Westerwelle droht Lateinamerika
Gestern kam eine Pressemitteilung der brasilianischen Botschaft heraus: “Deutsche Regierung stellt ihre Lateinamerika-Strategie vor”. Tolle Sache, schließlich ist die letzte LA-Strategie schon 15 Jahre alt; vielleicht hat der neue Mann im Amt sich ja tatsächlich ein Herz gefasst und den (nicht nur geographisch) unten links liegen gelassenen Kontinent für sich entdeckt. Politisch wäre es naheliegend und relativ alternativlos, Afrika gehört ja schließlich schon Köhler, Asien dem Schröder, die Kanzlerin ist, wie wir alle ständig versichert bekommen, die große Transatlantikerin und Joschka schwebt als Weltenbürger und globaler Genozidverhinderer eh in ganz anderen Dimensionen als Herr W.
Lateinamerika also. Seine erste Auslandsreise als Außenminister hatte Westerwelle im März schon einmal durch Lateinamerika geführt. Sogar Präsident Lula hatte sich damals fünf Minuten Zeit genommen, um in der Flughafen-Lounge, mit dem Minister zusammenzutreffen. Dass die Medien dem kaum Beachtung schenkten und sich böserweise lieber seine liberale Gästeliste vornahmen, muss ihn gekränkt haben. Und weil Westerwelles anschließenden Spin-Doctor-Kunststücke leider gleichzeitig so unbeholfen und arrogant wirkten, soll dieses lateinamerikanische PR-Desaster mit einem neuen Anlauf wieder wettgemacht werden.
An dem selben Tag, an dem der Vize-Kanzler zum ersten Mal die Kabinettssitzung leiten durfte, stellte er die neue Lateinamerika-Strategie vor. Vorneweg: Es werden keine noch so liberalen Erwartungen enttäuscht!
Bilaterales besteht ausschließlich aus wirtschaftlicher Interessenpolitik. Menschenrechte und Umweltschutz werden zwar am Rande erwähnt, im Fokus stehen Exportförderung, Rohstoffsicherung und der Schutz des Privateigentums deutscher Unternehmen. Das Wohl der Bevölkerung spielt gar keine Rolle. Nebenbei wird in dem “ressortübergreifenden Konzept” die aggressiver Rolle parteinaher Stiftungen gegen anti-neoliberale Strömungen nachträglich legitimiert.
Wir erinnern uns: Während die Mehrheit der Staaten den blutigen Putsch in Honduras verurteilten — Brasilien bot dem geschassten Präsidenten damals sogar Asyl — sprach der Regionalvertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung von einer “Rückkehr zu Rechtsstaat und zu Verfassungsmäßigkeit”. Die Rolle der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in El Salvador ist ebenfalls kritisch zu sehen. Ein Vertreter des Konrad-Adenauer-Stifung in Venezuela ist wie es heißt wegen der Unterstützung von Putschbetrebungen beinahe ausgewiesen worden. ((Berlin droht Lateinamerika mit Kooperation))
Die ALBA-Staaten, darunter Ecuador, Venezuela und Bolivien, lehnen die von der EU angestrebten Freihandelsverträge ab und setzen verstärkt auf staatliche Unternehmen und verhin
dern die Privatisierung öffentlicher Güter. Etwa ist in diesen drei Ländern die Privatisierung von Wasser per Verfassung ausgeschlossen. Für Westerwelle sind diese Länder (und Nicaragua) lediglich “populistische Demokratien” (was im Übrigen 1:1 aus der Lateinamerika-Strategie der CDU/CSU übernommen wurde — soviel zum eigenständigen Konzept des Außenministeriums), die nur wieder auf den richtigen Weg gebracht werden müssen. Unterstützt wird die seit Jahren festgefahrene konkurrierenden regionale Institution UNASUR.
Lateinamerika ist lediglich “Produktionsstandort” und “stetig wachsender Absatzmarkt” der deutschen Wirtschaft. Soweit so erwartbar. Unerträglich wird es, wenn die absolute Ignoranz der Bundesregierung hervorblitzt und der Außenminister von den gemeinsamen Werten und Interessen der “Menschen” in Lateinamerika und Deutschland schwadroniert. Die indigene Bevölkerung hat eben keine gemeinsame Tradition mit Europa und auf die gemeinsame Kolonial-Geschichte würde die meisten mit Sicherheit am liebsten verzichten.
Eine Hoffnung kann sich Lateinamerika (und die Karibik) noch machen. Auch wenn der Geltungsdrang eines Guido Westerwelle dagegenspricht. Aus der bunt beworbenen Strategie kann immer noch dasselbe werden was auch aus dem letzten LA-Konzept von 1995 wurde: nada.