obwohl er mit seinen Steuern nur einen Bruchteil dessen zurückzahlt, was er zunächst aus den Steuergeldern bezieht.
Was den Text aber vor allem auszeichnet ist die Evozierung subtil-grotesker Bilder mit dem scheinbar toternsten Pathos des perfekten Komikers. Das fängt an mit der Idee des „antifiskalischen Bürgerkriegs“, bei dem schon de Wortschöpfung an sich bemerkenswert ist. Noch der vorangehende Absatz spricht von „einer Handvoll Leistungsträger“, die mehr als die Hälfte des nationalen Einkommenssteuerbudgets bestreitet und diese oberen Zehntausend soll nun also darniederkommen auf die Herscharen der „steuerinaktiven“ und sich erheben gegen das „Ungeheuer“ Staat für eine neue Form der Verteilungsgerechtigkeit. Die Idee provoziert die drollige Idee einer Armee von Anzugsträgern die pikiert in die Slums der Städte vortrippeln um sich wieder zu nehmen, was rechtmäßig ihres ist – und die sich dann verwundert-entrüstet wieder abwendet nachdem sie gesehen hat was aus ihren funkelnden Talerchen geworden ist.
So schließt denn auch der Text mit dem größten Lacher, indem er, nach einer Kritik an der „moralisierenden Stilisierung“ des Marxismus in der Mitte des Textes, selbst eine neue Form von Moral predigt. Der Text spricht von der Abschaffung der Zwangssteuer und propagiert eine neue Moral des Stolzes, der die Gier besiegen soll um so das Allgemeingut durch freiwillige Geschenke an die Allgemeinheit durch die Besitzenden zu sichern. Sieht man sich die Besitzenden dieser Tage und ihre Moral angesichts der größten Weltwirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte an, wird einem dieser letzte Lacher des Textes vergällt. Allenthalben wird zusammengerafft, was es noch zu holen gibt und Milliardenforderungen an einen Staat gestellt, der zuvor für seine Regulierungen und Eingriffe zutiefst kritisiert wurde. Dieses Bild vom treudoofen Ungeheuer Staat, ist die wahre Errungenschaft des Textes. Das treudoofe Ungeheuer Staats, das putzig versucht Stärke zu zeigen indem es den Starken hilft und der paradoxen Forderung nachzukommen weniger zu nehmen um mehr zu geben.
Diesem Bild vom hilflosen Ungeheuer wird nun noch die Selbstdarstellung Sloterdijks auf dem Fahrrad im gelben Trikot gegenübergestellt. Das gelbe Trikot stellt natürlich eine geniale Parallele zur Krise des Kapitalismus her, für die die Krise des Radsports als Metapher genommen wird. Hier wie da als Betrüger überführte Leistungsträger, die in einer grotesken Selbstverleugnung versuchen sich weiterhin als Vorbild der Massen zu stilisieren. Es ist Sloterdijks großer Verdienst, dass er sich nicht zu schade ist, in dieser vielschichtigen Groteske selbst die Clownsmaske aufzuziehen und sich der Gefahr stellt, dass der Artikel missverstanden und ernst genommen werden könnte. Dieser Gedanke beinhaltet an sich natürlich so viel Humor, dass er vielleicht selbst schon Motivation genug war.
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der sloterdijk-artikel ist ernst gemeint und sein tenor bar jeder ironie. man kann das umwälzungspathos an allen seinen journalistischen arbeiten diagnostizieren. er ist ein ehrgeiziger doktor aus nietzsches hochgelegenem sanatorium, und die dünne luft setzt ihm zu. seine begeisterten patienten kommen als hinfällige und fühlen sich bald als gipfelstürmer…
nicht nur aus diesem grund ist dieser autor lange repliken nicht wert.
Falls Sie die Angelegenheit zu Ende verfolgt haben sollten wissen Sie es bereits, wenn nicht mache ich Sie darauf aufmerksam, dass nicht eine Minderheit es war die diesen Artikel verstanden hat sondern die Mehrheit. Er war tatsächlich ernst gemeint. Oder Sloterdijk ist tatsächlich nur ein Clown — ein Spieler, aber dann einer wahnsinnigen Kalibers. Auf Axel Honneths präzise kritische Replik zu Sloterdijks “neuem Schrifttum” in der ‘ZEIT’ (http://www.zeit.de/2009/40/Sloterdijk-Blasen) hat jener an selber Stelle umfangreich dargelegt weshalb er “doch Recht habe” (http://www.zeit.de/2010/49/Sloterdijk-Reichensteuer).
Wäre dies immernoch als Witz gemeint, müsste der gute Sloterdijk sich eine Carbon-verstärkte Clownsmaske King Kongscher Dimension vor die Visage geschnallt haben. So wird wenigstens jeder Kenntnis davon nehmen, dass er eine Zweitkarriere als Satiriker angetreten hat. Das zu sein verdächtige ich ihn ohnehin schon länger.