Wer wählt, wählt verkehrt — SPD
Es ist der 7. September 2008. Bei der Klausurtagung der SPD in Werder, nahe Potsdam, tritt der SPD-Vorsitzende Kurt Beck an, die Führungsstruktur seiner Partei zu modernisieren. Franz Müntefering wird Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, Klaus Wowereit wird Kanzlerkandidat, Frank-Walter Steinmeier bleibt Außenminister, Wolfgang Clement wird aus der Partei geschmissen, Peer Steinbrück in die neue Parteidisziplin eingebunden, der Seeheimer Kreis in den Hintergrund gedrängt. Man hätte es dem Kleinbürger Beck gar nicht zugetraut, doch hat er in seiner Zeit als Vorsitzender die entscheidenden Weichen gestellt, um langsam aber sicher die Schröder-Ära der SPD zu beenden. Das Hamburger Programm war nur der Anfang, im Hintergrund hat der Vizepräsident der Sozialistischen Internationale das neue Gesicht der SPD geformt. Er wird den Parteivorsitz abgeben, täppischer Problembär, der er ist. Sigmar Gabriel übernimmt, rhetorischer Schutzengel für den neuen Kanzlerkandidaten
Die große Koalition bleibt zunächst bestehen, während der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise macht sie einen relativ vernünftigen Job. Klaus Wowereit befreit sich langsam aber sicher von seiner hedonistischen Bräsigkeit, formt in Berlin ein junges, gut vernetztes Wahlkampfteam und nutzt seinen Vorteil, nicht in die GroKo eingebunden zu sein effektiv, aber nicht übertrieben. Seine guten Kontakte in diverse Berliner Szenen geben ihm ein weltoffenenes, modernes Image.
Im Frühjahr 2009 gibt es den ersten größeren Knall. Die SPD stimmt mit Grünen und Linkspartei einem Gesetzentwurf zu, der Überhangmandate de facto abschafft. Die CDU, als Hauptbetroffener, schreit Zeter und Mordio; Wowereit und Gabriel ziehen sich geschickt auf den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zurück, und lassen die Angriffe der Union ins Leere laufen. Zudem bildet sie ein Team aus relativ unbekannten Emissären, um die Chancen einer rot-rot-grünen Regierung auszuloten, von der Presse gänzlich unbemerkt, da die Opel-Rettung vielen Journalisten wichtiger erscheint. Selbst als Lafontaine sich langsam aus der Partei zurückzieht, und im Saarland als einfacher Landtagsabgeordneter seinen politischen Ruhestand genießt, wittert die Journaille nichts.
Als Union und FDP ihre Koalitionsabsichten öffentlich machen, schlägt die SPD am nächsten Tag zurück — mit der Ankündigung, eine rot-rot-gründe Regierung bilden zu wollen. Die gemeinsamen Positionen beinhalten den schrittweisen Abzug aus Afghanistan bis 2013 (das ist Steinmeiers einzige Aufgabe), die komplette Revision der Agenda 2010, die Einführung eines Mindestlohns, eine öffentlich geförderte Beschäftigungspolitik in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, Bildung. Atomausstieg, Vermögenssteuer und Kommunalisierung der Versorgungsnetzwerke stehen ebenfalls auf dem Programm.
Die Union tut sich mit einer Reaktion sichtbar schwer, es kommt zu heftigen Flügelkämpfen zwischen FDP, CDU-Wirtschaftsflügel auf der einen, und der CSU auf der anderen. Wie gewöhnlich apathisch, vermag Angela Merkel die Partei nicht mehr zu disziplinieren, Spekulationen über ihren Rücktritt werden von verschiedenen Seiten lanciert, sie rettet sich jedoch auch aufgrund mangelnder Alternativen bis zur Wahl, indem sie einen ähnlich neoliberalen Kurs propagiert wie schon 2005. Privatisierung des Gesundheitssystems, Ausbau der Kernenergie, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Bundeswehreinsatz im Inneren — garniert mit einer an McCarthy erinnernden Kampagne gegen die SPD.
Die verteilt im Wahlkampf rote Wollsocken für den Winter, und hat durch die Grabenkämpfe in den gegnerischen Reihen in den Umfragen die CDU überholt. Im September 2009 tobt der Wahlkampf in Deutschland in nie gekannter Intensität, Richtungswahl, oder gar Schicksalswahl sind häufig benutzte Vokabeln, das Fernsehduell zwischen Wowereit und Merkel driftet zeitweise in erbitterten Streit ab. Die Moderatoren halten zwar sich zurück, fachen das Feuer aber durch gezielte Fragen immer wieder an. Am Tag der Wahl ist das ganze Land auf der Straße, es wird heftig diskutiert, die Wahlbeteiligung wird mit 87% eine der höchsten in der Geschichte der Republik. Die ersten Prognosen und Hochrechnungen bestätigen die Strategie der SPD. Sie ist mit 36% stärkste Partei, ihre Koalitionspartner kommen auf 14% (Grüne), bzw. 13% (Linke). Die Union erreicht mit 32% das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte, die FDP, obwohl mit 15% die stärkste der sog. kleinen Parteien, darf (mal) wieder am Katzentisch Platz nehmen. Und alle so “Yeaahh!”
Ich wache auf. Warum müssen meine Träume zum Schluss immer eine leicht surreale Färbung annehmen? Morgen ist Bundestagswahl. Ich setze mich an den Schreibtisch, und schreibe etwas zur SPD. “Die große Koalition ist das Beste, was die SPD zu bieten hat”, fällt mir ein.
Wovon träumt eigentlich die SPD, setzte man voraus, sie wäre dazu in der Lage? Vom Klassenkampf? Von Mehr Demokratie? Oder doch bloß von einem zusätzlichen KiTa-Platz und der schlimmen Altersarmut? Von einem Pöstchen für den Generalsekretär? Mehr Brosamen zu bekommen, als andere? Was es auch sein mag, es dürfte albtraumhaft sein: Ewig während zwischen Empire und Multitude aufgerieben zu werden, sich im richtigen Moment für das Falsche entscheiden. Zur Not revoltierende Matrosen niederschießen lassen, was sie mit Lenin und Trotzki verbindet, aber auch nicht unbedingt sympathischer macht. In dieser Agonie werden Kriegskredite zu Angriffskriegen, und der Sozialstaat wird je nach Unternehmer-Laune gemästet oder geschlachtet. Dass die Sozialdemokratie dabei selbst das Opferlamm auf der Werkbank ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
[…] Liest du: Wer wählt, wählt verkehrt — SPD http://www.principien.de/2009/09/25/wer-wahlt-wahlt-verkehrt-spd/ […]
Schöner Traum (und Beitrag) David. Herr Spreng hatte anscheinend den gleichen Traum, fand ihn aber nicht so schön: http://www.sprengsatz.de/?p=2111