Weihnachten mit der deutschen Bahn. Oder: Ein Unglück kommt selten allein!
Fahrt nicht mit der Bahn, sagte die Bahn am Wochenende vor Weihnachten. Eigentlich unglaublich – ein Unternehmen ruft auf zum Boykott seiner selbst. Und das nachdem die Konkurrenz, die Fluggesellschaften, ihre Kunden gerade noch aufgefordert hatten auf die Schiene umzusteigen. Fahrt doch mit der Bahn, hieß es dann von der Bahn Mitte dieser Woche. Sie würde zusätzliche Züge bereitstellen, Weihnachten bei der Familie sei gerettet.
Als alter Bahnfahrer ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Geplante Reise: Bonn – Berlin, Bonn Hbf ab: 17:22 Uhr, Berlin Ostbahnhof an: 22:32 Uhr. Zu spät für das Abendessen, aber noch rechtzeitig um ausgeschlafen in die Weihnachtszeit zu starten. Und ich musste am 23. ja noch arbeiten.
23.12., 8:42 Uhr, Köln West: Schon auf dem Weg von Köln, wo ich wohne, nach Bonn, wo ich arbeite das erste Problem: Personenschaden, der Zugverkehr nach Bonn fällt für unbestimmte Zeit aus. Kein Problem, dann eben Home-Office. Auf dem Weg von Bonn nach Berlin muss ich sowieso in Köln umsteigen.
23.12., 17:30 Uhr, Köln Hbf an: Auch bei der KVB, dem KarnevalsVerein Bahn, der dafür zuständig ist, dass auch in der nicht-jecken Zeit ab und zu mal der Zuch kütt, muss man derzeit mit Ausfällen und Verspätungen auf unbestimmte Zeit rechnen. Ich habe also lieber Puffer eingeplant und komme zeitig beim Kölner Hbf an. Zu zeitig: Der ICE 955 nach Berlin, geplante Abfahrt 17:48 Uhr fällt aus. Ersatzzug IC 2815, geplante Abfahrt 17:52 Uhr, hat voraussichtlich 40 Minuten Verspätung. Da der IC eine halbe Stunde länger nach Berlin braucht muss ich jetzt schon mit 70 Minuten Verspätung rechnen. Ob es nicht Sinn machen würde den ICE um 18:48 Uhr zu nehmen, frage ich an der Information. Naja, man wisse ja noch nicht, ob der fahre, ist die Antwort – wohl gemerkt, eine Dreiviertelstunde vor der geplanten Abfahrt des Zuges.
23.12., 18:40 Uhr, Köln Hbf ab: Mit 50 Minuten Verspätung fährt der IC 2815 endlich los. Kein Boardrestaurant, noch nicht mal was zu Trinken an Board. Aber die Beschwerden kommen erst Stunden später. Dann geht’s aber erstmal in die falsche Richtung. Der Zug passiert Köln Süd und bleibt kurz hinter Köln Eiffeltor stehen. Die Strecke nach Bonn scheint also wieder frei zu sein. Wir müssen aber nicht in den Süden, sondern in den Norden. Der Zugchef spricht von einer „technischen Panne“ und fährt zurück. Nächster Anlauf, diesmal nach Westen aus Köln raus und dann richtig nach Norden weiter. Verspätung in Wuppertal: 90 Minuten.
23.12., 23:00 Uhr kurz vor Stendal: Nach einigen weiteren Verzögerungen kommt der Zug kurz vor Stendal zum stehen. Wegen vereister Oberleitungen kann er aus eigener Kraft nicht weiterfahren. Eine Lokomotive sei geordert, um den Zug nach Stendal hineinzuziehen. Stundenlanges Warten beginnt, die Bahn hat nicht einmal Wasser für Kleinkinder dabei, um das ein Mann mit seinem Kind im Arm bittet. Das Personal fühlt sich nicht zuständig – sie können ja auch nichts machen, wo sollen sie um die Uhrzeit Wasser herbekommen, es gibt ja kein Zugrestaurant. Die Information zur Lage gab es mittlerweile auch nur noch einsprachig auf deutsch.
24.12., 04:00 Uhr Stendal: ca. 4 Stunden später setzt sich der Zug wieder in Bewegung und fährt kurze Zeit später endlich in Stendal ein. Nach einigen Minuten Aufenthalt geht es weiter. Zu schnell diesmal für einen Herrn auf Wagen 7, der sich wohl eben noch was zu Essen holen wollte. Der Zug fährt ohne ihn ab.
24.12., 05:00 Uhr Stendal an: Kurz nach Stendal kommt der Zug wieder zum stehen. Ein Unglück kommt eben selten allein, sagt der Zugchef. Die Lokomotive sei beschädigt, der Zug solle nach Stendal zurückgezogen werden und die Fahrgäste dort in einen ICE nach Berlin umsteigen. Er melde sich „sehr wahrscheinlich“ wieder, wenn er mehr wisse. Kurze Zeit später Planänderung: Der Zug solle nach Stendal gezogen werden, dann solle dieselbe Lok ans andere Ende des Zugs gekoppelt werden um den Zug dann nach Berlin zu ziehen. Die Logik muss man wohl nicht verstehen. Vielleicht soll der Mann aus Wagen 7 wieder abgeholt werden. Ist ja mittlerweile Weihnachten. Um 5:00 Uhr sind wir also wieder in Stendal. Der Mann steigt wieder zu. Wer so schlau war zu fragen darf sich einen Kaffee und ein Brötchen kaufen – trotz der Durchsage man solle sich nicht zu weit vom Zug entfernen. Sie wissen schon, der Mann aus Wagen 7.
24.12., 5:45 Uhr Stendal ab: Mit Kaffe und Brötchen und der Ersatzlok auf der richtigen Seite geht’s wieder ab nach Berlin. Verspätung: über 8 Stunden. Vielleicht sind wir zum zweiten Frühstück in Spandau. Die Bahn ist da wie Amazon: Hauptsache pünktliche Lieferung noch am 24.
24.12.,7:20 Uhr Berlin Ostbahnhof an: Verspätung fast 9 Stunden. Zeit für ein zweites Frühstück. Von der Bahn werden wir wohl unseren Fahrpreis erstattet bekommen. 58,- € inklusive Reservierung. Vielleicht auch nur die Hälfte. Auf jeden Fall zu wenig für 9 Stunden bei gefühlten 10 Grad im Abteil. Aber die Bahn macht „sehr wahrscheinlich“ keine Geschenke. Auch nicht an Weihnachten.
Post Skriptum: Züge in Sibirien fahren bei ‑10, „sehr wahrscheinlich“ auch noch bei ‑20 Grad. Und in Spanien funktioniert die Klimaanlage auch noch bei über 35 Grad. Angeblich in beiden Fällen deutsche ICEs. Sagt ein Fahrgast. Es liegt also doch nicht nur am Wetter.
Post Post Skriptum: Ich fahre natürlich weiter mit der Bahn. Es wäre nur schön, wenn die Bahn verstehen würde, dass auch sie ein Dienstleistungsunternehmen ist. Und dass es dafür wichtig ist dem Kunden einen gewissen Service zu bieten und mit Pannen besser umzugehen.
Laut der Frankfurter Rundschau saßen neben unserem IC auch noch 4 ICEs auf der Strecke nach Berlin fest. Die Bahn zahlt den Betroffenen angeblich 250 € Entschädigung. Ich bin gespannt …
http://www.fr-online.de/politik/winter-sorgt-fuer-verkehrs-chaos/-/1472596/5041424/-/index.html
und? gabs die entschädigung?