St. Martin war ein böser Mann
Filesharing isn’t like sharing that we teach our children. This isn’t sharing with your friends.
Jetzt haben wir es endlich blau auf weiß. Wer mit einem Fremden teilt, der teilt nämlich nicht, der macht etwas anderes, im Zweifel verwerfliches, um nicht zu sagen obszönes. Gut zu wissen, der Herbst ist nah, und wer stand noch nicht vor der Wahl, den eigenen Militärmantel, einen weißen Überwurf aus zwei Teilen, im oberen Bereich mit Schaffell gefüttert, oder wenigstens ’nen Euro mit einem mittellosen Bettler zu teilen. Nix da! Die Warnung erreicht uns noch rechtzeitig, ausgesprochen von einem amerikanischen Anwalt im Fall Joel Tenenbaum vs. RIAA.
Angesichts solch moralischer Offenbarungseide seitens der Kläger, ist der Verteidigung nicht anderes übrig geblieben, als sich freimütig zu dem zu bekennen, was man praktiziert hat. Joel Tenenbaum: “this is me. i used the computer. This is how it is. I did it.”, sein Anwalt Charles Nesson formuliert das etwas geschmeidiger so:“Everyone could download [songs] for free. And millions and millions did. Joel was one of those millions.” Für die Verteidigung kommt erschwerend hinzu, dass Richterin Nancy Gertner dem Angeklagten noch vor Beginn der Verhandlung das Recht verwehrte, sich auf die “Fair use-Klausel” des us-amerikanischen Copyrights zu berufen, zudem gibt es Überraschungszeugen der Anklage. So hat Antonio Franko unter Eid ausgesagt, “that Joel had a good sized music collection, including some burned CDs.” Wicked!
Nun kann sich der einfallsreiche Verteidiger Charles Nesson ganz auf seine Spirenzchen konzentrieren. So stellte er dem Experten Doug Jacobson die Frage, ob es nicht auch möglich sei, dass man sich die mp3-Songs im Netz besorgt, und sich nachher noch die CD kauft, weil die Qualität des Tonträgers einfach besser ist.
He then began to ask if someone might download these lower quality files on the internet before purchasing the higher quality CDs in the stores, but his line of questioning was stopped based on sustained objections from Plaintiffs that this questioning was out of the scope of the direct examination.
So wird auch sein geliebter Necker Cube wahrscheinlich nicht die erhoffte Wirkung erzielen, denn das Gericht hat ausreichend klar gemacht, dass es nicht an differenzierten Betrachtungen interessiert ist, obwohl es Studien gibt, die besagen, dass Filesharing kein Problem darstellt.
Und exakt dieser Punkt wird in der Gerichtsverhandlung am Ende gar nicht berührt. Es geht gar nicht darum, was denn nun ist mit sharen, oder warum man das nicht machen sollte. Es geht wieder mal einzig und allein um die Durchsetzung von Kapitalinteressen, worüber sollte ein Gericht in den USA auch sonst beraten, und da spielt die Tatsache, etwas zu teilen, natürlich nur in sofern eine Rolle, als dass sie in feinster Neusprech-Tradition umformuliert werden muss. Tja, eine so große Überraschung ist das nicht.
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Das Schöne daran ist eben zuzusehen, wie sich die Ideologie selbst entlarvt und wo offenbar die Grenzen des christlichen Wertesystems gezogen werden — nämlich immer schön entlang der Kapitalverwertung. Dass sich beide ja nicht in die Quere kommen. Und wer im Zweifelsfall Platz machen muss ist auch klar. Zugegeben: neu ist das nun nicht gerade, aber in dieser Deutlichkeit doch selten.
Klar machen kann man sich hier noch einmal, dass die Filesharing-Technologie von ihrer ganzen Logik her tatsächlich den kapitalistischen Warentausch untergräbt. Und zwar weil diese Art des ‘Sharing’ weder Tauschen noch auch echtes Teilen ist. St. Martin war ja heroisch, weil er danach mit seinem halben ‘Mantelteil’ durch Nacht und Wind geritten ist. Das ist nun nicht mehr nötig, denn beim Filesharing behält man ja eh alles. Mit unendlich vielen unbekannten Mitmenschen kann man seine MP3-Sammlung tauschen und danach nicht einen Song weniger haben. Warum wird die gigantische und wunderschöne Sprengkraft dieser Entwicklung so selten betont, wenn sie doch schon mit allen rhetorischen und rechtlichen Mitteln bekämpft wird?