Street Angel (Engel der Straße), 1928
Das Filmforum im Museum Ludwig zeigte am letzten Donnerstag im Rahmen des langen Donnerstags den Stummfilm Street Angel von Frank Borzage aus dem Jahre 1928. Frank Borzage ist seither etwas in Vergessenheit geraten — im Unterschied zu Murnau, der zu der Zeit ebenso wie Borzage bei Fox beschäftigt war und für seinen Film Sunrise (Murnaus erster in den USA gedrehter Spielfilm) auch auf dieselbe Hauptdarstellerin zurückgriff: Janet Gaynor. Diese gewann dann auch 1929 den ersten Oscar für die weibliche Hauptrolle — und zwar für diese beiden Filme und Seventh Heaven (Borzage, 1927) zusammen (!).
Der Film war Teil der von Daniel Kothenschulte kuratierten Filmreihe „Das Kino der Bohème: Künstlertum und alternative Lebenswelt im Film seit 1898“ und macht Lust auf mehr: Nach einer kurzatmig-eloquenten Einführung durch Kothenschulte wurden die Zuschauer von der unaufdringlich-gefühlvollen Livemusik von Ute Völker (Akkordeon) und Angelika Sheridan (Flöte) durch einen charmanten Film mit überzeugenden Darstellern begleitet.
Die Handlung beginnt in Neapel, wo sich Angela (Gaynor) zunächst prostituiert und dann stiehlt, um Medizin für ihre im Sterben liegende Mutter zu kaufen. Sie flieht vor der Polizei und schließt sich einem Wanderzirkus an. Unterwegs trifft sie auf den Maler Gino (Charles Farrell), der in ihr seine Muse sieht und sich in sie verliebt. Die beiden kehren letztlich nach Neapel zurück, wo Gino auf eine Anstellung als Maler hofft, um das Geld für eine Heirat zu verdienen. Just als sich dieser Wunsch erfüllt, erkennt ein Polizist in Angela die flüchtige Diebin und verhaftet sie. Als sie wieder entlassen wird, findet sie Gino in der Gosse wieder. Gino hat von ihrer zweifelhaften Vergangenheit gehört und will sich an ihr rächen, verzeiht ihr aber, als er in ihre immer noch unschuldigen Augen sieht.
Während die Handlung wenig Überraschungen bereit hält, sind es vor allem die beiden Hauptdarsteller, die überzeugen. Sie geben dem Film Witz und Charme, ohne dass er dabei in Kitsch oder Klamauk abrutscht. Beindruckend ist, wie sie vor allem mit ihrer Mimik die emotionalen Momente des Films vorantreiben. Gaynor hat dabei ihren großen Auftritt in der Szene, als der Polizist auf ihre Verhaftung wartet, sie aber noch eine letzte Stunde mit Gino ausgehandelt hat und mit ihm traurig die bevorstehende Hochzeit feiert. Bei Charles Farrel ist es vor allem die Metamorphose vom schalkhaften Jungen zum verbitterten Mann, die im Gedächtnis bleibt. Hier auch ein kurzes Murnau-Zitat, als Gino am Kai Angela in die Arme läuft und sich zutiefst verletzt in Nosferatu-Manier auf sie stürzt.
Wie gesagt, eine Filmreihe, die sicher noch mit weiteren Perlen der Filmgeschichte aufwartet — vielleicht schon am 28.10. mit Der Gang in die Nacht von Friedrich Wilhelm Murnau. Mehr Informationen gibt es hier.