Código Florestal

Wer braucht schon Wälder? [Update]

Brasiliens Par­la­ment hat ein neues Waldge­setz ver­ab­schiedet. Die Agrar­lob­by siegt. Kri­tik­er befürcht­en, dass die Abholzung des Regen­waldes legal­isiert wird.

Brasiliens Agrarindus­trie hat sich wieder ein­mal durchge­set­zt und ihre Macht dabei nicht nur der Präsi­dentin Dil­ma Rouss­eff unmissver­ständlich vor Augen geführt. Umwel­tor­gan­i­sa­tio­nen und klein­bäuer­liche Land­wirtschaftsver­bände, Wis­senschaft­lerin­nen und Wis­senschaftler, ein­fache Abge­ord­nete und sog­ar zwei ehe­ma­lige Umwelt­min­is­ter hat­ten über Jahre hin­weg gegen die Reform des Waldge­set­zes gekämpft. Unter dem Namen Obser­vatório do Cli­ma hat­ten sich son­st konkur­ri­erende NGO zusam­mengeschlossen und die Kam­pagne »SOS Flo­res­ta« (»SOS Wald«) ins Leben gerufen. Schließlich kon­nten sie sog­ar vier Fün­f­tel der brasil­ian­is­chen Bevölkerung von ihrem Ziel überzeu­gen. Genutzt hat es wenig. Am Mittwoch ver­gan­gener Woche nahm das neue Waldge­setz, der Códi­go Flo­re­stal, seine let­zte par­la­men­tarische Hürde. Sollte Rouss­eff nicht noch ihr Veto ein­le­gen, sind de fac­to bis zu 85 Mil­lio­nen Hek­tar Wald zur Rodung frei gegeben.

Abgeholzter Amazonas

Bis­lang gilt ein sehr rigides Waldge­setz in Brasilien. Das erste wurde 1934 von Getúlio Var­gas per Dekret erlassen. Ziel war damals nicht der Erhalt der heimis­chen Flo­ra und Fau­na, son­dern die Sich­er­stel­lung der Ver­sorgung der Stadt­bevölkerung mit Brennholz. Gle­ich­wohl wur­den Landbe­sitzerin­nen und ‑besitzer verpflichtet, abge­holzte Gebi­ete wieder mit heimis­ch­er Veg­e­ta­tion aufzu­forsten und ein Vier­tel ihres Lan­des mit der ursprünglichen Veg­e­ta­tion zu erhal­ten, die soge­nan­nte Reser­va Legal ent­stand. Das für die dama­lige Zeit sehr fortschrit­tliche Gesetz ist mit weni­gen Änderun­gen noch heute gültig.

1965 wurde die Größe der Schutz­zone auf 50 Prozent des Landbe­sitzes ver­dop­pelt. Auch hier stand noch nicht der Umweltschutzgedanke im Vorder­grund, vielmehr erhoffte man sich dadurch, dass die Groß­grundbe­sitzerin­nen und ‑besitzer mehr Land erwer­ben wür­den, um die Größe ihrer Nutzfläche zu erhal­ten. Die damals noch quer durch den Regen­wald ver­laufende Staats­gren­ze sollte durch den pri­vat­en Grundbe­sitz gefes­tigt wer­den. Zum ersten Mal wur­den aber auch »per­ma­nente Schutzge­bi­ete« (APP) aus­gewiesen, in denen keine Land­wirtschaft erlaubt war: Flussrän­der, Bergspitzen oder Hänge mit starkem Gefälle.

Der Umwelt­gipfel 1992 in Rio de Janeiro machte Naturschutz zu ein­er Pri­or­ität brasil­ian­is­ch­er Poli­tik. 1996 erhöhte die Regierung von Fer­nan­do Hen­rique Car­doso die Quote der Reser­va Legal auf 80 Prozent und berief eine Kom­mis­sion ein, die die Umset­zung des Geset­zes disku­tieren und Vorschläge zur Anpas­sung ausar­beit­en sollte.

Die Kom­mis­sion scheit­erte 2000 an allzu radikalen Forderun­gen der Landbe­sitzerin­nen und ‑besitzer, die ver­sucht hat­ten, die Umwelt­ge­set­zge­bung bis zur Unken­ntlichkeit aufzuwe­ichen. Car­doso musste sich schließlich der ablehnen­den öffentlichen Mei­n­ung beu­gen. Das Pro­jekt wurde auf Eis gelegt.

Anders als 2000 wurde dieses Mal der gesamte Geset­zge­bung­sprozess minu­tiös vor­bere­it­et. Der alte Entwurf wurde wiederver­wen­det und Ende 2009 berief der Präsi­dent des Abge­ord­neten­haus­es, Michel Temer von der lib­eralen Partei PMDB, eine neue Kom­mis­sion ein. Sie wurde fast nur mit Per­so­n­en beset­zt, die aus dem parteiüber­greifend­en »Block der Landbe­sitzer« stammten. Temer wurde ein Jahr später unter Rouss­eff Vizepräsi­dent. Den Geset­zesvorschlag ein­brin­gen sollte der ehe­ma­lige Präsi­dent des Abge­ord­neten­haus­es, Aldo Rebe­lo, von der Kom­mu­nis­tis­chen Partei PCdoB. Eine Analyse des an das Land­wirtschaftsmin­is­teri­um angegliederten Forschungsin­sti­tuts Embra­pa begleit­ete den Geset­zge­bung­sprozess wis­senschaftlich. Die sehr ten­den­z­iöse Darstel­lung sein­er Forschungsergeb­nisse mit dem Titel »Der räum­liche Gel­tungs­bere­ich des Umwelt- und Indi­ge­nen­rechts« wurde über befre­un­dete Medi­en im ganzen Land ver­bre­it­et: Sollte nichts geschehen, wür­den Mil­lio­nen Klein­bäuerin­nen und ‑bauern krim­i­nal­isiert und die Nahrungsver­sorgung der Bevölkerung wäre gefährdet, so der Tenor. Einem Bericht der Zeitung Fol­ha de São Paulo zufolge erhiel­ten Ende 2010 min­destens 50 Abge­ord­nete zudem üppige Wahlkampf­spenden von Fir­men, die von ein­er Reform des Geset­zes prof­i­tieren würden.

Anfang 2011 legte Rebe­lo den aus­gear­beit­eten Geset­zesvorschlag im Kongress vor. Zur Notwendigkeit ein­er Reform der Waldge­set­zge­bung befragt, antwortete er noch 2010: »Die meis­ten Landbe­sitzer hal­ten sich ja sowieso nicht dran.« Tat­säch­lich wird das gel­tende Waldge­setz, wie viele andere Geset­ze in Brasilien auch, nur unzure­ichend durchge­set­zt. Allerd­ings hat­te ger­ade der Umweltschutz in den ver­gan­genen Jahren große Fortschritte gemacht, beispiel­sweise kon­nte die Regen­wald­ab­holzung von über 27 000 Quadratk­ilo­me­tern im Jahr 2004 auf unter 7 000 im Jahr 2010 reduziert wer­den. Im sel­ben Zeitraum wur­den 66 000 ille­gale Urkun­den über Grundbe­sitz einge­zo­gen und die Kon­trollen im Ama­zonas­ge­bi­et intensiviert.

Cross­post­ing

Dieser Artikel erscheint auch in der Jun­gle World 18/12 und im lux­em­burg­er Woxx 1161.

Der Biologe João Paulo Ribeiro Capo­bian­co, Vor­standsmit­glied des Insti­tuts für Demokratie und Nach­haltigkeit (IDS), war von 2003 bis 2008 Staatssekretär im Umwelt­min­is­teri­um. Er sieht die Reform als direk­te Kon­se­quenz aus den Fortschrit­ten im Umwelt­bere­ich. Schuld sei die »Wahrnehmung der Pro­duzen­ten, dass sie es angesichts der neuen Kon­trollmech­a­nis­men von Tag zu Tag schw­er­er haben, mit ihrer jahrzehn­te­lang eingeübten, aber irreg­ulären Prax­is fortz­u­fahren«, schrieb er in Le Monde diplo­ma­tique Brasil. Die nun beschlosse­nen Regeln dürften die Agrarindus­trie beruhi­gen: Alle vor dem 22. Juli 2008 began­genen ille­galen Rodun­gen wer­den unter Amnestie gestellt. Uner­laubt in den Schutzge­bi­eten bewirtschaftetes Land wird als »kon­so­li­diertes Land« deklar­i­ert und muss als solch­es nicht wieder aufge­forstet wer­den. Die Schutz­zone von Flüssen bis zu zehn Meter Bre­ite wird von 30 auf 15 Meter ver­ringert, außer­dem wird nicht mehr bei Hoch‑, son­dern bei Niedrig­wass­er gemessen. Allein das führt im Feucht­ge­bi­et Pan­tanal zu drastis­chen Ver­lus­ten, da dort 90 Prozent des Lan­des jahreszeitlich schwank­enden Über­flu­tun­gen aus­ge­set­zt sind. Für größere Flüsse ent­fällt jede Son­der­regelung. Grund­sät­zlich müssen nur noch 20 Prozent des Grundbe­sitzes als Reser­va Legal geschützt wer­den, nur im Ama­zonas­ge­bi­et bleibt es bei 80 Prozent, in der Savanne Cer­ra­do bei 35 Prozent. Bei der Berech­nung des Gebi­ets dür­fen beste­hende APP mit ein­berech­net wer­den. Generell von jed­er Schutzquote ausgenom­men sind for­t­an kleine Land­wirtschafts­be­triebe unter ein­er Größe von 440 Hek­tar. Groß­grundbe­sitzerin­nen und ‑besitzer dür­fen zur Berech­nung ihrer Reser­va Legal ihren gesamten Besitz in ganz Brasilien her­anziehen und die Schutzflächen beliebig verteilen, bis zu 440 Hek­tar dür­fen auch sie abziehen. Die Ausweisung von Schutz­zo­nen fällt in die Kom­pe­tenz der Bun­desstaat­en, APPs in Stadt­ge­bi­eten wer­den kom­plett gestrichen.

Kein Wun­der, dass sich die Agrarindus­trie am Abend nach der Abstim­mung zufrieden zeigte. Kátia Abreu vom Farmerver­band CNA und Trägerin des von Green­peace vergebe­nen Neg­a­tiv-Preis­es »Gold­ene Ket­ten­säge« jubelte: »Wir haben die Dik­tatur der NGO beendet!«

Noch geben sich diese aber nicht geschla­gen. Im Wahlkampf um die Präsi­dentschaft hat­te Rouss­eff ver­sprochen, kein neues Waldge­setz zu unter­schreiben, das »irgen­deine Form von Amnestie« enthalte. An dieses Ver­sprechen wollen die Umweltak­tivistin­nen und ‑aktivis­ten sie erin­nern. Der im Juni stat­tfind­ende Umwelt­gipfel Rio+20 wird dazu aus­re­ichend Gele­gen­heit bieten. Spätestens dort wird sich Rouss­eff auch fra­gen lassen müssen, wie sie mit dem neuen Waldge­setz die in Kopen­hagen zuge­sagte Reduzierung der Abholzung um 80 Prozent bis 2020 noch schaf­fen will.

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Zu dem The­ma find­et eine Avaaz-Aktion statt. Wer möchte, kann dort eine Peti­tion an die Präsi­dentin unterze­ich­nen.

Update: Dil­ma Rouss­eff hat ihr Veto gegen zwölf Artikel des neuen Waldge­set­zes ein­gelegt und weit­ere 32 Änderun­gen am Text vorgenom­men. Das Veto kann noch vom Nation­alkongress über­stimmt wer­den. Einzel­heit­en als Info­grafik bei O Globo (Port.).

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