Zensur
findet nicht statt. So steht es zumindest im Grundgesetz. Dass es ausgerechnet die GebärFamilienministerin sein würde, die ein derartiges Kontrollinstrument mit dem Hinweis auf die Kinderpornographie wieder einführt, ist zwar auf den ersten Blick merkwürdig, hätte man sich aber denken können.
Es gibt also demnächst eine vom Bundeskriminalamt verwaltete Zensurliste, die niemand einsehen darf. Und der Besuch bei einer auf der Liste stehenden Seite ist strafbar, ja, auch der Versuch ist es bereits, obwohl kein Mensch weiß, welche Seiten das sind. Wenigstens werden die Menschen nicht mit dem Unterschied zwischen Besuch und Versuch verwirrt, da es keinen gibt. Nun hat es derart ausreichend Erfahrungen mit den “Sperrlisten” anderer Länder gegeben, dass es bei weitem noch nicht ausgemacht ist, ob dort tatsächlich nur kinderpornographische Seiten zu finden sind. So tummeln sich dort Zahnärzte (Australien), Wikipedia (GB) und Online-Poker-Anbieter (Finnland). Auch in Deutschland hätte man für die Sperrung von Online-Glücksspielen sicher Interesse und Verwendung. So stellt der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow bereits Sperrungsverfügungen gegen ausländische Glücksspiel-Seiten in Aussicht. Und wenn man schonmal dabei ist, kann man auch etwas gegen die “flächendeckende Enteignung geistigen Eigentums” unternehmen, denkt sich dabei die Musikindustrie in der Person Dieter Gornys:
Der Vorstoß der Familienministerin zum Verbot von Kinderpornografie im Internet ist ein richtiges Signal. Es geht um gesellschaftlich gewünschte Regulierung im Internet, dazu gehört auch der Schutz des geistigen Eigentums.
Und alle waren ganz überrascht, als die schwedische Polizei 2007 auf Lobbydruck hin versucht hat, Adressen der Tauschbörsen-Suchmaschine Pirate Bay auf die Kinderporno-Sperrliste zu heben. Ähnliches ereignete sich 2008 in Dänemark. Kleines, aber pikantes Detail am Rande: Der Richter, der die Betreiber der Piratenbucht verurteilt hat, ist Mitglied in einer Organisation zum Schutz des Urheberrechts, in dem auch Repräsentanten der Medienindustrie vertreten sind, die als Kläger an dem Verfahren beteiligt waren. Juristische Kleinkrämereien wie das Konstrukt der Befangenheit sind anscheinend aus der Mode gekommen…Anyway, die Sperrlisten jedenfalls, tendieren dazu, unkontrolliert zu wachsen; eine medizinische Analogie fällt in diesem Fall wohl jedem ein, und die gesellschaftlich gewünschte Regulierung, von der Herr Gorny spricht, stellt sich am Ende doch nur als die unverholene Forderung nach der gründlichen Durchsetzung illegitimer Kapitalinteressen heraus.
Was gab es für einen (berechtigten) Aufschrei, als internationale Medienkonzerne bei den Olympischen Spielen in Peking keinen freien Zugang zum Netz hatten, und noch nicht mal ein Jahr später installiert die Regierung hier ein ausbaufähiges Vorläufermodell. Die Nonchalance mit der das geschieht ist wohl einzigartig, und wird es mit Sicherheit bleiben, wenn die ersten politischen Organisationen auf den Listen auftauchen. Das BKA ist schließlich einer gewissen Tradition verpflichtet, wie man in der allwissenden Müllhalde nachlesen kann:
Noch 1959 hatten nur zwei von 47 leitenden Beamten des BKAs keine NS-Vergangenheit, 33 waren ehemalige SS-Führer.
Achja, Traditionslinien deutscher Innenpolitik sind schon eine ganz eigene Welt. Transparenz und Demokratie kommen darin leider nicht vor; Tendenzen, die sich auch in der aktuellen Politik ohne Mühe wieder finden lassen. Die Krise der Verwertungslogik wird in einer bürgerlichen Demokratie anscheinend zwanghaft mit autoritärer Politik gegenüber emanzipatorischen Ideen beantwortet. Warum dem so ist, entzieht sich meiner Kenntnis, vielleicht hat ja einer der Leser eine zündende Idee.
Was bleibt? In der von Leyenschen Jugendliga gegen Sexualität ist auf jeden Fall noch Platz. Andere Parolen können jederzeit ausgegeben werden. Meine Favoriten: Krieg bedeutet Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke!!